Kino / Viel Diplomatie und noch mehr Dramatik: „Munich – The Edge of War“ von Christian Schwochow
Der Netflix-Film „Munich – The Edge of War“ basiert auf einem Roman von Robert Harris – er behandelt aber auch ein interessantes Stück Geschichte im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges.
München, September 1938. Bei einer geschichtsträchtigen Konferenz in der bayrischen Landeshauptstadt unterzeichnen die Regierungschefs von Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien das sogenannte „Münchner Abkommen“. Darin wird festgehalten, dass die Tschechoslowakei das Sudetenland – ein Gebiet, in dem vorwiegend deutschsprachige Menschen wohnen – an das Deutsche Reich abtreten muss. Damit wird die von den Nationalsozialisten provozierte „Sudetenkrise“ beendet. Das Abkommen ist eine Reaktion auf die Verlautbarung Hitlers, in das mitteleuropäische Binnenland, das übrigens zum Treffen nicht eingeladen wurde, einmarschieren zu wollen. Die anwesenden politischen Entscheidungsträger möchten einen Krieg verhindern, in den eine ganze Reihe von Ländern – darunter auch Großbritannien und Frankreich – mit hineingezogen werden.
Das ist der historische Kontext, auf dem „Munich – The Edge of War“ (auf Deutsch: „München – im Angesicht des Krieges“) fußt. Der Film bereitet aber nicht direkt die realgeschichtlichen Vorfälle auf, sondern behandelt das fiktionale Geschehen, das im Roman „Munich“ von Robert Harris beschrieben wird. Nach der Vorlage von Harris’ Text nimmt der Film die Tage vor dem Zusammenkommen der Staatsoberhäupter sowie das Meeting selbst in den Blick und faltet vor diesem Hintergrund einen spannenden und ausgeklügelten Plot auseinander, der zeigt, wie viel Diplomatie und Fingerspitzengefühl internationale Politik gerade in Krisenzeiten braucht – und im Angesicht welcher Gefahren Verhandlungsgeschick und Etikette vielleicht fehl am Platz sind.
Der Walzer auf dem rutschigen politischen Parkett
„Munich – The Edge of War“ wirft somit unter anderem die Frage auf, ob Neville Chamberlain, der englische Premier, die imminente Gefahr, die von Hitler ausgeht, in einem entscheidenden Moment völlig verkennt oder ob zu diesem Zeitpunkt auch stichhaltige Argumente für seine „Appeasement-Politik“ sprechen, denn sie ist schließlich darauf ausgelegt, zu vermitteln und das Gegenüber durch Zugeständnisse zu besänftigen, um auf die Weise den Frieden zu wahren. Wie Chamberlain selbst an einer Stelle sagt: „Wir wählen nicht die Zeiten, in denen wir leben, wir wählen nur, wie wir auf sie reagieren.“ Eben diese verschiedenen Reaktionsweisen nimmt der Film unter die Lupe, und zwar durch gut gescriptete Konfrontationen zwischen ihren jeweiligen Vertretern. Durch diese werden das Dafür und das Dagegen einer jeden Position beleuchtet und gegeneinander abgewogen.
Nun dreht sich der Film aber nicht nur um den Eiertanz politischer Entscheidungsträger, sondern auch um die Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Männer. Auf der einen Seite hätten wir da den Sekretär des „Prime Minister“, genannt Hugh Legat (George MacKay), der von seinem deutschen Freund Paul von Hartmann (Jannis Niewöhner) wegen seiner Zugeknöpftheit und Distanziertheit mehrmals im Film geneckt wird. Auf der anderen Seite steht von Hartmann selbst: ein leidenschaftlicher Patriot, der zunächst an die Verheißungen von Hitler glaubt und deutlich aufbrausender und temperamentvoller als sein britischer Kumpel ist. Die beiden gelehrten Männer, die sich in Oxford kennenlernten, haben sich – wie man in einer Rückblende erfährt – wegen ihrer unterschiedlichen politischen Ansichten so zerstritten, dass die Freundschaft bis 1938 auf Eis gelegt wird. Von Hartmanns kurz aufblitzende Radikalität erschütterte damals den zurückhaltenden und vernünftigen Hugh.
Ein hochkarätiges Cast als Ass im Ärmel
Der junge deutsche Mann, der später als Dolmetscher auftritt, ändert seine Ansicht gegenüber Hitler jedoch und plant schließlich mit zwei anderen ranghohen Militärangehörigen einen Putsch gegen den Diktator. Dann – kurz vor der Konferenz – gelangt ein brisantes Dokument in seinen Besitz: ein Sitzungsprotokoll, in dem Hitlers geheime Pläne für einen Eroberungskrieg stehen. Dieses Schriftstück versucht er nun über Hugh an den englischen Premier weiterzugeben in der Hoffnung, dieser würde das Münchner Abkommen nicht unterschreiben. Denn dass Hitler Böses im Schilde führt und ein blutiger Konflikt auch mit dieser Konzession immer näher rückt, beweist die getippte Niederschrift.
Mit „Munich – The Edge of War“ hat der Regisseur Christian Schwochow einen packenden Film geschaffen, bei dem besonders einzelne Szenen durch ihre hervorragende Dramaturgie und ihren nervenaufreibenden Charakter hervorstechen. Beide Hauptdarsteller – George MacKay und Jannis Niewöhner – spielen ihre Rollen außergewöhnlich gut, da ihnen ihre Angst und Anspannung, die Teil der Rolle ist, so deutlich anzusehen ist, dass man befürchtet, alleine deswegen würde ihr Plan jede Sekunde auffliegen. Auch die anderen Schauspieler überzeugen bei ihrer Performance. Zu dem Cast gehören unter anderem: Jeremy Irons (Neville Chamberlain), Alex Jennings (Sir Horace Wilson), Sandra Hüller (Helen Winter), Jessica Brown Findlay (Pamela Legat), Mark Lewis Jones (Sir Osmund Cleverly).
Auf diese Stereotype hätte man verzichten können
„Munich – The Edge of War“ ist alles in allem ein sehenswerter Film, nur seien drei Dinge angemerkt: Erstens ist der Film eben gerade wegen der Komplexität der geschichtlichen Ereignisse äußerst kompakt, die Dialoge weisen ein hohes Tempo auf und die Szenen wechseln sich in einem schnellen Rhythmus ab. An sich ist das kein Problem – jedoch wirkt die Handlung dadurch manchmal ein wenig unübersichtlich und die Zuschauer, die von den historischen Hintergründen nichts wissen, laufen Gefahr, zwischenzeitlich etwas verwirrt zu werden. Ein wenig Background-Wissen sollten sie deswegen idealerweise mitbringen.
Außerdem ist es schade, dass der Film nationale Stereotype durch die Darstellung des ungleichen Freundespaars zementiert. Denn Hugh soll mit seiner „stiff upper lip“ natürlich „very british“ wirken und von Hartmanns Charakter werden seinerseits chauvinistische Tendenzen verliehen. Auch hätte der Konflikt zwischen Hugh und seiner Ehefrau, der klischeehaft wirkt, nicht noch am Rande reingefummelt werden müssen, um der Figur eine Scheintiefe zu verleihen. Davon abgesehen sorgt „Munich – The Edge of War“ für gute Unterhaltung und bringt den Zuschauern letztlich näher, wie schwierig Außenpolitik ist – und welche Tragweite politische Entscheidungen haben, die mit einem einfachen Stift und Papier besiegelt werden können.
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