L’histoire du temps présent / Siebenbürgisch-sächsische Kunst auf der Viandener Burg: Wieder einmal der Urheimatmythos
Wieder wird der Mythos mobilisiert, die Siebenbürger Sachsen und Sächsinnen stammten aus Luxemburg, und wieder ist die Forschung bemüht, den „Urheimatmythos“ zu widerlegen.
Die Ausstellung „On the Thread of Shared Traditions“ in der Viandener Burg zeigt interessante Textilien und Möbelstücke der siebenbürgisch-sächsischen Volkskunst aus den Sammlungen des ASTRA-Museums in Sibiu/Hermannstadt.1) Leider genügte die Schönheit der Ausstellungsstücke nicht, sondern sie musste wieder mit dem Mythos der siebenbürgisch-sächsisch-luxemburgischen Verwandtschaft überlagert werden, der seit dem gemeinsamen Kulturjahr Sibiu-Luxemburg 2007 anscheinend weder aus den Luxemburger noch aus den rumänischen Amtsstellen wegzudenken ist. Dabei vereint Rumänien und Luxemburg eine dokumentierte Geschichte: Nicht nur wanderten Menschen aus Luxemburg im 18. Jahrhundert ins Banat aus2) und standen siebenbürgisch-sächsische und Luxemburger Intellektuelle ab dem 19. Jahrhundert in engem Austausch, sondern zwischen 1885 und 1950 waren mehr als zwanzig Männer und Frauen aus Luxemburg in Rumänien in den verschiedensten Bereichen (Petroleum-, Eisen- und Glasindustrie, Baumzucht, Handel und Erziehung) tätig, wie in einer Ausstellung am „Centre de documentation sur les migrations humaines“ in Düdelingen gezeigt wird.3)
Neue und alte „Beweise“ des Urheimatmythos
Während die Diskurse bei der Einweihung der Ausstellung (bei der keine siebenbürgisch-sächsische Person zu Wort kam) den sogenannten Urheimatmythos nur im Vorübergehen erwähnten, was eine positive Überraschung war, ist er auf den Ausstellungsplakaten durchaus zugegen und liegt auch der ganzen Ausstellung zugrunde. Sie greift nämlich auf die (für den Mythos neue) Idee zurück, dass die Verbindung zwischen der siebenbürgisch-sächsischen Bevölkerung und Luxemburg durch das (europaweit äußerst verbreitete) Motiv des Löwen ersichtlich sei. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass in siebenbürgisch-sächsischen Stickereien aus dem 18. und dem 19. Jahrhundert der Löwe wie in Luxemburg in Rot und Blau erscheine, was auf kulturelle Beziehungen und ein gemeinsames Erbe der siebenbürgisch-sächsischen Bevölkerung und „Western European communities“ (?) hindeute. Wie dies genau zu verstehen ist, ist unklar. Sollen die Siedler und Siedlerinnen, die sich im 12. Jahrhundert in Siebenbürgen niederließen, das Luxemburger Wappen, das erst nach ihrer Niederlassung entstand,4) über die Jahrhunderte hinweg bewahrt haben? Oder soll im 18. Jahrhundert, als sich noch nicht einmal die siebenbürgisch-sächsischen Intellektuellen für Luxemburg interessierten, sich das Luxemburger Wappen auf unerklärliche Weise in den siebenbürgisch-sächsischen Städten und Dörfern verbreitet haben?
Die Ausstellung bringt auch erneut den „Beweis“ der ins 19. Jahrhundert zurückreichenden (wohl auf das Lexicon der Luxemburger Umgangssprache (1847) des Luxemburger Gelehrten Jean-François Gangler zurückgehenden5)) Theorie einer siebenbürgisch-sächsisch-luxemburgischen Sprachverwandtschaft. Durch einen Übersetzungsfehler wird der „Saxon dialect“ (in der Einzahl, trotz der Pluralität dieser Sprachvarietäten) auf rheinische „French languages“ (anstelle von fränkischen Sprachen) zurückgeführt. Als Vater der Theorie eines gemeinsamen Ursprungs der „Luxembourgish and Saxon dialects“ erscheint nicht Gangler (oder seine Quelle, der Luxemburger Jesuite François-Xavier de Feller (1735-1802)), sondern der siebenbürgisch-sächsische Gymnasiallehrer Gustav Kisch (1869-1938) mit seiner 1891 verteidigten und 1893 publizierten Dissertation.6) Die Theorie wird in der Ausstellung mit einer Bemerkung über die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Sprachgruppe untermauert sowie der verworrenen Behauptung: „The tight bond with the language from Luxembourg highlights a process of continuity and transformation of linguistic identity in Medieval and Postmodern Europe.“ Daraus wird geschlussfolgert: „The similarities between the two idioms suggest that most of the Saxon colonists in Transylvania originated from Flanders and Luxembourg regions“. Wie die mutmaßliche siebenbürgisch-sächsisch-luxemburgische Sprachverwandtschaft auf eine Herkunft aus Flandern schließen lässt, ist nicht nachvollziehbar. Auch stellt sich die Frage, was die „Region Luxemburg“ im 12. Jahrhundert gewesen sein soll, denn die Grafschaft war zu dem Zeitpunkt ein Flickenteppich.7)
Schwierigkeiten des Belegs der Sprachverwandtschaft
Die Idee einer Sprachverwandtschaft wurde wiederholt von Luxemburger Intellektuellen und später selbst dem Luxemburger Staat unterstützt, wobei die sächsischen Dialekte immer wieder als für Luxemburgischredende gänzlich verständlich oder gar als Luxemburgisch dargestellt wurden. Wie es zu dieser Schlussfolgerung kam, bleibt dem Unterzeichneten, der zehn Jahre lang in Rumänien lebte und Siebenbürger Sachsen und Sächsinnen aus verschiedenen Gegenden in ihrer Sprache reden hörte, jedoch nicht oder kaum verstand, ein Rätsel. Die Verständigung klappte schon 1905 umgekehrt nicht. In einem Bericht des siebenbürgisch-sächsischen Pfarrers Adolf Schullerus (1864-1928) über eine Luxemburgreise 1905 hieß es: „Wir sind nirgend [sic] auf eine Mundart gestoßen, die in ihrer Gesamtheit irgend einer der bekannten siebenbürgischen Dorf- und Stadtdialekte vollkommen oder in den hauptsächlichsten Kennzeichen vollständig entsprochen hätte.“8) Ähnlich schrieb sein Kollege Andreas Scheiner (1864-1946) in einer nuancierten Studie, die 1928 erschien, dass ein Hermannstädter Elementen seiner Sprache in Vianden, St. Vith, Hessen-Nassau, Westfalen, Flandern oder im Elsass begegnen würde: „Nirgends würde er seine ganze Mundart antreffen; die meisten verwandten Stücke immer noch im Luxemburgischen.“9)
Der Beweis einer Sprachverwandtschaft stößt auf mehrere Schwierigkeiten, über die die Urheimat-Anhänger und Anhängerinnen mit Nonchalance hinwegschreiten. Erstens fehlen sowohl in Luxemburg als auch in Siebenbürgen mundartliche Texte aus der Zeit der Niederlassung der siebenbürgisch-sächsischen Siedler und Siedlerinnen. Längere Texte konnte der siebenbürgisch-sächsische Gymnasialdirektor und spätere Bischof Friedrich Müller (1828-1915) erst in der alten Matrikel der Hermannstädter Pfarrkirche finden, die er auf etwa 1346 bis 1400 datierte.10) Zweitens wird die Pluralität der sächsischen Sprachvarietäten übergangen, wobei die siebenbürgisch-sächsischen Sprachforscher sich gerade die Frage stellten, ob die Varietäten Nord- (Bistrița/Bistritz) oder Südsiebenbürgens (Hermannstadt) Luxemburgisch näher ständen. Drittens wird vernachlässigt, dass möglicherweise nicht alle sogenannten Siebenbürger Sachsen und Sächsinnen ab Anfang an germanische Sprachvarietäten redeten und es zu Vermischungen mit anderen Siebenbürger Varietäten kam. Viertens wird die Sprachentwicklung komplett außer Acht gelassen: Die heutigen Sprachen werden verglichen, als ob wenig oder keine Evolution stattgefunden habe. Fünftens werden immer wieder Toponyme zum Vergleich herangezogen, die entweder sehr häufig sind (so Stolzemburg/Stolzenburg) oder gänzlich unterschiedliche Etymologien besitzen. Zum Beispiel ist die älteste eindeutig belegte Form (1322) des siebenbürgischen Kreisch, das mit dem luxemburgischen Greisch in Verbindung gebracht wurde, „Keresd“11) und leitet sich laut dem Etymologen Lajos Kiss von einem Namen wie Christianus oder Christophorus ab.12) Hingegen taucht Greisch 1278 als „Grische“ auf13) und wird von der Philologin Monika Buchmüller-Pfaff auf den Namen Grisius/Crisius zurückgeführt.14)
Schatten des Nationalsozialismus
Die ideologischen Probleme des Urheimatmythos wurden schon von Fernand Fehlen und dem Unterzeichneten hervorgehoben. Fehlen unterstrich insbesondere den Kontrast zwischen der Selbstidentifizierung der Luxemburger Bevölkerung als unabhängige Nation und jener der Siebenbürger Sachsen und Sächsinnen als Deutsche sowie den symbolischen Kolonialismus, der sich hinter der Mobilisierung des Urheimatmythos in Luxemburg verbirgt.15) Auf Fehlens Forschung aufbauend wies ich darauf hin, dass die siebenbürgisch-sächsischen Intellektuellen aus ihrer vermeintlichen Luxemburger Herkunft und ihrer immer stärkeren deutschen Selbstidentifizierung, die in den 1930ern in einem massiven Bekenntnis zum Nationalsozialismus kulminierte, den Schluss zogen, die Luxemburger Bevölkerung müsste auch deutsch sein und fühlen.16) In diesem Zusammenhang begrüßte das Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt, damals Organ der Leitung der deutschen Volksgruppe in Rumänien, am 16. August 1940 die deutsche Besetzung des Großherzogtums als „Heimkehr“ eines „durchaus deutschen Landes“.17) Zudem kam im März 1942 der Siebenbürger Sachse Richard Csaki (1886-1943) für Propagandakonferenzen ins besetzte Luxemburg. Obschon er mit Luxemburgern im Austausch gestanden hatte und ihre nicht-deutsche Selbstidentifzierung kannte, mobilisierte er den Urheimatmythos dazu, das Luxemburger Publikum zur Abwanderung nach Osteuropa zu bewegen, so wie aus den „westdeutschen Landen an Mosel und Rhein und damit besonders auch Luxemburg“ „Ritter, Bürger und Bauern […] das deutsche Schwert und den deutschen Pflug bis […] in die Karpaten trugen“.18) In diesem Kontext stellte Csaki (wie auch schon zur Zwischenkriegszeit durchaus in siebenbürgisch-sächsischen Kreisen üblich) sämtliche anderen „Volksstämme Rumäniens und des Donauraums“ (und somit auch die Rumänen und Rumäninnen) als dem siebenbürgisch-sächsischen „Herrenmensch“ unterlegen dar.19)
Im Jahr 1943 kamen dann auch weitere Siebenbürger Sachsen und Sächsinnen ins besetzte Luxemburg, davon ein Dutzend SS-Offiziere (oder zumindest ihre Familien), die als Umgesiedelte in Stadt Luxemburg sowie im Lebensbornheim „Moselland“ im Bofferdinger Schloss Unterkunft erhielten.20)
Insbesondere wegen des nationalsozialistischen Schattens, der über den siebenbürgisch-sächsisch-luxemburgischen Beziehungen hängt, wiederhole ich meinen Aufruf von 2012, die Verbindungen zwischen der siebenbürgisch-sächsischen und der Luxemburger Bevölkerung wissenschaftlich anzugehen und die rumänisch-luxemburgischen Beziehungen nicht mehr im Namen einer fiktiven jahrhundertealten siebenbürgisch-sächsisch-luxemburgischen Stammesverwandtschaft zu gestalten.
1) „On the Thread of Shared Traditions“, 18. Januar bis 6. April 2025 in der Burg Vianden, Informationen auf https://castle-vianden.lu/fr/events/on-the-thread-of-shared-traditions
2) Daten über die Auswanderer und Auswanderinnen sind in der Luxembourg-Banat Database auf https://www.luxracines.lu/banat/index.php zu finden
3) „Arbres fruitiers, tunnels ferroviaires et tubes sans soudure. Présence luxembourgeoise en Roumanie“, 28. September 2024 bis 28. Februar 2025 (verlängert) in der Gare-Usines, Düdelingen, Informationen auf https://www.cdmh.lu/db/4/1425791502394/0
4) René Klein datierte das erste Wappen mit blauen Balken auf 1239: René Klein, „Zum Ursprung des Luxemburger Wappens“, Hémecht, Nr. 4 (1981): 499-507
5) Siehe J.F. Gangler, Lexicon der Luxemburger Umgangssprache (Luxemburg: V. Hoffman, 1847), III-IV; Andreas Scheiner, „Die Mundart der Sachsen von Hermannstadt. Aufnahmen und Untersuchungen“, Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde, Nr. 2-3 (1928): 564
6) Gustav Kisch, Die Bistritzer Mundart verglichen mit der moselfränkischen (Halle: Ehrhardt Karras, 1893)
7) Martin Uhrmacher, „Von der Grafschaft zum Großherzogtum“, in Der Luxemburg Atlas (Köln: Emons, 2009), 8
8) Adolf Schullerus, „Zur Heimat der Väter“, Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 18. August 1905, 1; auch in Kalender des Siebenbürger Volksfreundes für das gemeine Jahr 1906 (Hermannstadt: Franz Michaelis, [1905]), 126
9) Scheiner, „Die Mundart der Sachsen von Hermannstadt“, 572
10) Friedrich Müller (Hg.), Deutsche Sprachdenkmäler aus Siebenbürgen. Aus schriftlichen Quellen des zwölften bis sechzehnten Jahrhunderts (Hermannstadt: Theodor Steinhausen, 1864), 16-20
11) https://archives.hungaricana.hu/hu/charters/20126/
12) Lajos Kiss, Földrajzi nevek etimológiai szótára. 4. bőv. 1. köt (Budapest: Akadémiai Kiadó, 1988): Keresd.
13) ANLux, A-XXXIX-0094
14) Monika Buchmüller-Pfaff, Siedlungsnamen zwischen Spätantike und frühem Mittelalter. Die -(i)acum-Namen der römischen Provinz Belgica Prima (Tübingen: Max Niemeyer, 1990), 227
15) Fernand Fehlen, „Luxemburg und Siebenbürgen 2007“, auf https://orbilu.uni.lu/bitstream/10993/4517/2/WP_Siebenbuergen.pdf
16) Philippe Henri Blasen, „Der trügerische Blick auf den Anderen. Die Beziehungen zwischen Siebenbürger Sachsen und Luxemburgern in der Zwischenkriegszeit“, in Ovidiu Buruiană und Philippe Henri Blasen (Hgg.), Rumänisch-deutsche Spiegelungen. Die diskursive Darstellung Deutschlands und der Deutschen in Rumänien (1918-1940) (Regensburg: Friedrich Pustet, 2024), 169-184
17) „Deutsches Luxemburg“, Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 16. August 1940, 4
19) WR: „Von lützelburgischer Wesensart im Donauraum. Zum Vortrag von Prof. Dr. Czaki [sic] in der Kreisberufsschule“, Escher Tageblatt, 16. März 1942, 3
18) „Vortragsreihe ,Siebenbürgen‘ in Luxemburg. Lichtbildervorträge durch Dr. Csaki und Dr. Gauß in den verschiedenen Kunstkreisen“, Luxemburger Wort, 10. März 1942, 1
20) ANLux, Mikrofilm C.G. 36; „De‘ 5. Colonn“, D’Unio’n, 26. Januar 1946, 4
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