Industrie / Wie Liberty Steel seinen Produktionsstandort in Düdelingen verkommen lässt
Seit April 2022 ist es still geworden in den Produktionshallen des internationalen Stahlkonglomerates Liberty Steel, seitdem liegt die Produktion brach. Eine unerträgliche Situation für das Personal vor Ort in Düdelingen. Zwei Mitarbeiter berichten.
Das Gewerbegebiet Wolser zwischen Düdelingen und Bettemburg. Ein Auto fährt im Nieselregen an großen Fabrikhallen vorbei. An einem von drei Fahnenmasten hängt eine zerfetzte Luxemburger Flagge, trostlos und verloren. Daneben führt eine Straße zu einem Verwaltungsgebäude. Es handelt sich um die Büros des Stahlproduzenten Liberty Steel. Es ist verdächtig ruhig an diesem Freitagmorgen in Düdelingen. Kein Lärm dringt aus dem Inneren der Produktionshallen nach außen. Auf dem Parkplatz neben dem Bürogebäude zeugen nur eine Handvoll Parkplätze davon, dass die Industriehallen nicht komplett verlassen sind.
Das Familienunternehmen Liberty Steel des indischen Geschäftsmannes Sanjeev Gupta hat das Stahlwerk in Düdelingen 2017 von ArcelorMittal erworben. Hunderte Millionen Euro an Investitionen wurden angekündigt – zu sehen ist davon bis heute nichts. Ein konkreter Business-Plan fehlt: Seit der Übernahme durch Liberty Steel wurden die Aktivitäten des Galvanisierungswerkes in Düdelingen konsequent zurückgefahren. Bis die Produktion im April vor zwei Jahren komplett eingestellt wurde. Doch wer meinte, dass das Werk aus Rentabilitätsgründen verkauft oder Mitarbeiter aus wirtschaftlichen entlassen werden würden – der eigentlich nächste logische Schritt – irrte.
„Wir haben seit zwei Jahren nichts zu tun“, beklagen sich Stéphane* und Gilbert*, zwei Mitarbeiter, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Sowohl im Verwaltungsgebäude als auch in den Produktionshallen ist kaum noch Betrieb. Die Öfen sind leer, Rohstoffe sind keine mehr vorhanden, die Zugeinfahrt aufs Produktionsgelände von Unkraut und Wildgewächsen überwuchert. Dass demnächst wieder Hochbetrieb herrschen sollte, scheint an diesem nassen Herbstmorgen eine reine Utopie. „Wir wollen arbeiten, wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben“, sagen die beiden Liberty-Steel-Angestellten bestimmt – wenngleich ein Fünkchen Resignation in der Stimme mitschwingt. Die jahrelange Inaktivität hat sich merklich auf die Stimmung der Mitarbeiter niedergeschlagen. Die Verwitterung der Fabrikhallen: ein Symbol für den Zustand der Psyche der Belegschaft.
Kein Ausweg
Tatsächlich deutet derzeit nichts darauf hin, dass Liberty Steel die Aktivität im Düdelinger Werk demnächst wieder aufnehmen will. Im Gegenteil: Die Gehälter für August wurden mit zwei Wochen Verspätung erst im September überwiesen. Das Gehalt für September wiederum war pünktlich am Monatsende auf den Konten der Mitarbeiter. Die entsprechenden Geldbeträge wurden der Düdelinger Entität jedoch erst am 27. September überwiesen. Wo genau das Geld herkommt, ist bei dem globalen Familienkonglomerat nicht ersichtlich. Weder Personal noch Gewerkschaften haben einen genauen Einblick in die Finanzflüsse zwischen den verschiedenen Firmenentitäten, die sich über den gesamten Globus verteilen. Ob die nötigen Gelder vorhanden sind, um die Gehälter für Oktober zu bezahlen? Eine Frage, die erst am Ende des Monates beantwortet werden kann.
„Es macht ökonomisch keinen Sinn, was hier passiert“, meint auch OGBL-Generalsekretär Stefano Araujo. Dabei ist das Luxemburger Liberty-Steel-Werk nicht allein in dieser kuriosen Situation. Auch im Lütticher Werk mit rund 500 Beschäftigten wird derzeit nichts produziert. Versprechen vom Anfang des Jahres, dass die Werke demnächst verkauft werden könnten, haben sich mittlerweile wieder zerschlagen. Es erinnert an eine Episode von vor zwei Jahren, als das Gerücht umging, dass Liberty Steel das Werk tatsächlich verkaufen wolle. Die Regierung ihrerseits meinte damals, einen seriösen Interessenten gefunden zu haben. Eine Übernahme kam nicht zustande, zwei Jahre danach hat sich an der Situation in Düdelingen nichts geändert. Seitdem gräbt sich das Familienunternehmen Monat für Monat in ein immer tieferes finanzielles Loch. Laufende Kosten und auch die Gehälter werden Monat für Monat weiter ausgezahlt. Anträge auf Kurzarbeit wurden vom Konjunkturkomitee immer wieder abgelehnt.
Kampf gegen den Verfall
Denn: Die Marktnachfrage ließe es durchaus zu, dass in Düdelingen wieder gewinnbringend produziert werde, Anfragen würden immer wieder reinflattern. Nur: Das Vertrauen der Kunden in das Düdelinger Werk schwindet. „Keiner zahlt seine Rechnungen im Voraus, in der Hoffnung, dass die Öfen dann wieder angeschmissen werden“, erklärt Gilbert, der in der Verwaltung des Düdelinger Werkes arbeitet. Liquiditäten, die nicht zuletzt zur Anschaffung der Rohstoffe aber dringend gebraucht werden. „Zudem können wir ohne laufende Produktion keine Angaben über die Qualität unserer Produkte machen.“ Bis die Produktionslinien überhaupt wieder anlaufen können, würden erst mal einige Monate vergehen. „Das ist kein normaler Drucker, den man mit einem Knopfdruck wieder anmacht.“
Und das, obwohl das Personal in den Produktionshallen gegen den Verfall der Anlage kämpft. Tagtäglich werden Wartungsarbeiten durchgeführt, vor einigen Wochen wurden die Produktionsanlagen testweise wieder anlaufen lassen. „In solchen Momenten merkt man, dass die Arbeiter allesamt motiviert sind und nur darauf warten, wieder arbeiten zu können“, sagt Stéphane. Über Wochen habe man sich auf den Testlauf vorbereitet – ein Hauch von Normalität auf dem ansonsten gespenstisch stillen Fabrikgelände.
Es ist doch schon fast absurd, wenn die Arbeiterschaft verlangt, ihrem Job nachgehen zu können
Die Mitarbeiter aber fühlen sich nicht nur von der eigenen Firmengruppe im Stich gelassen. Auch von der Politik wünsche man sich endlich ein Eingreifen. Schließlich würde trotz aller Anstrengungen eine Produktionshalle zerfallen, Tag für Tag würden die Summe an nötigen Investitionen für eine Wiederaufnahme ansteigen und der Luxemburger Standort für Interessenten unattraktiver werden. Der Politik aber, das erkennt auch der OGBL-Vertreter Araujo an, sind die Hände gebunden.
Stéphane und Gilbert haben sich unter ein Vordach im Eingang der Fabrikhalle zurückgezogen, der Regen wird stärker. Ein Laster fährt vorbei, Gilbert und Stéphane blicken nicht einmal mehr auf. Eins ist sicher: Er wird nicht am Fabrikgelände stehen bleiben. „Es ist doch schon fast absurd, wenn die Arbeiterschaft verlangt, ihrem Job nachgehen zu können“, sagt Gilbert. Stéphane starrt in die Ferne, gedankenverloren nickt er zustimmend. Regentropfen auf seiner orange-neonfarbenen Arbeitsuniform perlen langsam zu Boden. Auf seiner Brust prallt groß der Schriftzug „Arcelor Mittal“. Der Blick des Liberty-Steel-Mitarbeiters schweift über das gestickte Logo. „Ja, das sagt alles“, meint er nüchtern. Vertrauen in den Standort Düdelingen und dessen Mitarbeiter sieht jedenfalls anders aus.
* Die Vornamen wurden von der Redaktion geändert.
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