Familien- und Gesundheitspolitik / Planning familial über die neue Regierung: „Es ist ein Wille zu spüren“
Der jüngst verliehene Spitzenplatz im europaweiten „Contraception Policy Atlas“ 2024 ist eine Auszeichnung für die Verhütungspolitik hier im Land. Es ist auch ein Teilsieg für das „Planning familial“. Themen wie Verhütung, sexuelle Aufklärung und Hilfe bei ungewollten Schwangerschaften gehören zur DNA der Organisation. Fortschritte auf diesen Gebieten sind oft das Ergebnis langer politisch-gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.
Gesellschaftlich brisant ist das eine. Klischees und eine politische Denke, die an den Realitäten der Frauen vorbeigehen, sind das andere. Das häufigste und wahrscheinlich hartnäckigste Klischee geht so: sehr jung, ungebildet, schlecht aufgeklärt und ungewollt schwanger. Zahlen widerlegen das. Der weitaus größte Teil der Frauen, die bei der Organisation Hilfe bei einer ungewollten Schwangerschaft suchen, ist zwischen 25 und 35 Jahre alt.
2023 betrug das Durchschnittsalter 29 Jahre und es betrifft Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten. „Das sagen unsere Zahlen, die aber nicht gleichbedeutend sind mit den Zahlen vom ganzen Land“, sagt Céline Gérard (49), seit neun Monaten die Direktorin der Organisation, und spricht damit ein Problem an. Das „Planning“ ist die einzige Organisation im Land, die überhaupt Daten im Bereich Sexualverhalten erhebt.
„Deswegen wollen wir unbedingt eine ,enquête nationale‘“, wiederholt Ainhoa Achutegui (45), seit 2015 Präsidentin der Organisation – eine Forderung, die sie schon vor der Nationalwahl 2023 geäußert hat. In ihren Augen ist das längst überfällig. Obwohl Luxemburg gerade zum Spitzenreiter des europaweiten „Contraception Policy Atlas“ gekürt wurde, fehlen nicht nur belastbare Zahlen zur Verhütung, sondern auch zu den landesweit durchgeführten Abbrüchen.
Der Platz eins im europäischen Verhütungsatlas ist eine Ehrung, aber nicht das Ende der Fahnenstange. Dass Verhütungsmittel seit April 2023 gratis sind, begrüßt das „Planning“ zwar, moniert aber gleichzeitig, dass Kondome nicht dazu gehören. Die Verhütungsmethode ist beliebt und schützt vor sexuell übertragbaren Infektionen. Umso genauer ist die hauseigene Bilanz zu den Schwangerschaftsabbrüchen.
713 Abtreibungen wurden beim „Planning“ bis zu acht Wochen nach der letzten Periode an den drei Standorten der Organisation durchgeführt. 135 Frauen wurden an das CHL überwiesen und 16 haben den Eingriff im Ausland vornehmen lassen. Es würde der Arbeit der Organisation aber nicht gerecht, sie nur auf dieses medial wirksame Thema zu reduzieren. Die Mitarbeiterinnen werden mit vielem konfrontiert.
Sexualisierte Gewalt nimmt zu
2023 haben sie in den drei Zentren 49.828 persönliche Anfragen beantwortet, was einem Anstieg gegenüber dem Vorjahr um neun Prozent entspricht. Würde man die 21.270 Telefonanrufe hinzurechnen, erhöht sich die Zahl auf 71.098 Kontakte mit Rat suchenden Menschen. Beratung und Hilfe für Opfer von inner- und außerfamiliärer Gewalt ist eines der Hauptanliegen.
Mit 253 Opfern von sexualisierter oder häuslicher Gewalt, die beim „Planning“ betreut wurden, stieg deren Zahl im Vergleich zum Vorjahr um 169 Prozent. Die Steigerung entspricht einem allgemeinen Trend, den auch andere wie die Polizei melden. Von den 78 Opfern von sexualisierter Gewalt waren 17 minderjährig und wurden vor dem Alter von 18 Jahren missbraucht. Direktorin Gérard kennt sich bei diesem Thema gut aus.
17 Jahre lang betreute die ausgebildete Psychologin und Psychotherapeutin zuvor solche Fälle bei „Femmes en détresse“. Das ist die praktische Arbeit, politisch steht genauso viel auf dem Prüfstand. Das geltende Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch wird in diesem Jahr zehn Jahre alt. Damals galt es als großer Durchbruch. „Wir wünschen uns eine Überarbeitung, die dem heutigen Wissen gerecht wird“, sagt Planning-Präsidentin Ainhoa Achutegui.
„Infantilisierend“
Vor allem die Frist für einen Abbruch – derzeit bis zur 12. Woche – wirkt veraltet. Andere Länder wie Belgien, die Niederlande oder Frankreich sind längst weiter. Das „Planning“ setzt sich für die 14. Woche ein. Auch sieht das Gesetz zwischen Entscheidung und tatsächlichem Eingriff drei Tage Wartezeit voraus, ein weiterer Störfaktor in den Augen der Organisation. Präsidentin Achutegui wird deutlich: „Das ist infantilisierend und paternalistisch gegenüber den Frauen“, sagt sie.
Dennoch gibt es Schritte, die Hoffnung machen. „Féminicide“ soll laut Koalitionsabkommen unter Strafe gestellt werden und es besteht die Aussicht auf ein „Centre national d’accueil pour les victimes de violences sexuelles“. Die Arbeit der Organisation interessiert. Kürzlich waren Vertreterinnen der Organisation nur knapp drei Monate, nachdem die neue Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat, im nationalen Ethikrat eingeladen. „Das haben wir als sehr positiv empfunden“, sagt Achutegui. „Es ist ein Wille zu spüren.“
„Planning familial“
Die Organisation mit ihren drei Standorten bietet kostenlose medizinische, gynäkologische, psychologische und soziale Beratungen im Bereich der sexuellen, affektiven und reproduktiven Gesundheit an. 23 Vollzeitstellen gibt es beim Planning. Die Belegschaft setzt sich aus Ärzten, Psychologen, Sexualwissenschaftlern und Sozialarbeitern zusammen, die Ehe- und Familienberatung leisten sowie nach und vor einem Schwangerschaftsabbruch oder bei einer Schwangerschaft beraten. Deren Zahl steigt. Nach Planning-Angaben waren das 4.238 Menschen, bei denen 18.638 Beratungen durchgeführt wurden, was einem Anstieg im Verhältnis zum Vorjahr um 13 Prozent gleichkommt. Von den 253 Opfern von Gewalt haben 84 Anzeige erstattet, ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Das „Planning familial“ hat eine Konvention mit dem Gesundheitsministerium.
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