Zeitgeschichte / Minett Stories: eine transmediale Ausstellung über die Geschichte des Minetts
Am 28. Mai 2022 hat das „Remixing Industrial Pasts“-Team des Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) die virtuelle Ausstellung „Minett Stories“ vorgestellt. Diese Ausstellung präsentiert 22 weniger bekannte Geschichten über das Minett und seine Bewohnerinnen und Bewohner. Dabei werden viele dieser Geschichten multimedial erzählt: als Hörspiel, Graphic Novel, Videoessay oder interaktive Karte. Der Autor, zugleich Projektleiter, gibt im Folgenden einen kurzen Einblick in die Ausstellung.
Virtuelle Ausstellungen sind in den vergangenen fünf Jahren zu einem der Markenzeichen des Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) geworden. So wurden solche Ausstellungen zu durchaus unterschiedlichen Themen wie der Geschichte Luxemburgs während des Ersten Weltkriegs, der Geschichte der Luxemburger Post, der Großbank BGL oder der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien realisiert. Gemeinsam ist diesen virtuellen Ausstellungen, dass sie die Möglichkeiten des digitalen Erzählens nutzen, um verschiedene Besuchergruppen anzusprechen. Neben leicht zugänglichen thematischen Erzählungen bieten sie z.B. Archive mit digitalisierten historischen Quellen an, die die Benutzer eingehend studieren und so selbst zu Historikerinnen und Historikern werden können.
Die neueste Ausstellung „Minett Stories“ ist Teil des „Remixing Industrial Pasts in the Digital Age“-Projekts, das von der Europäischen Kulturhauptstadt Esch2022 gefördert wird. Ein Team aus zehn Forscherinnen und Forschern und einem Designer hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren die Geschichte des Minetts erforscht, eine Geschichtswerkstatt in der Annexe22 auf dem Escher Brillplatz organisiert, in Zusammenarbeit mit dem Mailänder Künstlerkollektiv tokonoma eine multimediale Ausstellung in der Massenoire auf Belval realisiert und nun als Abschluss eine virtuelle Ausstellung veröffentlicht. Thematisch schließt Minett Stories an die bis Mitte Mai in der Massenoire gezeigte Multimedia-Ausstellung an und untersucht die vielfältigen Transformationen von Landschaften, die Identitäten und Identitätskrisen, die Geschichte der Frauen, die Umweltverschmutzung, die Wohn- und Lebensverhältnisse und die Grenzen des Minetts.
Die sechs großen Themen werden in 22 einzelne Geschichten aufgefächert. Einige dieser Minett Stories sind bislang weniger bekannt, einige werfen einen neuen Blick auf bereits Bekanntes und einige decken Episoden auf, die mehr oder weniger aus dem kollektiven Gedächtnis des Minetts verdrängt wurden. Erzählt werden die Ausstellungskapitel transmedial. Diesem Ansatz liegt die Idee zugrunde, dass man unterschiedliche Geschichten am besten in unterschiedlichen Medien für verschiedene Besuchergruppen aufbereitet und präsentiert. Um ein breites und jüngeres Publikum anzusprechen, werden dabei auch fiktionalisierte Erzählformen und ungewöhnliche mediale Präsentationsformate genutzt. Die ganze Ausstellung setzt auf ein spielerisches und interaktives Design, das die Besucher einlädt, auf historische Entdeckungsreise zu gehen. Anhand von vier unterschiedlichen Ausstellungskapiteln und Erzählformaten soll dies verdeutlicht werden.
Zufallsfund im Escher Stadtarchiv
Das Kapitel „Tumulte in Esch“ lässt sich als Hörspiel erkunden. Recherchiert und konzipiert wurde es von Daniel Richter und Julia Harnoncourt, produziert vom Tonstudio Götze. Die Geschichte basiert auf einem Zufallsfund im Escher Stadtarchiv. Die dort erhaltene Korrespondenz zwischen Polizei und Stadtverwaltung gibt Einblick in ein verdrängtes Stück Stadtgeschichte: die Unruhen vom 26./27. November 1918, bei denen 5-6.000 Männer und Frauen über 60 Geschäfte und Privathäuser in Esch verwüstet und geplündert haben. Das 18-minütige Hörspiel schildert in verschiedenen Spielszenen die Entwicklung dieser Unruhen und die Beweisaufnahme durch die Stadtpolizei. Die fiktionalisierte Erzählung lässt die verschiedenen Perspektiven zu Wort kommen, wie sie sich in den Archivdokumenten wiederfinden lassen: die geschädigten Ladenbesitzer, die vermeintlichen Plünderer und die ermittelnden Beamten. Neben dem Hörspiel gibt es auch einen erläuternden Essay, der den zeitlichen Kontext wie auch die erhaltenen Quellen vorstellt und kritisch einordnet. So erfährt man, dass die Stadt ein besonderes Interesse daran hatte, die an den Unruhen beteiligten amerikanischen Soldaten hervorzuheben, da der Stadt ansonsten hohe Straf- und Entschädigungszahlungen drohten.
Das Kapitel „Identitätsstreitigkeiten“ präsentiert einen 20-minütigen Dokumentarfilm, der von Viktoria Boretska und Lars Schönfelder recherchiert, gefilmt und produziert wurde. Ausgangspunkt dieses Films ist der öffentliche Disput, der sich 1987 an der Veröffentlichung des Fotobuchs „Liewen am Minett“ entzündete. In dieser Debatte um das „richtige“ Bild des Minetts ging es einerseits darum, inwiefern Fotografie objektiv die Lebenswirklichkeit einer Industrieregion einfangen kann. Andererseits ging es darum, welches Selbstbild die Bewohner des Minetts hatten und wie dieses mit den im Fotobuch gezeigten Fotos kontrastierte. Während die Fotografen im Sinne der sozialkritischen Fotografie auch die dreckigen Hinterhöfe, beengten Wohnquartiere der Arbeitsmigranten oder die von der Arbeit gezeichneten Körper der Hüttenarbeiter schonungslos festhielten, klammerte die kollektive Identität vieler Minettsdäpp diese negativen Aspekte aus. Der Film lässt den damaligen Kurator des Fotoprojekts (Jean Back) sowie zwei daran beteiligte Fotografen (Philippe Matsas und Jos Rinaldi) zu Wort kommen und befragt zudem junge Fotografinnen und Fotografen nach ihrer heutigen Sicht auf das Minett. Ergänzt wird der Film ebenfalls durch einen Essay, der ausführlicher den historischen Kontext schildert und weitere Quellen präsentiert.
Das Kapitel „Minettsmap 1980“ bietet eine fotografische Zeitreise in die 1980er Jahre: eine Zeit, in der das Minett einerseits noch von den Früchten eines industriellen Jahrhunderts zehrte, andererseits aber Stahlkrise und Strukturwandel ihre langen Schatten vorauswarfen. Auf einer interaktiven Karte können die Besucher viele Dutzende von Schwarz-Weiß-Fotografien erkunden, die Fred Bisenius und Jos Rinaldi unabhängig voneinander aufgenommen haben. Bisenius war Gründer des „Fotokollektiv Schluechthaus“ in Esch, das die Kamera als Waffe der arbeitenden Klasse nutzen wollte. Rinaldi war Maschinenbauingenieur bei Arbed und langjähriger Sekretär des Photo-Clubs Esch. Die beiden verfolgten unterschiedliche Ziele, erkundeten aber mit ihren Kameras die gleichen Ecken des Minetts. Die geo-lokalisierten Fotos zeigen teilweise Aufnahmen der beiden Fotografen, die vom fast gleichen Standpunkt aus aufgenommen worden sind. Gemeinsam ergeben sie ein einmaliges Zeitpanorama des Minetts in den 1980er Jahren. Die interaktive Karte wurde von Viktoria Boretska und Jens van de Maele in Zusammenarbeit mit den beiden Fotografen erstellt.
Verbindung unterschiedlicher Quellen
Das Kapitel „Als italienische Kommunisten die Minett-Region bewohnten“ zeigt eine Graphic Novel, die Irene Portas gemeinsam mit Lars Schönfelder und dem Zeichner Valentin von Uslar-Gleichen entwickelt hat. Der Bilderroman schildert die Erlebnisse von Luigi, einem italienischen Bergarbeiter, der im Minett lebt und arbeitet und sich eines Tages der kommunistischen Bewegung anschließt und dabei hilft, die kommunistische Zeitung Il Riscatto über die Grenze zu schmuggeln. Da Arbeitsmigranten solche politischen Aktivitäten verboten waren, wird er von der lokalen Polizei verfolgt und muss, um seiner Ausweisung zuvorzukommen, nach Belgien fliehen. Die fiktive Geschichte basiert auf Polizeiberichten aus Luxemburger Archiven und kommunistischer Propaganda. Die Verbindung dieser unterschiedlichen Quellen und die von Irene Portas konzipierte Geschichte lässt die Besucher in die Haut des Bergmanns Luigi schlüpfen und ermöglicht so einen neuen Blick auf die soziale und politische Geschichte der 1920er Jahre.
Die anderen Ausstellungskapitel, an denen neben den Genannten auch Laurence Maufort, Marco Gabellini, François Klein, Maxime Derian und Werner Tschacher mitgearbeitet haben, erzählen viele weitere kleine und große Minett Stories. Es gibt eine weitere mehrteilige Graphic Novel zur Luftverschmutzung im Minett, interaktive Videos zur Konsumgeschichte, zum Escher Brillviertel und zur Tagebaulandschaft des Haard sowie Videoessays zur Frauenbewegung, zu Kleinkriminalität und über die in Vergessenheit geratenen Fotoserie „Biller aus dem Minett“, die Ende der 1950er Jahre im Luxemburger Wort erschienen ist. Weitere Podcasts, eine interaktive Karte zu dem Werk von René Wampach und eine Reihe von historischen Essays runden die spannende Entdeckungsreise ab. Die Ausstellung ist dreisprachig (Französisch, Deutsch und Englisch) und rund um die Uhr unter minett-stories.lu zugänglich.
Das „Remixing Industrial Pasts in the Digital Age“-Projekt wird gefördert von Esch2022. Die Ausstellung Minett Stories kann hier besucht werden: https://minett-stories.lu
*Stefan Krebs ist Assistant Professor am C2DH und Leiter des Projekts.
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