Caritas / Zweifel am Präsidentenbetrug: Finanzabteilung war für Betrugsmaschen sensibilisiert
Sind die 61 Millionen Euro bei der Caritas doch nicht in Folge eines Präsidenten-Betrugs verschwunden? Ermittlungen von Radio 100,7, die Zweifel an dieser Erklärung aufkommen lassen, decken sich mit Tageblatt-Informationen.
Präsidentenbetrug
„Im Allgemeinen besteht der Präsidentschaftsbetrug darin, einen Mitarbeiter, der befugt ist, Zahlungen für eine Einrichtung zu tätigen, in eine Falle zu locken, damit er eine falsche Rechnung bezahlt oder eine nicht autorisierte Geldüberweisung tätigt“, erklärt die Staatsanwaltschaft die Betrugsmasche. Der Betrüger gebe sich per Telefon oder E-Mail als Leiter der Einrichtung oder dessen Vertretung aus und fordere eine dringende internationale Zahlung. Meistens handele es sich dabei um Bankkonten von Einrichtungen in anderen Ländern, auf jeden Fall aber um vom Betrüger verwaltete Konten. Der getäuschte Mitarbeiter könne auch aufgefordert werden, die üblichen Genehmigungsverfahren des Unternehmens zu missachten, um eine angeblich ungewöhnliche Transaktion oder einen angeblichen Geheimauftrag zu ermöglichen.
Der Millionen-Betrug bei der Caritas wirft weiterhin mehr Fragen als Antworten auf. In einem von Radio 100,7 publizierten Beitrag wird die Erklärung der Staatsanwaltschaft, dass es sich um einen sogenannten „Präsidenten-Betrug“ gehandelt haben soll, angezweifelt. Demnach soll die Finanzdirektorin der Caritas, gegen die derzeit ebenfalls ermittelt wird, eine aktive Rolle bei den rund 120 Überweisungen gespielt haben, die seit Februar 2024 auf die Konten der Betrüger überwiesen wurden. Das deckt sich auch mit Informationen, die in den vergangenen Tagen an das Tageblatt herangetragen wurden. Die Finanzdirektorin hatte sich am 20. Juli der Luxemburger Polizei gestellt, nachdem sie mit internationalem Haftbefehl gesucht wurde. Sie befindet sich jedoch nicht in Untersuchungshaft.
Bei der Caritas wurden in den vergangenen Monaten verschiedene Sensibilisierungskampagnen gegen verschiedene Betrugsmaschen durchgeführt. So hat die IT-Abteilung der Caritas in den vergangenen Monaten sogenannte „Phishing“- und „Email Spoofing“-Tests durchgeführt. Sind Mitarbeitende der Caritas auf die Betrugsversuche hereingefallen, wurden ihnen Online-Fortbildungskurse angeboten. Im Kontext des Millionenbetrugs aber besonders pikant: Tageblatt-Informationen zufolge soll die Finanzabteilung in den vergangenen Monaten mehrere sogenannte „fraude au président“-Versuche erkannt und abgefangen haben.
Dichter Nebel
Wie 100,7 schreibt, soll die frühere Finanzdirektorin dann auch über Monate hinweg mit den vermeintlichen Betrügern – darunter jemand, der sich als ihr Generaldirektor Marc Crochet ausgegeben haben soll – in Kontakt gestanden haben. Eine zentrale Frage lautet demnach, wie ihr das während so langer Zeit nicht auffallen konnte – zumal sie in der Zeit mit dem „richtigen“ Generaldirektor der Caritas zusammengearbeitet hat. Gegenüber Dritten soll sie die Überweisungen mit Lügengeschichten vertuscht haben. Unter anderem damit, dass das Außenministerium im Jahr 2024 noch kein Geld für die internationalen Projekte der Stiftung überwiesen haben soll. Außenminister Xavier Bettel erklärte jedoch auf eine parlamentarische Frage hin, dass das Außenministerium in diesem Jahr bereits 5,26 Millionen Euro an die Caritas überwiesen hat.
Dennoch waren laut Tageblatt-Informationen drei bis vier Personen an den zahlreichen Überweisungen beteiligt – darunter zwei Personen aus der aus vier Personen bestehenden Generaldirektion der Caritas, die vonseiten des Verwaltungsrates die dafür nötigen Bankbefugnisse erhalten hatte.
Neben den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hat auch die „Commission de surveillance du secteur financier“ (CSSF) eine Ermittlung gegen die implizierten Banken eingeleitet. Von Radio 100,7 befragte Finanzexperten meinen, dass es „nicht nachzuvollziehen sei, wie die implizierten Banken bei über 120 Überweisungen systematisch übersehen haben, dass die IBAN-Nummer nicht mit dem Inhaber des Kontos übereinstimmen konnte“. Die Überweisungen sollen von der Spuerkeess und BGL auf Konten der spanischen Bank BBVA getätigt worden sein. Derzeit wird zudem die Möglichkeit geprüft, ob die Finanzdirektorin alleine handelte oder ob es noch weitere Komplizen gab.
Was ist passiert?
Die Caritas hat am 16. Juli Klage gegen ihre Finanzdirektorin bei der Staatsanwaltschaft eingereicht. Das, weil der Stiftung insgesamt 61 Millionen Euro abhandengekommen waren. 28 Millionen sollen aus den eigenen Finanzreserven stammen; für 33 weitere Millionen Euro wurden extra Kreditlinien aufgenommen. Mittlerweile ist ein von der Caritas eingesetztes Krisenkomitee unter dem Vorsitz des Finanzexperten Christian Billon mit der internen Aufarbeitung des Vorfalls befasst worden.
Premierminister Luc Frieden meinte auf einer Pressekonferenz, dass „die Caritas ein großes Problem hat und dieses lösen muss“. Der Luxemburger Staat hat bestimmte Aktivitäten an die Caritas ausgelagert und sei darauf bedacht, dass diese Dienstleistungen auch weiterhin erbracht werden – notfalls nicht von der Caritas. „Der Regierungsrat hat entschieden, kein Geld mehr an die Caritas zu überweisen, bis Klarheit besteht, wie diese Gelder gehandhabt werden“, so Frieden. Die Caritas habe wohl noch Reserven, auf die sie zurückgreifen könne. Im Jahr 2024 seien 21 Millionen Euro für Dienstleistungen überwiesen worden. Für die von der Caritas erbrachten Dienstleistungen zahlt der Luxemburger Staat entweder einen oder drei Monate im Voraus – Gelder, die man voraussichtlich zurückfordern werde, bis die verschiedenen Dienstleistungen gewährleistet werden können. Und: „Es kann sein, dass der Staat auf andere Dienstleister zurückgreifen muss.“ Zu viele Fragen würden sich derzeit bei der Caritas stellen. „Das weiß die Caritas auch selbst.“
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