Editorial / Weltoffen vorwärts mit der Kraft der Geschichte
Die Kraft der Bilder wirkt bis heute nach: die Begeisterung der Menschen in Lissabon und anderen portugiesischen Städten und Dörfern, die Freude, mit denen die anfangs nur wenige Hundert Mann starken revolutionären Truppen am 25. April 1974 von der Bevölkerung empfangen wurden. Die sich widerstandslos den Putschisten anschließenden regulären Regimente verdeutlichen eindrucksvoll, wie weit sich die faschistische Staatsführung unter Salazar und später unter seinem Nachfolger Caetano von den Menschen in Portugal entfernt hatte.
Die Portugiesen wollten keine Kriege mehr in weit entfernten Kolonien führen, sie waren der vielen Toten satt, sie spürten, dass sie unter Salazar in Europa isoliert und abgehängt waren. Die Parole „Fatima, Fado, Fußball“, Salazars Interpretation der altrömischen Losung „Brot und Spiele“, mit der das Volk ruhig und dumm gehalten werden sollte – was zumindest teilweise gelang, während der Diktatur waren ein Drittel der Portugiesen Analphabeten und damit leicht auszubeutende Arbeitssklaven der Großgrundbesitzer –, griff nicht mehr; der Wunsch nach Emanzipation war nicht mehr aufzuhalten.
Und die Demokratie siegte: Beinahe unblutig (vier Menschen starben nach Schüssen der Geheimpolizei) konnte die Diktatur durch einen Militärputsch hauptsächlich junger Offiziere beendet werden: Der 1. Mai 1974 ist in Portugal nicht nur der Tag der Arbeit, der von den vormals verbotenen Gewerkschaften im Lissabonner Sportstadion gefeiert wurde, sondern wurde auch zum Freudentag der politischen Befreiung.
Dass bei den Parlamentswahlen am 10. März dieses Jahres ausgerechnet die antieuropäische, populistische und nach innen gerichtete, extrem rechte Partei „Chega“ (übersetzt etwa: „Es reicht“) von jedem fünften Portugiesen gewählt und damit drittstärkste Partei in dem Land wurde, erscheint in diesem Kontext als „Bras d’honneur“, als Stinkefinger an die Befreier von vor 50 Jahren.
Dass die in Luxemburg an den Parlamentswahlen in ihrer ursprünglichen Heimat teilnehmenden Portugiesen, Auswanderer also, gar zu rund 20 Prozent gegen die Auswanderung nach Portugal (Chega-Motto: Portugal den Portugiesen) und für Chega stimmten (demokratische Allianz und Sozialisten kamen lediglich auf 15 bzw. 14 Prozent der Stimmen), erscheint umso dramatischer. Zwei Generationen nach der Revolution, die Portugal nach einer finsteren Zeit der Isolation in die europäische Familie hineinkatapultierte, wollen offensichtlich wieder viele zurück in ein autoritäres, abgeschiedenes Gesellschaftssystem, das sich selbst genügt.
Oder fehlt es ganz einfach an Einsicht: Ist die jüngere Geschichte angesichts aktueller wirtschaftlicher Probleme in Vergessenheit geraten?
Die Feiern rund um das 50-jährige Jubiläum der Nelkenrevolution könnten und sollten ein Anlass zur Besinnung – weg von Populisten, hin zu Demokraten! – sein.
In Portugal und in Luxemburg.
Robert Schneider
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