Kinofilm „Spencer“ / Diese Lady Di hat eine dunkle Seite
Seit geraumer Zeit ist der verstorbene Medienstar Diana Spencer wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. In dem neuen Diana-Film „Spencer“ erscheint die junge Frau jedoch exzentrischer und eigenwilliger, als ihre Film-Vorgängerinnen waren. Damit revitalisiert der Regisseur Pablo Larraín eine Figur, deren glänzendes Image mit den Jahren verknöcherte.
Nachdem Netflix den Serien-Hit „The Crown“ herausgebracht und gleich darauf mit einer wahren Dokumentarfilm-Kaskade über das Leben von Diana Spencer nachgeschossen hat, ist der Kult um die royale Außenseiterin mit der blonden Föhnfrisur wieder lebendig. Nun ist der Film „Spencer“ im Kino zu sehen. Wollte der Regisseur Pablo Larraín da nur auf den fahrenden Zug aufspringen? Wohl eher nicht, denn für die Leinwand hat der gebürtige Chilene eine Figur erschaffen, die dem düsteren Schatten der zartfühligen Ex-Kronprinzessin des Vereinigten Königreichs gleicht: ebenso zerbrechlich, ebenso deutlich aus dem königlichen Familienkreis hervorstechend, doch auch labiler, rabiater, berechnender – vollgesogen mit Groll gegen den untreuen Charles (Jack Farthing) und dazu fähig, absichtlich Pläne zu torpedieren und Vorschriften wie Traditionen zu missachten, um ihren Willen zu behaupten und langsam dem Käfig zu entfliehen, der für sie das Leben am Hofe ist.
Diese querulantische Unnachgiebigkeit von Diana, die sie wohl auch einige Sympathiepunkte beim Publikum kosten dürfte, gibt der Figur einen neuen, interessanten Twist. Sie bricht mit dem Bild der ehemaligen Thronanwärterin als völlig natürliches, unverdorbenes Wesen und lässt „Lady Di“ in einem mehrdimensionalen Format auferstehen, das verdeutlicht, dass Tiefe nicht ohne eine gewisse Ambivalenz zu gewinnen ist.
Anspielungen auf Verschwörungstheorien
Gleich zu Beginn des Films wird mit einer Einblende darauf aufmerksam gemacht, dass der Film „a fable from a true tragedy“ sei – also eine Interpretation und keine genaue Repräsentation von Dianas Leben darstelle. Damit gesteht sich Larraín einen Spielraum zu, den er nutzt, um eine Art gekrümmte Realität zu entwerfen: eine Welt, die Verzerrungen und den Einschluss des Fantastischen zulässt. Während der Weihnachtstage, die Diana mit dem Rest der Königsfamilie in einem herrschaftlichen Anwesen verbringt, beginnt sie zu halluzinieren und den Geist von Anne Boleyn, die von ihrem Mann Henry VIII. ermordet wurde, zu sehen. Mit ihr fühlt sie sich aufgrund ihrer beiden traurigen Schicksale verschwistert.
Durch diesen Brückenschlag spielt „Spencer“ auch geschickt auf die Verschwörungstheorien rund um den tragischen Tod der wirklichen Diana an. Die damals berühmteste Frau der Welt starb 1997 bei einem Autounfall in Paris, als sie von Papparazzi verfolgt wurde. Nach ihrem Ableben dauerte es nicht lange, bis sich erste Gerüchte um ein royales Mordkomplott verbreiteten. Ein entsprechender Wink hat sich ins Filmscript eingeschlichen. So fragt Diana bei einem Zwiegespräch ihre Vertraute Maggie: „Will they kill me, do you think?“
Gleiches Geschenk für Frau und Geliebte
Auf der Raum-Zeit-Achse von Dianas Leben konzentriert sich „Spencer“ auf einen einzigen Punkt, der zugleich den „Point of no Return“ in Dianas und Charles’ zerrüttetem Verhältnis darstellt: Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass die Ehepartner, die ohnehin in getrennten Betten schlafen und sich nur mehr wie zufällig beim Essen begegnen, bald getrennte Wege gehen werden. Dass Charles seiner Noch-Ehefrau und deren Rivalin Camilla aus Vergesslichkeit die gleiche Perlenkette zu Weihnachten schenkt, bestätigt nur, dass sich zwischen dem Thronanwärter und der geborenen Spencer ein unüberbrückbarer Graben aufgetan hat.
Markant sind schließlich die Gegensätze, die der Film zusammenbringt. Auf der einen Seite gibt es da diese ungeheuerliche Überfülle, diesen unfassbar großen materiellen Reichtum, der sich an jedem der vielen extravaganten Designer-Outfits, die Diana trägt, ablesen lässt. Das Interieur des Schlosses, die vielen exklusiven Speisen, selbst das zeitliche Setting – Weihnachten als Fest der opulenten Verschwendung –, all das unterstreicht, dass es den Royals an nichts als am Mangel selbst fehlt. Demgegenüber stehen die emotionale Kälte, die die Figuren ausstrahlen, die Animositäten, die sich in Blicken und Worten äußern, und die bleierne Einsamkeit Dianas. Ihren eindeutigsten Ausdruck findet diese Isoliertheit in der Bulimie der zweifachen Mutter.
Bei einer Sache Potenzial verschwendet
Wie eingangs erwähnt wurde, wird dem Charakter Dianas in „Spencer“ ein dunklerer Anstrich verliehen, wodurch die Figur an Plastizität gewinnt. Hierdurch wird die mediale Rezeption des Diana-Mythos um eine bisher kaum berücksichtigte Facette erweitert. Deren reale Basis liegt unter anderem in dem virtuosen und zum Teil sehr strategisch wirkenden Umgang Dianas mit den Massenmedien, der vermuten lässt, dass hinter der sich als leidgeprüftes Opfer inszenierenden Ikone auch eine Person steckte, deren schamhaft-kokettes Auftreten in der Öffentlichkeit nicht bar jeglichen Kalküls war (in der Doku „The Story of Diana“ wird dieser Aspekt ansatzweise behandelt).
Leider schafft es der Film nicht, „Lady Di“ aus ihrem Kokon aus Idealisierungen zu befreien, ohne selbst an einem gängigen Klischee entlangzuschrammen: dem der bildschönen, ätherischen, hypersensiblen bis neurotischen jungen Frau, der der Wahnsinn nur gut zu Gesicht steht, weil er mit bzw. in einer ansprechenden Verpackung daherkommt. Ganz nach dem Motto von Ava Max’ Song „Sweet But Psycho“ scheint auch hier die Maxime zu gelten: Psychische Probleme sind sexy, solange die Ästhetik stimmt.
Die richtige Darstellerin gewählt
Dadurch, dass in den Dialogen einerseits immer wieder auf Dianas Äußeres verwiesen wird und andererseits ein breiter Fokus auf ihrer Essstörung liegt, wird ein sehr problematischer Konnex zwischen dieser mentalen Krankheit und dem Streben nach bzw. dem Erhalt von äußerlicher Schönheit geschaffen. Dabei geht es Betroffenen keineswegs um ihr Aussehen und die ihnen so oft unterstellte „Gefallsucht“, sondern um den Ausgleich eines Kontrollverlusts, den sie anderswo in ihrem Leben erleben. Eben diese Unterscheidung wird in „Spencer“ jedoch nicht vollzogen. Davon profitiert hätte die Zentralfigur, die an sich differenziert gezeichnet ist und eine ganze Reihe von gut konturierten Gesichtern zeigt: das der liebevoll-verspielten, aber auch nachlässigen Mutter, das der störrischen Rebellin, die sich dem familiären Druck nicht mehr beugen möchte und sich daher einen Dreck um die Etikette schert, das der cleveren Füchsin, die ihr Charisma wirksam zu nutzen weiß und schließlich das der verzweifelten jungen Frau, die echte Not und echtes Leid in ihrer unglücklichen Ehe mit Charles empfindet.
Bei alledem erweist sich Kristen Stewart – vielleicht entgegen der Erwartung von so manchem Kinogänger – als die ideale Besetzung für den Part. Nicht nur den Akzent Dianas, sondern auch ihre Haltung ahmt die gebürtige Kalifornierin perfekt nach, wenn sie ihre Schultern leicht hochzieht, ihre Ellenbogen nach innen dreht und Mittelfinger und Daumen so zusammenführt, als ob sie etwas mit spitzen Fingern halten würde. Und es sei nur am Rande erwähnt: Wie Larraíns Diana wurde die 31-Jährige in den letzten Jahren so manches Mal als Provokateurin empfunden – unter anderem wegen ihrer Verweigerung, auf jedem roten Teppich für jede Kamera zu lächeln. Über ihren „Schlafzimmerblick“ und ihr „Resting Bitch Face“ wurde dementsprechend zur Genüge in den (sexistischen) Boulevardzeitschriften berichtet. Auch musste Stewart ähnlich wie Diana aus einem engen Gehege ausbrechen – immerhin warf ihre Rolle als Bella in der „Twilight“-Saga einen langen Schatten, der ihre nachfolgende Karriere prägte. Sich davon zu emanzipieren, kostete Stewart viel Zeit, doch spätestens „Spencer“ zeigt: Es ist ihr gelungen.
Der Film läuft noch bis zum 25. Januar im Kino „Utopia“ auf Limpertsberg.
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