Kinofilm / Niete auf dem Nil: Der neue Hercule Poirot kann trotz glanzvollen Settings nicht überzeugen
Nach „Mord im Orient-Express“ hat der Regisseur Kenneth Branagh nun mit „Tod auf dem Nil“ den zweiten Krimi um das belgische Detektivgenie Hercule Poirot herausgebracht. Wie sein Vorgänger ist der Film jedoch ein Schlag ins Wasser.
Wie Dominosteine fallen sie: die Mitglieder der Partygesellschaft, die auf einem Luxusdampfschiff in Optik eines mondänen Mississippi-Dampfers den Nil entlang schippern. Die abscheuliche Bilanz nach über zwei Stunden Krimi-Action lautet: fünf Tote, vier wurden mit Schusswaffe niedergestreckt und einem mit einem Skalpell den Hals aufgeschlitzt. Ja, gar grausam geht es zu auf dem Deck des Wasserfahrzeugs, auf dem laut der frischvermählten und steinreichen Linnet Ridgeway-Doyle (Gal Gadot) so viel Champagner gehortet wurde, dass „man damit den Nil auffüllen könnte“.
Beneidenswert, denkt man als Zuschauer, denn den bräuchte man vermutlich dringender als die Reichen und Schönen der bluttriefenden Prunkwelt. Denn nachdem Kenneth Branaghs erste Hercule-Poirot-Verfilmung „Mord im Orient-Express“ 2017 von der internationalen Filmkritik unerbittlich zerrissen wurde, hat der Nordire, der gleich selbst in die Rolle des dandyhaften Belgiers schlüpft, nun die Adaption eines weiteren Agatha-Christie-Romans in die Kinos gebracht – und dabei wieder einmal einen Griff ins Klo getan.
Trockenübungen auf der Tanzfläche
„Tod auf dem Nil“ ist nicht nur wegen der plakativen wie unglaubwürdigen Figurendarstellung (ein No-Go bei jeder guten Kriminalgeschichte!) ein Schuss in den Ofen, sondern auch wegen der überbordenden Ungereimtheiten in der Geschichte sowie teils sehr schrägen Szenen und Wortwechsel, die einen auch scheinbar glauben lassen wollen, dass Frivolität und vulgäre Dämlichkeit gleichbedeutend sind.
So gehen am Anfang des Films Simon Doyle (Armie Hammer) und seine Noch-Verlobte Jacqueline de Bellefort (Emma Mackey) in einer Tanzbar auf Tuchfühlung, kurz bevor Linnet zum ersten Mal auf der Bildfläche erscheint und sich auf Geheiß ihrer Jugendfreundin „Jackie“ mit dem dunkelblonden Beau ins Getümmel stürzt, um ebenso pikant wirkende akrobatische Kunststücke auf dem Dancefloor zu vollführen.
Die Trouser Snake vom Nil?
Die Tanzeinlagen – mehr Dry Humping als tänzerische Darbietung – erinnern an die berüchtigte, in die Geschichte der VMAs eingegangene Performance von Miley Cyrus und Robin Thicke, bei der die Skandal-Sängerin ihren Hintern an dem Schritt des Kaliforniers, der kurz darauf wegen seines sexistischen Songs „Blurred Lines“ öffentlich in Ungnade fiel, rieb. Sexy ist anders, ganz davon zu schweigen, dass der „Male Gaze“ bei der Art, wie die Filmszenen gefilmt wurde, so präpotent ist, dass einen das kalte Grausen packt. Die Tatsache, dass der Schauspieler Armie Hammer in den vergangenen zwei Jahren von mehreren Ex-Partnerinnen der Vergewaltigung bezichtigt wurde, machen die Bilder auf der Leinwand nicht unbedingt erträglicher.
Unfreiwillig komisch wirkt die spätere Aussage Linnets, die, als sie an Simons Gürtel nestelt, von „der Schlange vom Nil“ spricht – ein Easter Egg, das sich in die rekurrente Kleopatra-Motivik des Films einordnet und für Schmunzeln sorgen soll, aber in Wahrheit für Fremdscham sorgt. Apropos Kleopatra-Motivik: Verwiesen wird auch auf die zum Mythos ausgewalzte antike Figur, als am Ende des Films die Leichen der Ermordeten als einbalsamierte Mumien abtransportiert werden oder sich Linnet zwischendurch als die berühmte ägyptische Königin verkleidet, um ihrem Entourage weihevoll zu verkünden, sie würden die restliche Zeit ihrer Flitterwochen auf einem Dampfer verbringen.
Wie diese Szenen zeigen, ist es das tragische, von unglücklicher Liebe geprägte Schicksal des weiblichen Pharaos, das die grundlegenden Themen von „Tod auf dem Nil“ vorgibt, denn die Frage, der der Krimi auf ungeschickte Weise nachzugehen versucht, lautet: Zu welchen Gräueln ist man für die Liebe bereit?
Ein Ende, das man kommen sieht
Die eigentliche Pointe der Story – der letzte Akt, bei dem der Meisterdetektiv die Morde aufklärt und dabei seine brillante Kombinationsgabe zur Schau stellt – ist ihrerseits so vorhersehbar wie platt: Als Zuschauer hat man kein Problem, die verstreuten Hinweise, die Poirot wie eine hungrige Eule aufpickt und später als unverdauliche Fraßreste vor versammelter Crew wieder hervorwürgt (man verzeihe das unappetitliche Bild), ebenfalls zu bemerken und sich so die doch sehr unglaubhaft wirkenden Verstrickungen zusammenzureimen.
Um nur ein Beispiel zu geben (Achtung: Spoiler nach dem Doppelpunkt!): Dass der zu dem Zeitpunkt scheinbar trauernde Witwer Simon nach einem Beinschuss durch seine Ex-Freundin Jacqueline innerhalb von Milli-Sekunden ein weißes Tuch auf die Wunde presst, das er zuvor nicht in der Hand gehalten hatte, ist so auffällig dargestellt, dass man sofort versteht, dass der Gewaltausbruch fingiert ist. Spätestens da riecht man den Braten und kann sich denken, wer tatsächlich hinter der Mordserie steckt.
Ein schickes Accessoire für Poirot
In einer der eigentlichen Geschichte vorgeschobenen Backstory geht es dann um die einzig wichtige Frage, die man sich als eingefleischter Poirot-Fan stellt: Wie kam der schrullige Meisterdetektiv mit dem auffälligen Akzent eigentlich zu seinem Schnurrbart? Spaß beiseite: Um der Figur mehr Tiefe zu geben, wird sie mit einer rührselig-traurigen Vorgeschichte bestückt – über diese erhält der Zuschauer durch die Rückschau die wichtigsten Informationen. Im Ersten Weltkrieg wurde Poirot, nachdem er seine Kompanie auf dem Schlachtfeld gerettet hatte, bei einer Explosion im Gesicht verletzt.
Kurz darauf wird er von seiner Verlobten im Lazarett besucht. Sie hat, als er ihr seine tiefen Fleischwunden im Gesicht zeigt, gleich die passende Lösung für den Leidenden parat: Er solle sich doch einfach einen Schnurrbart wachsen lassen. Gesagt, getan – doch leider verliert Poirot seine große Liebe später durch eine Granatenexplosion. Unstimmig und mit den Haaren herbeigezogen (Achtung: Wortwitz) wirkt diese Hintergrundgeschichte, weil auf Narben schlicht keine Haare wachsen. Fein gezwirbelte Schnurrbarthärchen bilden da keine Ausnahme, wie famos sie auch aussehen mögen.
Widersprüche à gogo
Nachdem man als Zuschauer schon drei Viertel des Films hinter sich gebracht hat, wundert man sich auch nicht mehr darüber, dass, als aufgedeckt wird, dass Linnets Cousin und Treuhänder Andrew Katchadourian (Ali Fazal) einen Mordversuch an der Millionenerbin und ihrem frisch angetrauten Gatten Simon begangen hat, der Beschuldigte beteuert, er habe plötzlich und in einem Moment geistiger Umnachtung gehandelt – in der Rückblende aber dann gezeigt wird, dass er einen Steinblock an der Tempelstätte Abu Simbel mit einem Brecheisen gelockert hat. Wo er das Werkzeug ganz spontan oben auf der Baute gefunden haben soll, wird nicht erklärt.
Ebenso wenig verwunderlich ist es dann, dass Poirot den Fast-Mörder am Ende einfach so davonkommen lässt, während er seinen Freund Bouc (Tom Bateman), der auf dem Schiff eine Kette gestohlen und sie später zurückgegeben hat, bei der Polizei anschwärzen möchte, wodurch dem reuigen Dieb eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren blüht.
Nach zwei verpatzten Krimiroman-Adaptationen will man hoffen, dass Kenneth Branagh zukünftig die Finger von der Figur des hochelegant gekleideten Außenseiters Poirot lässt. Auf seinen autobiografisch geprägten Film „Belfast“, der Anfang März hierzulande im Kino erscheinen wird, dürfte man allerdings gespannt sein.
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