Comics im Netz (3) / Wie aus einer Hobbyzeichnerin ein „Webtoonist“ wurde: Cynthia Schmitz erzählt ihre Geschichte
Rund 187.900 Abonnenten hat Cynthia Schmitz’ Webtoon „Skye“. Dieser Erfolg ist nicht nur die Frucht jahrelanger Arbeit, sondern auch die Folge der Entscheidung, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen und der Öffentlichkeit ihren Comic zu präsentieren. Wie die Geschichte der Luxemburgerin zeigt: Mut zahlt sich aus.
Cynthia Schmitz hat das geschafft, was nur wenigen Comiczeichnern international vorbehalten ist: „Original creator“ bei Webtoon zu werden. Seit Ende 2019 arbeitet sie für den Online-Publishing-Giganten für illustrierte Geschichten, dessen Wurzeln in Südkorea liegen, und veröffentlicht dort ihren digitalen Comic „Skye“. Mit fast 187.900 abonnierten Lesern siedelt sich ihre Erzählung bereits im Mittelfeld der beliebtesten „Webtoons“ an – und geplant sind zwei weitere Staffeln. Dabei habe sie zunächst ganz andere Karrierepläne verfolgt, erinnert sich die 28-Jährige heute. Dem Tageblatt erzählt sie, wie es trotzdem zu ihrem Durchbruch kam, was sie nach dem Abschluss von „Skye“ vorhat und wie lange ihre Leidenschaft für die bunten Bildstreifen schon andauert.
Comics im Netz
In unserer Reihe „Comics im Netz“ stellen wir Illustratorinnen vor, die besonders im Internet präsent sind und hier ihre Comic-Kunst präsentieren.
„Als Kind habe ich unglaublich viele Mangas gelesen, und das hat mich bis zu meiner Teenie-Zeit begleitet“, sagt Schmitz. „Gleichzeitig habe ich auch Comics gelesen, aber Mangas waren immer stärker präsent in meinem Leben.“ Den festen Plan, Comic-Künstlerin zu werden, gab es für sie jedoch nicht. „Weil ich den Malstil der Zeichner so schön fand, habe ich aus Spaß angefangen, nebenbei zu zeichnen“, erzählt die Luxemburgerin. „Ich habe mir aber nie gedacht: Ja, das kann ich als Job machen.“ Das professionelle Comiczeichnen habe sie nämlich eher mit Japan in Verbindung gebracht.
Webtoon
„Webtoon“ nennt sich ein großer Online-Publisher für Webcomics, der in Südkorea gegründet wurde und nun verschiedene nationale Ableger hat. Als „Webtoons“ werden auch die Stories bezeichnet, die auf der Seite gezeigt werden. Die Künstler, die ihre Comics auf Webtoon veröffentlichen, werden „Webtoonists“ oder auch „Webtoon-Artists“ genannt.
Eine Kursänderung mit Folgen
„Mit der Zeit traf ich auf immer mehr deutsche Mangaka, aber gleichzeitig hatte ich im Kopf: Nein, das kann ich nicht machen“, erklärt die Comiczeichnerin, die in Dippach lebt und arbeitet. Deswegen habe sie sich in ihrer Schulzeit zunächst für den paramedizinischen Bereich entschieden und eine dementsprechende Spezialisierung gewählt. „Ich wollte keinen Beruf in der Kunstbranche, ich habe das gar nicht als Option wahrgenommen – dann habe ich aber gemerkt, wie viel das Malen mir bedeutet, und die Richtung meiner Studien geändert.“
Ich habe mir aber nie gedacht: Ja, das kann ich als Job machen.Webtoon-Artist
Als Schmitz merkte, dass sie noch einen anderen Weg einschlagen konnte, fiel ihre Wahl auf die „Section artistique“. Nach ihrem Schulabschluss in Luxemburg führte sie ihr Weg dann nach Belgien. „Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es in Richtung Comic gehen würde, ich wollte nur unbedingt etwas im Bereich der digitalen Kunst machen.“ Zunächst visierte sie die Gaming-Industrie an und wählte den Studiengang „Digital Arts and Entertainment“. Besonders interessiert habe sie den Bereich der „Pre-Production“, also die Konzeptarbeit, die das Entwerfen einer Storyline und die Entwicklung von Charakteren mit einbegreift. Dennoch sei das Studium nicht so gewesen, wie sie es „es gerne gehabt hätte“. Sie brach es nach einem Jahr ab und zog nach einem weiteren „Gap Year“ nach Deutschland. An der Hochschule Mainz absolvierte sie einen Bachelor in „Zeitbasierte Medien“ mit Schwerpunkt auf Animationsfilme.
Aus dem Schatten treten
„Nebenbei habe ich an einer eigenen [Comic-]Geschichte gearbeitet“, erzählt die Künstlerin. Weiterentwickelt habe sie „Skye“, wann immer sie Zeit gefunden hätte, ohne aber den Gedanken zu hegen, darauf ihre Karriere aufzubauen. „Das war nie etwas, aus dem ich mir Hoffnungen gemacht habe“, stellt sie fest.
Der Webtoon „Skye“ – Eine Kurzzusammenfassung
In einer Welt, in der Magie und Technologie aufeinander treffen, macht ein außergewöhnlicher Ingenieur einen seltsamen Fund. Was als einfacher Ausflug zum Schrottplatz gedacht war, führt Skye zur Entdeckung eines voll funktionsfähigen Roboters. Doch während sie versucht, dem Roboter zu helfen, seinen ursprünglichen Besitzer zu finden, kommen Geheimnisse ans Licht und Skye erfährt die Wahrheit über ihre Vergangenheit.
Das änderte sich 2018, als Webtoon zu einem Wettbewerb für Zeichner aufrief. Die Teilnehmer sollten ihren Comic auf der Website hochladen, den Gewinner erwartete ein fester Arbeitsvertrag sowie ein sattes Preisgeld. „Ich dachte mir, das sei eine gute Gelegenheit, um meinen Comic zu präsentieren“, sagt Schmitz. Sie entschied, den Comic auf der Seite zu veröffentlichen und erntete prompt Lob für ihr Werk. „Direkt bei der ersten Episode gab es sehr viele Kommentare, die äußerst ermutigend waren.“ Die 28-Jährige betont, dass das eine neue Erfahrung für sie gewesen sei. „Es hat mich unglaublich gefreut.“
Den Vertrag in der Tasche
Nach sieben Episoden, die Schmitz hochlud, war der Wettbewerb vorbei – doch sie ging leer aus. „Ich kündigte [auf der Seite] an, mir ein Jahr Zeit zu nehmen, um weiter an meinem Comic zu arbeiten“, erzählt Schmitz. Sie nutzte die Zeit, um an ihrer Story zu feilen und mehr über das Geschichtenerzählen zu lernen. „Ich besuchte sogar einen Screenwriting-Kurs“, fügt die Luxemburgerin hinzu. Heute weiß sie, dass damals schon ein Verleger ein Auge auf „Skye“ geworfen hatte. Als sie 2019 die überarbeitete Fassung postete, erreichte sie kurz darauf eine Anfrage von Webtoon: Sie seien an dem Comic interessiert. „Ich war darüber extrem überrascht“, sagt Schmitz. Nachdem sich beide Parteien über ihr Projekt verständigt hätten, habe man ihr eine Festanstellung angeboten. Seitdem ist Schmitz in Vollzeit für den Online-Publisher tätig.
Am Anfang musste die gelernte Mediendesignerin ihr Studium und ihre Arbeit unter einen Hut bringen – kein leichtes Unterfangen, wie sie zugibt. „Bis zu zwölf oder 14 Stunden habe ich da gearbeitet.“ Das sei in der heißen Phase vor der Abgabe der Bachelorarbeit gewesen. „Jetzt ist das aber anders“, unterstreicht die Comiczeichnerin. Meistens arbeite sie vier Stunden, dann mache sie zwei Stunden Pause, bevor sie sich dann noch einmal vier Stunden an die Arbeit setze. Mehr als zwei Überstunden am Tag wolle sie nicht mehr machen. „Das möchte ich für mich festhalten, denn so viel an einem Stück zu malen ist auch nicht gesund.“
Digital Art vs. Printcomic
Das künstlerische Werk der Luxemburgerin ist ausschließlich digital. „Es ist merkwürdig, denn als Kind habe ich ja traditionell gemalt“, sagt sie. Eines Tages habe sie dann im Internet gesehen, was Leute digital zeichneten. „Ich dachte mir: So wie das aussieht, gefällt mir das sehr gut.“ Praktisch sei auch, dass man Fehler problemlos ausradieren könne. Grundsätzlich findet Schmitz aber beides spannend: das Format von Web- und das von Printcomics. „Es ist eine andere Art des Storytellings, man passt den Flow und das Pacing jeweils anders an“, erklärt sie.
Während man auf der Seite eines traditionellen Comics alle Panels, das heißt alle Bilder gemeinsam auf einer Seite versammelt hat, und man entscheiden muss, in wie vielen Panels man die Geschichte erzählt, wie schnell die Handlung von Panel zu Panel voranschreitet (Pacing) und wie sie auf der Seite angeordnet sind (Flow), sind Webtoons an das Handy-Format angepasst. Durch dieses „Vertical scrolling“ habe man noch einen „Anticipation effect“, bemerkt die Luxemburgerin. Damit gemeint ist die Spannung, die sich beim Leser aufbaut, weil er nicht sieht, was als nächstes passiert. „Ich finde es toll, noch zu entdecken, was man damit machen kann.“
Ein Blick in die Zukunft wagen
Zurzeit arbeitet Schmitz ausschließlich an ihrem Comic „Skye“. Pro Woche produziert sie eine Episode, angekommen ist sie mittlerweile in der zweiten Staffel. „Ich weiß ungefähr, wo es hingehen soll und was der Schluss sein soll“, erzählt Schmitz. „Ein paar Details, die in der Synopsis [d.h. Zusammenfassung, Anm. d. Red.] anders waren, habe ich abgeändert, damit die Geschichte noch besser wird.“ Außerdem passe sie manchmal das Pacing an, damit die Erzählung nicht ausufere und es bei maximal vier Staffeln bleibe. „Ich habe meine Story ganz gerne, aber ich würde auch ganz gerne an anderen arbeiten“, lacht die 28-Jährige. Im Augenblick gebe es fünf Ideen, die sie gerne umsetzen würde. „Eine Geschichte geht in Richtung Horror, eine andere in Richtung Mystery.“
Bis „Skye“ abgeschlossen ist, wird es vermutlich noch zweieinhalb Jahre dauern. Ob Schmitz danach bei Webtoon bleiben wird, weiß sie noch nicht genau. Für sie kommt eine weitere Zusammenarbeit aber prinzipiell in Frage. „Die Entscheidung liegt dann bei ihnen“, sagt die Luxemburgerin. So oder so möchte sie sich beim nächsten Projekt mehr Zeit für die Ausarbeitung der Geschichte lassen. „Das geht im Augenblick leider nicht, weil ich sie relativ schnell schreiben muss und deswegen nicht alles perfektionieren kann.“ Deshalb steht auch die Idee im Raum, sich nach „Skye“ an eine gemeinsame Kollaboration mit einer Freundin zu wagen. Diese würde dann die Story schreiben, während Schmitz ausschließlich das Illustrieren übernähme. „Das würde viel Zeit sparen“, sagt die ehemalige Mediendesign-Studentin. „Denn das habe ich bei Webtoon gelernt: Es fällt mir schwer, beides zu machen.“
Der LuxCon einen Besuch abstatten
Habe sie denn noch Kontakt zu anderen Künstlern? „Als Webtoon-Artists sind wir schon untereinander vernetzt, aber ich kenne niemanden auf persönlicher Basis“, erzählt die Luxemburgerin. Auf einen deutschen „Original creator“ sei sie noch nicht gestoßen, ihr seien nur einige „Webtoonists“ aus Schweden und Spanien bekannt. Da die meisten westlichen Künstler in den USA lebten, hätten diese die Möglichkeit, sich bei Conventions persönlich zu treffen – ein Vorteil, den Schmitz nicht besitzt. Auch aus einem anderen Grund falle es ihr nicht leicht, zu networken. „Ich bin etwas schüchtern, was das angeht“, gesteht sie. Das sei der gleiche Grund, warum sie auch ihre Social-Media-Kanäle vernachlässige, erklärt die junge Frau, die auf Instagram und Twitter aktiv ist.
„Auf sozialen Netzwerken präsent zu sein ist in meinen Augen etwas, das zum Beruf des Künstlers dazugehört – und es ist ein Bereich, in dem ich noch nicht so gut bin“, sagt sie. „Hoffentlich ändert sich das 2022.“ Größere Präsenz möchte die zurückhaltende Künstlerin auch in Luxemburg zeigen, denn mit der hiesigen Szene steht sie kaum in Verbindung. „Bei der nächsten LuxCon werde ich dabei sein“, sagt Schmitz, die gerne auf mehr Conventions gehen würde. Die Luxemburger Science-Fiction-Messe soll vom 7. bis zum 10. April stattfinden. Dann möchte Schmitz in persona die Werbetrommel für „Skye“ rühren.
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