Studie / Wie das Home-Office die Luxemburger Wirtschaft rettet
Liser-Wissenschaftler haben sich die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftswachstum und Infektionsgeschehen angeschaut. „Epidemionomisch“ nennen sie ihren Ansatz, der zeigt: Die Arbeit im Home-Office hat während des Lockdowns ein gutes Stück dazu beigetragen, dass die Volkswirtschaft nicht tiefer abgestürzt ist.
Morgens die Präsentation für den Chef erstellen, danach dem Kind die Windeln wechseln, mittags dann das Video-Meeting mit dem Team – und das Ganze, ohne sich dem Risiko einer Corona-Infektion auszusetzen. In den vergangenen Monaten haben sich zahlreiche Luxemburger Arbeitnehmer mehr oder weniger bequem in ihrem Home-Office eingerichtet. Einige werden sich mit Sicherheit zwischen schreienden Kindern und nörgelnden Partnern nach ihrem Büro zurückgesehnt haben. Gerade ihnen geben zwei Forscher jetzt Mut. Sie sagen: Volkswirtschaft und öffentlicher Gesundheit brachte der Umzug ins Heimbüro einen nicht zu unterschätzenden Nutzen.
„Wir sehen, dass es wegen des Home-Office einen kleinen Verlust an Produktivität gibt – aber das sind verglichen mit dem Lockdown und seinen Effekten Peanuts“, sagt Frédéric Docquier. Der Belgier ist einer der beiden Autoren einer Studie des Luxemburger Wirtschaftsforschungsinstituts Liser. In dem Paper schauen sich Docquier und sein Kollege Michal Burzynski die Verquickung von Wirtschaftswachstum und Infektionsgeschehen an. „Epidemionomisch“ nennen die beiden Ökonomen ihren Ansatz.
Einer ihrer Schlüsse ist, dass das Home-Office sowohl einen schlimmeren Crash der Wirtschaft als auch eine Explosion bei den Infektionszahlen verhindert hat. „Wären die Menschen nach Hause geschickt worden und hätten dabei nicht arbeiten können, wären die negativen Effekte auf die Wirtschaft fast doppelt so groß gewesen“, schreiben die Forscher. Umgekehrt – also wenn die Arbeitnehmer in den Betrieben geblieben wären – hätte die Infektionskurve nicht vor Jahresende nach unten gezeigt. Und es wäre zu einem zweiten Peak gekommen.
4.500 aktive Infektionen ohne Telearbeit
Die Forscher haben auch errechnet, was passiert wäre, wenn am 1. Juni plötzlich wieder alle im Büro aufgekreuzt wären. Ihr Worst-Case-Szenario prognostiziert für diesen Fall Ende August einen Peak mit 4.500 aktiven Infektionen – derzeit sind es laut „Santé“ gerade einmal 85. „Wenn alle Heimarbeiter wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgebracht werden, verursacht das schwere epidemiologische Schäden – selbst im optimistischsten Szenario“, schreiben Docquier und Burzynski. Das Beenden des Home-Office habe dagegen – eine komplette Öffnung des Horeca-Sektors vorausgesetzt – nur begrenzten Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt. Aber eben einen drastischen Effekt auf die Infektionskurven.
Ebendieses Bruttoinlandsprodukt hat laut den Forschern schon jetzt einigermaßen gelitten. „Die Covid-19-Krise hat sich drastisch auf die Luxemburger Wirtschaft ausgewirkt“, schreiben sie. Bereits vor dem Lockdown hätte das Schrumpfen der Weltwirtschaft negative Effekte auf die Aktivitäten hierzulande gehabt, die sich deshalb um drei Prozent verkleinert hätten. Als dann Mitte März die Lockdown-Maßnahmen verhangen wurden, gab es einen weiteren Schnitt von 25 Prozent pro Woche. Wären die Maßnahmen bis zum Ende des Jahres beibehalten worden, hätte Luxemburgs Volkswirtschaft laut Docquier und Burzynski im Jahr 2020 um ganze 22 Prozent schrumpfen können. Am ärgsten wäre der Bausektor mit einem Rückgang der Aktivitäten von 66 Prozent getroffen worden, gefolgt von den Horeca-Betrieben mit minus 62 Prozent und dem Handel mit minus 42 Prozent. Am wenigsten hätte der Mega-Lockdown Gesundheitswesen, Finanzwirtschaft und den öffentlichen Sektor getroffen.
Die Daten der Forscher zeigen aber auch, wie sehr die Lockdown-Wochen die Ausbreitung des Virus eingedämmt haben. „Zwischen dem 20. und 31. März ging die Infektionsrate drastisch zurück“, schreiben sie. Der Peak sei demnach Anfang April erreicht worden, als 1.900 aktive Covid-19-Fälle verzeichnet wurden. Der Umkehrschluss: Falls die Regierung das Land weiter im Lockdown gehalten hätte, hätte es Mitte Juni gar keine Infizierten mehr gegeben. Da die Rate aber bereits am 11. Mai fast auf null gesunken war, sei das der richtige Zeitpunkt gewesen, um Lockdown-Maßnahmen peu à peu aufzuheben.
Wissenschaftliches Neuland
„Wir betreten mit der Corona-Krise wissenschaftliches Neuland“, sagt Docquier. „Aber die ökonomischen Kosten eines permanenten Lockdowns samt insolventen Firmen, einem möglichen Kollaps des Finanzsystems und den Effekten auf die mentale Gesundheit sind riesig und möglicherweise langfristig.“ Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Schaffung von Wohlstand nötig sei, um das Gesundheitssystem zu finanzieren.
Ein Wohlstand, den die Heimarbeiter geholfen haben, zu generieren. Was aber nicht bedeutet, dass das Home-Office alleine die Pandemie besiegen kann. Im Gegenteil – Docquier erwartet sich von einer langsamen Rückkehr in die Büros sogar einen positiven Effekt auf das Infektionsgeschehen. Der Forscher empfiehlt ein Rotationssystem, bei dem die Mitarbeiter abwechselnd für zwei oder drei Tage im Büro erscheinen – und dort natürlich auch auf Distanzregeln und Schutzmaßnahmen treffen.
Weniger Infektionsrisiko, obwohl man auf die Kollegen trifft? Als Grund dafür sieht Docquier ausgerechnet das Freizeitvergnügen, das uns das Home-Office ermöglicht. „Unsere Simulation zeigt auf, dass eine Wiederaufnahme des sozialen Lebens risikobehaftet ist, weil wir komplett ignorieren, wie die Übertragungsrate davon beeinflusst wird“, sagt er. Der Wissenschaftler schätzt die Infektionsrate im Sozialleben größer ein als in einigen Sektoren am Arbeitsplatz.
„Die Menschen haben durch das Home-Office mehr Freizeit“, sagt Docquier. Partys mit 20 Personen stellten ein Risiko dar, weil Social Distancing und Hygieneregeln dabei im Gegensatz zum Arbeitsplatz nicht garantiert werden können. Wie genau das Sozialleben und der Start der Freizeitaktivitäten schlussendlich die Infektionskurve beeinflussen, sei noch unsicher. „Aber ich bin da ein bisschen pessimistisch“, sagt Docquier. Es könne sein, dass die zweite Welle nicht durch den Arbeitsmarkt losgetreten wird – sondern durch die sozialen Aktivitäten.
Aus demselben Grund hält der Ökonom auch das Social Distancing im Horeca-Sektor für einen sehr wichtigen Faktor. Er schätzt, dass die Aktivitäten in Luxemburgs Kneipen, Restaurants und Hotels derzeit 50 Prozent des Vorkrisenwerts erreicht haben. Das würde gerade so reichen, um die Infektionsrate auf dem niedrigen Niveau der vergangenen Wochen zu halten. „Das Wiedereröffnen von Hotels und Restaurants mit nur ihrer halben Kapazität oder mit den entsprechenden physischen Distanzmaßnahmen scheint die sicherste Option“, schreiben Docquier und Burzynski. Für den Fall, dass Sicherheitsmaßnahmen in dem Sektor aber gestrichen werden, rechnet die Projektion der Forscher mit einer steten Zunahme der Corona-Fälle – bis zu einem Peak von über 1.000 aktiven Infektionen Anfang Dezember. Trotz Home-Office.
Docquier und sein Kollege Burzynski bewerten die bis jetzt gemachten Exit-Schritte positiv: „Wenn man sich die Trends der vergangenen Wochen anschaut, kann man relativ optimistisch sein, dass die meisten Öffnungsmaßnahmen für die Wirtschaft keinen Rückfall verursachen werden.“ Unwägbarkeiten könnten durch Contact Tracing und eine massive Teststrategie beherrscht werden. Die Forscher empfehlen deshalb, dass alle Ansässigen und Grenzgänger einmal im Monat getestet werden. „Wenn es zu einem Rückfall kommt, könnten die Kosten für eine zweite oder dritte Welle von Massentests kleiner sein als die von einem Lockdown“, sagt Docquier.
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