Kinofilm / Und ihre Leuchte ist das Lamm: „Lamb“ von Valdimar Jóhannsson
In „Lamb“ lässt Regisseur Valdimar Jóhannsson Horror-, Mystery und Drama-Elemente miteinander verschmelzen. Das Ergebnis erweist sich nicht als nur eine ausgewogene Mischung seiner verschiedenen Genre-Anteile, sondern als eine ganz eigene Komposition, an der Film-Aficionados ihre Freude haben dürften.
Grauer Himmel, pfeifender Wind, eine verschneite Bergkulisse und dichter Nebel, der Hof und Herde immer wieder wie hinter einer Wand aus Milchglas verschwinden lässt: Das atmosphärische Setting von „Lamb“ im Hochland von Island lässt den Zuschauer wohlig frösteln. In dieser kargen wie hinreißenden Natur, irgendwo im Nirgendwo, lebt das Paar María (Noomi Rapace) und Ingvar (Hilmir Snaer Gudnason). Sie führen als Landwirte ein einfaches wie hartes Leben: Sie bestellen die Felder, warten die Maschinen, fischen im nahegelegenen See, trinken in ihren Pausen Kaffee aus braunen Keramiktassen und blicken verträumt in die Ferne, eingehüllt in Wollpullovern, an deren geplatzten Nähten man ihr Alter und ihre Abgenutztheit ablesen kann.
Zwischen Kälte und einer gewissen Heimeligkeit pendeln die Bilder auf der Leinwand: Es sind die vielen erdfarbenen Töne, die spartanische, aber auch geschmackvolle Inneneinrichtung des Hauses, die lichten Szenen, die sich nach den ersten drei Vierteln des Films mehren, und die Szenerie einer unberührten Wildnis, die dafür sorgen, dass man in der Schönheit, die sich auf der Projektionsfläche entfaltet, versinken kann. Sie ist so kantig, roh und spitz, wie sie leicht und zerbrechlich ist; letztlich sind es filmische Eisblumen, denen man beim Wachsen zuschaut.
Das Finstere hält Einzug im hohen Norden
Das Ambiente des Films speist sich aber auch aus dunkleren Zuströmen: die ins Brutale spielende Schonungslosigkeit natürlicher Vorgänge wie die (Tier-)Geburt, das anfängliche bleierne Schweigen zwischen den Ehepartnern, das nur durch einzelne Sätze durchbrochen wird, und die wiederkehrenden Einbrüche des Schauerlichen, das – weil der Film damit anhebt – auch das Fundament für den Plot bildet.
Dem Regisseur Valdimar Jóhannsson gelingt es nicht nur, die Spannung zwischen dem Hellen und Düsteren bis zuletzt aufrechtzuerhalten, sondern auch zu zeigen, wie sich beide Pole bedingen, wie einer im Kern des anderen liegt. Denn die Geschichte, die „Lamb“ erzählt, ist sowohl schauderhaft und brutal als traurig und berührend. Nach einem schlimmen Verlust kreuzen sich nämlich die Wege von dem Farmerpaar und Ada, einem Mischwesen aus Mensch und Tier. María und Ingvar beschließen prompt, das Neugeborene als ihr eigenes Kind großzuziehen.
Sich den Kinderwunsch erfüllen um jeden Preis
Jóhannsson spielt mit dem romantischen Motiv des Findlings und wandelt es zugleich ab, denn wer die leibliche Mutter der kleinen Ada ist, ist nicht nur bekannt, sondern entscheidend für die Art der moralischen Fragen, die der Film aufwirft. Denn einerseits vermittelt die spontane Liebe von María und Ingvar für die kleine Ada, die so anders ist als sie selbst, eine starke optimistische Botschaft, andererseits lädt das Paar auch Schuld auf sich, um Ada bei sich behalten zu können. Damit verkehrt sich das Findling-Motiv in sein idealtypisches Gegenstück: das Motiv des Kindsraubs. „Lamb“ zeigt, dass es verschiedene Arten von Elternschaft gibt, die miteinander konkurrieren können – und dass die jeweiligen Rivalen, getrieben durch ihre blinde Zuneigung für das Kind, zu Gewalt und kaltblütigem Handeln fähig sind. Leidtragende ist letztlich Ada, das sanfte Geschöpf mit dem Menschenkörper und dem Schafskopf.
„Lamb“ ist ein visuell ansprechendes Horror-Mystery-Drama, dessen künstlerischer Wert darin besteht, dass es sich wie die junge Protagonistin Ada zwischen verschiedenen Welten bewegt. Konsequent bis zur Schlussszene wird dieser Gang auf der Genre-Grenzlinie fortgeführt. Die Neuerscheinung kommt sowohl mit wenigen Figuren als auch mit wenig Text aus, schafft es aber trotzdem, eine beflügelnde Komplexität zu schaffen, die Filmliebhabern Vergnügen bereiten dürfte. Sehenswert ist „Lamb“ auf jeden Fall.
„Lamb“ – Spielzeiten im Utopia-Kino Limpertsberg
Freitag (14.1.): 16.45 Uhr
Montag (17.1.): 16.45 Uhr
Dienstag (18.1.): 21.30 Uhr
Aufgepasst: Um Zugang zum Kino zu erhalten, muss jeder Gast ab 12 Jahren und 2 Monaten ein Covid-Check-Zertifikat (2G+) sowie einen Ausweis vorlegen. Zutritt haben nur Geimpfte oder genesene Personen bei Vorlage eines Tests (Gültigkeit: PCR-Test 48 Stunden und Antigentest 24 Stunden). Personen mit einem vollständigen Impfschema und einer „Booster“-Impfung müssen keinen negativen Test-Nachweis vorlegen. Kostenlose Schnelltests sind vor Ort verfügbar.
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