Comics im Netz (2) / Mit Plackerei zum putzigen Comic: Valérie Minelli kennt die Angst vor der leeren Seite
Die Luxemburgerin Valérie Minelli lebt und arbeitet seit nun einem Jahrzehnt in ihrer Wahlheimat Saarbrücken, und das mit Erfolg. Internationale Bekanntheit hat ihr die Comicreihe mit der niedlich-gedrungenen „Frollein“-Figur beschert, doch auf ihren Lorbeeren ausruhen möchte sich die freie Illustratorin nicht.
Mit 500.000 Followern auf Instagram gehört die luxemburgische Illustratorin Valérie Minelli keineswegs mehr zu den kleinen Fischen in der internationalen Comicszene. Ihr Projekt „Mrs. Frollein“, nach dem auch ihr Social-Media-Account benannt ist, begleitet sie nun schon seit sieben Jahren – währenddessen ist die Anzahl ihrer Fans ständig gestiegen. Ein Grund zum Feiern? Bestimmt. Doch die Freiberuflerin muss weiter hart arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Comics im Netz
In unserer Reihe „Comics im Netz“ stellen wir Illustratorinnen vor, die besonders im Internet präsent sind und hier ihre Comic-Kunst präsentieren.
„Learning by doing.“ So baue sie sich ihr Business auf, erzählt die 29-Jährige am Telefon. Persönlich treffen kann man sich leider nicht, Minelli wohnt nun schon seit Anfang ihres Studiums 2012 in Saarbrücken. Dahingezogen sei sie, um Kunstgeschichte zu studieren. Nach einem halben Semester habe sie aber auf Freie Kunst umgesattelt, mit Schwerpunkt Malerei und Bildhauerei. „Das lag mir nicht so gut“, erzählt die Künstlerin, die ihre Liebe zu Comics eigentlich durch einen Zufall entdeckte. „In unserer Schule gab es einen Comic-Kurs, der hat mir so gefallen, dass ich mir sagte: Ja, das möchte ich später machen.“
Selbst in der Lehre tätig
Im Master studierte sie deswegen Kommunikationsdesign und spezialisierte sich auf Comics und Graphic Novels. „Dann habe ich noch ein Meisterstudierendenstudium angehängt“, sagt Minelli. „Da geht man in die Lehre und gibt eigene Kurse an der Uni.“ Das Studium hat die Illustratorin im September 2021 beendet, das Fach Comics unterrichtet sie aber weiterhin in Abendkursen. Den Fokus legt sie dabei weniger auf die künstlerische Umsetzung als auf das Storytelling: die Geschichte und der Spannungsbogen, die die einzelnen Bilder miteinander verbinden. „Ich bin nicht die krasseste Zeichnerin“, gibt die Illustratorin lachend zu. „Wie man einen Comic malt, bringe ich den Leuten eigentlich nicht bei.“ Ihre Kurse sind bunt gemischt: Besucht werden sie sowohl von Anfängern, die nur reinschnuppern wollen, als auch Studierenden im Bereich der Illustration, von 14-Jährige genauso wie von 50-Jährigen. „Ich mache das vor allem, weil es mir Spaß macht“, sagt die Luxemburgerin.
Um über die Runden zu kommen, verfügt Minelli zudem über eine Creator-Seite bei Patreon, betreibt einen Online-Shop und übernimmt Auftragsarbeiten. Ihre professionelle Tätigkeit als Illustratorin, die sie seit geraumer Zeit ausübt, hat ihr den Einstieg ins Vollzeit-Berufsleben erleichtert. „Ich habe relativ früh angefangen, mich selbstständig zu machen“, erzählt die 29-Jährige. So sei sie problemlos vom Studium in die Arbeitswelt „gerutscht“ – auch wenn ihr Beruf alles andere als einfach sei. „Es ist kein Geheimnis, dass es schwer ist, als Künstlerin oder Künstler Geld zu machen“, sagt Minelli. Sicher sei die Existenz als Selbstständiger in der Comicbranche nicht. Aus dem Grund müsse man ein Gleichgewicht finden zwischen Projekten, die Geld brächten, und Projekten, die einem am Herzen lägen.
Unter Comiczeichnern networken
Zurück nach Luxemburg ziehen möchte die Comiczeichnerin nicht. „Hier habe ich meine Freunde und meinen Partner“, sagt sie. Zudem wohne sie in einer großen Wohnung, was sie sich im Großherzogtum niemals leisten könne. Minelli ist sich sicher: „Die nächsten Jahre bleibe ich hier.“ Dennoch fährt sie für ihre Arbeit manchmal in die Heimat zurück. Bald wird sie in einem Lyzeum Kurse geben. 2020 hat sie zudem für die Escher Bibliothek ein Wandbild angefertigt – etwas, das sie gerne noch einmal machen würde. „Ich bin nur leider schlecht informiert über Luxemburg“, gesteht die Künstlerin. Umso mehr freue sie sich, wenn jemand mit einer Projektidee auf sie zukomme. „Mittlerweile werde ich auch manchmal auf Comicmessen in Luxemburg eingeladen.“ Nach eigener Aussage wäre sie gerne noch stärker in die luxemburgische Comic-Community integriert.
Ein anderes Netz aus Kontakten hat sich die 29-Jährige schon aufgebaut: „Als Webcomic-Zeichner auf Instagram sind wir vernetzt und kennen uns alle.“ In einer entsprechenden Facebook-Gruppe tauschten sich die Künstler untereinander aus – woraus mit etwas Glück Kooperationen wie Auftritte auf anderen Accounts entstünden. „Manchmal machen wir Guest Comics füreinander“, sagt Minelli. „Oder wir zeichnen gelegentlich zusammen.“
Erfolgreich wider Erwarten
Einen weiten Weg hat die Comiczeichnerin schon zurückgelegt. Ihn prägte bisher ein zentrales Werk: „Mrs. Frollein“, der laut offizieller Website „ein fortlaufender Webcomic über das Leben seiner Schöpferin“ ist. Die kurzen Comicstrips erzählen von kleinen Malheuren, witzigen Situationen oder rührenden Szenen, die das Protagonisten-Paar oder auch die weibliche Hauptfigur „Frollein“ allein erleben.
„Mit ,Mrs. Frollein’ habe ich noch im Bachelorstudium angefangen“, erzählt die Freiberuflerin. Mit dem Projekt habe sie eigentlich nur ihre Modulprüfung bestehen wollen. Dann habe sie ihre ersten Erzeugnisse doch im Internet veröffentlicht. „Ich habe mir damals extra ein Smartphone gekauft, um die Comics auf Instagram zu posten“, erzählt sie lachend. „Und wie es manchmal so ist, hatte ich Glück und sie gingen viral.“ Von da an machte sie mit den kurzen Stories in Bildstreifen-Format weiter.
Ich habe mir damals extra ein Smartphone gekauft, um die Comics auf Instagram zu postenfreischaffende Comiczeichnerin
Mittlerweile hat die 29-Jährige zwei Bücher mit „Mrs. Frollein“-Comics herausgebracht, das eine in Deutschland und das andere in den USA. Für ihr erste Publikation habe sie selbst Verlage angeschrieben – und zunächst ganz viele Absagen kassiert, bis sie schließlich doch eine Zusage erhielt. Beim zweiten Buch war die Situation eine andere: „Da hat man mir auf Instagram geschrieben.“ Gerade macht die Künstlerin noch einen weiteren Schritt nach vorne: „Diesen Januar fange ich, auf Webtoon zu publizieren.“ Die Seite gilt im Westen als die größte Online-Publishing-Plattform für illustrierte Geschichten.
Fans aus fernen Gegenden
„Menschen aus aller Welt können die Geschichten lesen“, sagt Minelli. Das gefällt ihr an der digitalen Veröffentlichung ihrer Comics am besten. Ihre größte Followerschaft lebt in Nordamerika und in der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Diese Menschen hätte sie anders niemals erreichen können.
„Dass die Leute einem immer nette Sachen schreiben, freut mich natürlich auch“, sagt die Comiczeichnerin. Dabei wird sie auch manchmal Opfer von Anfeindungen: Selbstverständlich gebe es auch Menschen, die einem sehr fiese Sachen schrieben. „Ich mache ja eigentlich nur süße Comics und trotzdem gibt es Menschen, die sich da angegriffen fühlen, aber das ist eben das Internet.“ Dementsprechend plane sie dieses Jahr einen Instagram-Entzug. So viel Zeit auf Social Media zu verbringen, finde sie nämlich nicht gesund. Negative Kommentare lösche sie inzwischen gleich, ohne auf sie zu reagieren. „Auf liebe Nachrichten versuche ich mindestens mit einem ,Danke’ zu antworten, aber manchmal sind es einfach zu viele“, sagt die freischaffende Künstlerin.
Mit dem Arbeitsdruck klarkommen
Pro Woche malt Minelli mindestens einen „Mrs. Frollein“-Comic. Für Patreon produziert sie zusätzlichen Content wie Wallpapers oder Illustrationen. „Ich bin leider nicht so effizient beim Arbeiten, wie ich es gerne wäre“, bekennt sie. Die chronische Sehnenscheidenentzündung, mit der sie sich herumplagt, erschwert ihr das Arbeiten zusätzlich: „Ich kann gar nicht so viel zeichnen, wie ich gerne wollte.“ Ihre Arbeitstage dauern manchmal nur vier, manchmal aber auch 12 Stunden. Das hänge von den Deadlines ab.
Auch das Ringen mit dem weißen Blatt oder der leeren Seite ist ihr nicht unbekannt. „Mittlerweile finde ich es schwer, jede Woche etwas Neues zu produzieren, weil irgendwann alles erzählt ist, was einem so im Alltag geschieht.“ Deswegen erfinde sie die Geschichten auch manchmal nur oder stelle sie überspitzt dar. „Ich greife auch auf Sachen zurück, die in der Vergangenheit passiert sind. Das Problem ist, dass man nicht mehr so viel Zeit hat, um sich Geschichten auszudenken, wenn man auch noch andere Arbeiten erledigen muss.“ Das unangenehme Resultat: Manchmal sitze sie Sonntagabend da, ohne dass sie bis dahin an ihrem Comic gearbeitet habe.
„Man merkt irgendwann, dass da Druck besteht – irgendwann war es bei mir so schlimm, dass ich richtig Angst bekommen habe“, erzählt die Luxemburgerin. Sie habe sich gezwungen gefühlt, jeden Sonntag einen Comic zu posten. „Ich habe mir gesagt: Sonst sind die Follower traurig, sonst ist der Algorithmus einem böse und das ist wieder schlecht für die eigene Reichweite.“ Diese Gedanken habe sie nun aber im Griff. Immer wieder rufe sie sich in Erinnerung, dass man auch mal eine Pause machen müsse und dass einem das niemand übelnähme.
Mit Schwung das neue Jahr begrüßt
Davon, dass sich sie „Mrs. Frollein“-Comicreihe mit der Zeit verändert hat, ist ihre Schöpferin überzeugt. „Ich denke, dass die Figuren eine Entwicklung durchgemacht haben.“ In ihrem ersten Buch finde sie die weibliche Hauptfigur oft ziemlich anstrengend: Der Partner von „Frollein“ werde stumm mitgeschleift und müsse sich alles gefallen lassen. „Das ist natürlich auch witzig, aber feministisch nicht so stark.“ Um ein Gleichgewicht zu schaffen, wechsele sie die Rollen nun regelmäßig. So könne man nämlich nicht sagen, das sei typisch weiblich oder typisch männlich. Bevor sie die Comics hochlädt, schickt sie die Bilder immer noch an drei oder vier Freunde. „Ein kleines Testpublikum. Sie müssen mir sagen, ob sie den Comic verstanden haben und witzig finden, denn wenn man ihn selbst zeichnet, ist die Geschichte selbst für einen ja komplett klar.“
Ins neue Jahr startete die Luxemburger Künstlerin mit konkreten Zukunftsplänen. „Ich würde gerne einen anderen Webcomic anfangen – manchmal hat man eben auch ein wenig genug davon, nur eine einzige Sache zu machen.“ Und noch mehr: Da sie sehr gerne Kinderbücher illustriere, plane sie, eines gemeinsam mit ihrer Schwester zu entwerfen. „Meine Schwester schreibt die Geschichte und ich male“, sagt Minelli, die sich schon erste Gedanken über den Zeichenstil und Aufmachung gemacht hat. „Ich fände es schön, wenn man wiedererkennt, dass die Zeichnungen von mir stammen.“ Wann sich das Geschwisterpaar zusammensetzen wird, um das Projekt in Angriff zu nehmen, weiß die Illustratorin noch nicht. Doch anders als „Mrs. Frollein“ sollt das Buch schon aussehen – vor allem soll es farbenfroh werden. „Ich habe es offiziell gesagt“, meint Minelli lachend. „Jetzt muss ich es auch tun.“
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