Gemeindefinanzen / Nordgemeinden: Arm sein und arm bleiben? – Kritik an Verteilung öffentlicher Gelder
Nicht nur aus Leudelingen und Niederanven kommt Kritik an der Verteilung der Gemeindefinanzen. Auch im Norden gibt es sie. In der dünn besiedelten Region des Landes gipfeln einzelne Berechnungsgrundlagen in dem Gefühl: Wer schon arm ist, soll es auch bleiben. Es geht um die Gewerbesteuer und die Beiträge der Gemeinden zum „Fonds pour l’emploi“.
Der Norden Luxemburgs ist dünn besiedelt, es gibt viel Raum und viel Natur und im Gegensatz zum Rest des Landes zwar Gewerbezonen, aber wenig Industrie. Die meisten Gemeinden gehen pragmatisch mit ihren Budgets um und streben ausgeglichene Konten anstelle hoher Verschuldung an. Viel anderes lässt deren Volumen auch nicht zu. Wie in allen anderen Gemeinden des Landes stammen die meisten Einnahmen aus dem „Fonds de dotation globale des communes“ (FDGC).
Für Weiswampach bedeutete das im Jahr 2024 Einnahmen aus dem FDGC von 10,1 Millionen Euro bei einem Gesamtvolumen der Gemeindekasse von 14,5 Millionen Euro. In der Nachbargemeinde Wintger betrugen 2023 die FDGC-Einnahmen 21,3 Millionen Euro bei Gesamteinnahmen von 27,4 Millionen Euro. Die staatlichen Einnahmen sind eine wichtige Geldquelle – nicht nur für die Nordgemeinden. Für die jeweilige Höhe, wie das Volumen des FDGC-Topfes jährlich an die 100 Gemeinden im Land verteilt wird, gibt es Kriterien.
Das Gleiche gilt für die Einnahmen des FDGC. Eine davon ist die Gewerbesteuer, die die in der Kommune ansässigen Firmen zunächst an die Gemeinde zahlen, die sie dann an den FDGC weiterleiten. Für Weiswampach beispielsweise heißt das: „2022 haben wir 7,5 Millionen Euro Gewerbesteuer eingenommen und durften nur 1,2 Millionen Euro davon behalten“, sagt Néckel Polfer (49), seit den Wahlen 2023 parteiloser Schöffe in der Nordgemeinde. Es gibt in dem Jahr noch drastischere Fälle.
Von der Gewerbesteuer bleibt zu wenig in den Gemeinden
Das zeigt die Antwort der damaligen LSAP-Innenministerin Taina Bofferding auf die parlamentarische Anfrage Nr. 7924. Leudelingen nimmt im selben Jahr 23,3 Millionen Euro Gewerbesteuern ein und erhält 1,4 Millionen Euro aus dem FDGC zurück. Niederanven nimmt 43,1 Millionen Euro ein und erhält 3,5 Millionen zurück. Extrem ist die Situation in Sandweiler. 2022 nimmt die Gemeinde 67 Millionen Euro Gewerbesteuer ein und bekommt zwei Millionen aus dem FDGC. Das Gefühl, da stimmt etwas nicht, hat sich nicht nur im Norden eingestellt.
Die Gemeinden Leudelingen und Niederanven haben mittlerweile Klage gegen die Art der Verteilung eingereicht. Ausgang offen. Dabei war die Verteilung der Gemeindefinanzen gerade erst 2017 reformiert worden, um derlei Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Aber soziale Gerechtigkeit sind zwei kleine Worte für eine große Aufgabe, bei deren Erfüllung der Schuss auch mal nach hinten losgehen kann. „Irgendwann haben Gemeinden keinen Grund mehr, Betriebe anzusiedeln“, sagt der Weiswampacher Schöffe Polfer, dessen Zuständigkeit die Gemeindefinanzen beinhaltet.
Zu wenige neue Arbeitsplätze schaden dem Land
„Sie müssen die Gewerbezonen unterhalten – das kostet“, denkt er als Praktiker weiter und malt düstere Szenarien aus. „Wir verlieren als Land, wenn keine Arbeitsplätze hinzukommen.“ Weiswampach, mit knapp 2.500 Einwohnern, bietet rund 5.500 Arbeitsplätze. Das ist viel. Polfer stört sich vor allem daran, dass der Verteilungsschlüssel beim FDGC an die Bevölkerung gebunden ist. Dabei gilt vor allem der Begriff „angepasste Bevölkerung“, der die Einwohnerdichte beinhaltet.
In Weiswampach ist die Dichte der Bevölkerung mit 65,6 Einwohnern pro Quadratkilometer gering, was auch für andere Nordgemeinden gilt. In der Hauptstadt, das andere Extrem, wohnen 2.580 Einwohner auf einem Quadratkilometer. Ein weiteres Kriterium ist die Tatsache, ob die Gemeinde nach dem neuen Landesplan ein „Centre de developpment et d`attraction“ (CDA) ist. Die CDAs sind im neuen, unter der Vorgängerregierung entwickelten Landesplan definiert. Clerf ist eines, Wiltz ist eines, genauso wie Vianden und Ettelbrück.
Weiswampach ist keines. Um die Bevölkerungszahl zu steigern, werden Fusionen zwischen Gemeinden angepriesen. Sie sind politisch gewollt und werden finanziell belohnt. Für viele reicht das nicht. Es ist zwar richtig, dass eine Fusion zunächst die Bevölkerungszahlen in die Höhe treibt, gleichzeitig entstehen aber Investitionszwänge. Oft bauen Fusionsgemeinden eine neue Schule, der Transport aus allen Ortsteilen muss anschließend organisiert und viel mehr Gemeindegelände müssen gemanagt werden.
Verteilungsschlüssel ungerecht
Polfers Fazit lautet denn auch: „Ein Verteilungsschlüssel, der bei den Berechnungen, wer was bekommt oder einzahlt, zu 80 Prozent auf der Einwohnerzahl basiert, ist überdimensioniert.“ Der Schlüssel zur Verteilung der Gewerbesteuer ist nicht der einzige Mechanismus, der stört. Umgekehrt gilt die gleiche Kritik bei den Beiträgen der Gemeinden zum „Fonds pour l’emploi“, aus dem das Arbeitslosengeld finanziert wird. „Wir sind im Norden nicht die reichsten Gemeinden, das ist bekannt“, sagt Polfer. „Wir zahlen aber das Meiste ein und das entrüstet die Leute.“
Clerf, Park Hosingen, Weiswampach, Ulflingen und Wintger zahlen mit einer Gesamtbevölkerung von rund 20.700 Einwohnern in den fünf Gemeinden mit 35 Prozent mehr als ein Drittel der gesamten Beiträge in den „Fonds pour l’emploi“. Gerechnet an einer Gesamtbevölkerung von 661.000 Einwohnern im Land, machen die fünf Nordgemeinden aber gerade einmal rund drei Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die Berechnungen stammen aus dem Weiswampacher Rathaus und werden von anderen bestätigt. Dazu zählt der bei den Lokalwahlen 2023 neu ins Amt gewählte Bürgermeister von Wintger „Luss“ Meyers (60), von Beruf Landwirt. Ihn treiben ähnliche Überlegungen um.
Nordgemeinden „abgestraft“
Knapp 5.000 Einwohner hat die mit 113 Quadratkilometern und 28 Ortschaften und Weilern flächenmäßig größte Gemeinde im Land. Auch dort ist die Einwohnerdichte mit 44 Einwohnern pro Quadratkilometer gering. „Die Nordgemeinden sind seit der Reform abgestraft worden“, sagt Meyers. „Und wir kommen ganz schlecht weg.“ Zahlen verdeutlichen dies. Vor der Reform von 2017 habe die Gemeinde Wintger rund 60.000 Euro in den „Fonds pour l’emploi“ einbezahlt, heißt es aus dem Rathaus.
Nach der Reform im Jahr 2022 waren es 2,2 Millionen Euro und 2023 stieg der Betrag noch mal auf 2,7 Millionen. Die Hauptstadt, Lorentzweiler, Mamer, Manternach oder Mersch zahlen gar nichts ein, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Deren Einwohnerdichte ist höher. Die fünf Nordgemeinden wollen mit dem neuen Innenminister darüber sprechen und die festgestellten Mängel vortragen. Das sagt der Bürgermeister von Wintger. Weiswampachs Schöffe Polfer wünscht sich einen Perspektivwechsel in dieser Sache. „Ich hoffe, dass die neue Regierung einen Weg findet, das besser zu kalibrieren“, sagt er.
Einnahmen des FDGC
Laut Gesetz vom 14. Dezember 2016 wird der Fonds für die Gesamtdotierung der Gemeinden jährlich mit den folgenden Beträgen ausgestattet:
– 18 Prozent des Aufkommens der durch Bemessungsgrundlage festgesetzten Einkommensteuer natürlicher Personen und der von den Gehältern und Löhnen einbehaltenen Steuer;
– 10 Prozent des Aufkommens der Mehrwertsteuer abzüglich der Beträge, die der Europäischen Union als Eigenmittel aus dieser Steuer geschuldet werden;
– 20 Prozent des Aufkommens der Kraftfahrzeugsteuer;
– 65 Prozent des Aufkommens der kommunalen Gewerbesteuer, wobei dieser Betrag durch zusätzliche Beiträge der Gemeinden erhöht wird, deren kommunales Gewerbesteueraufkommen pro Einwohner 35 Prozent des kommunalen Gewerbesteueraufkommens pro Einwohner des Landes übersteigt;
– einem Pauschalbetrag, dessen Berechnungsweise jährlich im Haushaltsgesetz festgelegt wird.
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