Italien / Toskanische Unterwelten
Eine Reise in die Toskana gehört zu den Standardurlaubszielen der Mittel- und Nordeuropäer. Florenz mit seinen Uffizien und der Akademie, in der Michelangelos David steht, Siena mit seinem muschelförmigen Platz oder Pisas Schiefer Turm sind die begehrten Reiseziele. Doch auch die Unterwelten der mittelitalienischen Region sind einen Besuch wert, wie unser Italien-Korrespondent Wolf H. Wagner feststellen konnte.
Die Welten unter der Erdoberfläche sind stets faszinierend. Ob natürliche Höhlen, künstlich angelegte Bergwerksstollen oder Katakomben – immer hat es seine Reize, die Welt untertage zu erforschen oder auch zu besichtigen.
Eine der größten natürlichen Attraktionen in der Toskana liegt nördlich von Lucca. Nahe des kleinen Ortes Fornovolasco findet sich die Grotta del Vento – die Grotte des Windes. Ihren Namen hat die Höhle von einem starken Windzug, der sich vom tiefen Innern seinen Weg zu den Ausgängen bahnt. Was zunächst unangenehm für Besucher klingt, lässt jedoch bald nach, wenn die Türen des Eingangs geschlossen werden. Für die Bewohner und Gäste der Region ist es eine relativ „junge Höhle“, sie wurde von spielenden Kindern aus dem Dorf Fornovolasco erst 1898 entdeckt. In Wirklichkeit ist diese Karsthöhle natürlich schon etliche Tausend Jahre alt, wie die lang gewachsenen Stalaktiten und Stalagmiten zeigen.
Erst Mitte des 20. Jahrhunderts haben die Höhlenspezialisten des italienischen Alpenvereins die Grotte für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Inzwischen gibt es in der auf viereinhalb Kilometern erschlossenen Höhle drei Rundgänge zu einer, zwei oder drei Stunden Länge. Auf jedem dieser gut ausgebauten Wege erfahren die Besucher Neues, passieren unterirdische See, sehen wahre Orgeln von Stalaktiten, glitzernde bunte Steine, die je nach den darüber liegenden Mineralien rot, braun, gelb, beige oder gar türkis gefärbt sind. Ein wahrer Besuch in einer Zauberwelt, wo man gleich eine Fee hinter der nächsten Ecke vermuten mag.
Abenteuer im Bergbaustollen
Ganz in strahlendem Weiß präsentiert sich eine andere, allerdings künstlich angelegte Höhle. Oberhalb von Carrara, in den Marmorbrüchen, findet sich ein Freilandmuseum des Gesteinabbaus. Und nebenan die besagte Höhle: Einem Familienunternehmen ist es genehmigt worden, den schneeweißen reinen Marmor unterirdisch abzubauen. Gegen eine kleine Eintrittsgebühr fahren Mitarbeiter Besucher ins Innere des Berges. Gut behelmt kann man hier den Abbau der Marmorblöcke beobachten. Vor Jahren stürzte ein strahlend weißer Block, aus dem Berg gesägt, um – und zersprang nicht. Der mehr als 20 Meter lange Marmorblock maß in Höhe und Breite je vier Meter, weder war der Ausgangstunnel breit genug noch gab es ein Fahrzeug, auf das man den Hunderte Tonnen schweren Block transportieren konnte. So blieb er für die Besucher zur Ansicht liegen.
Führt uns unsere Reise von Carrara aus in die südliche Toskana, so finden wir noch mehr Bergbaustollen, die eine Reise in die Unterwelt versprechen. In dem kleinen Dorf Montecatini Val di Cecina nahe Volterra gibt es eine Silbermine, die besucht werden kann. Die tiefste Sohle liegt hier bei 900 Metern. Ein Aufzug führt die Besucher immerhin 320 Meter in die Tiefe. Im 19. Jahrhundert war diese heute fast unbekannte Mine das europaweit größte Abbaugebiet für Kupfererze. Bis 1907 war das Bergwerk von Montecatini aktiv, dann verfielen zunächst die oberirdischen Bauten, schließlich auch die mit Holzbohlen ausgezimmerten Stollen. Mitte des 20. Jahrhunderts begann ein Heimatverein mit der Rekonstruktion der Mine. Ein sicherer Förderkorb wurde installiert, der die Besucher auf den zu besichtigenden Stollen bringt. Nur ein Teil der insgesamt 35 Kilometer Stollenanlagen ist für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Im Rundgang, der etwa 75 Minuten dauert, werden neben den Schachtanlagen auch die Erzaufbereitung und die Werkstätten der Zeche gezeigt.
Wer nicht so tief in den Berg möchte, kann die Arbeitsweise der Minieri auch in einem Schachtmuseum im nahegelegenen Massa Marittima besuchen. Hier hatten die Bewohner das Karstgestein ursprünglich ausgehöhlt, um Wein und Früchte trocken und kühl zu lagern. Einer dieser Stollen ist nun zu einem Schaubergwerk umgebaut worden. In einem kurzen Rundgang werden die verschiedensten Abbaumethoden von Silbererzen, die in den nahe gelegenen Colline Metallifere geschürft wurden, vorgestellt.
Begehbare Aquädukte
Ein echtes Bergwerk, das bereits von den Etruskern angelegt wurde, kann man indes im archäologischen Minenpark von San Silvestro besuchen. Ausgerüstet mit Helm und einem wetterfesten Umhang, der die eigene Kleidung vor den herunterfallenden Kalkwassertropfen schützen soll, geht der Abstieg ebenerdig in den Berg. Ganzjährig herrscht hier eine Temperatur von 14 Grad Celsius, weshalb es sich auch an heißen Sommertagen empfiehlt, einen warmen Pullover beim Rundgang zu tragen. Auf dem etwa 40 Minuten dauernden Parcours werden den Besuchern sowohl die Abbaumethoden für die hier gefundenen Erze (Kupfer, Silber) und Kristalle wie aber auch die Schwere der Arbeit unter Tage demonstriert. Wieder an der Oberfläche angekommen, zeigt ein Museum eine Ausstellung der Bergwerkzeuge, Maschinen und Mineralien.
Doch nicht nur die Bergleute haben die Unterwelt der Toskana erschlossen. Wenden wir uns landeinwärts, in die auf Hügeln erbaute Stadt Siena, deren rote Ziegelbauten einer Farbe ihren Namen gaben. Ähnlich wie Rom ist Siena auf sieben Hügeln errichtet worden. Schon zu etruskischen Zeiten suchten die Erbauer eine Lösung für die Wasserversorgung und fanden sie schließlich in den „Bottini“ – unterirdische, begehbare Aquädukte wurden erbaut. Der Name Bottini leitet sich von „botte“ (Fass) ab und bezeichnet die fassähnlichen Deckenbauten aus Terracottaziegeln. Erstmals wurden die Bottini in einem Dokument aus dem Jahr 1224 erwähnt, doch ursprüngliche Wasserläufe aus etruskischer Zeit sind viel älter. Deren Form wiederum gleicht einem umgekehrten „V“.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts dienten die Bottini der Wasserversorgung Sienas, doch dann musste dies aus hygienischen Gründen eingestellt werden. Heute versorgen die noch im Betrieb befindlichen Wasserläufe die Brunnen der Stadt, so den von Jacopo della Quercia gestalteten auf der Piazza del Campo. Zu den Bottini gehört sicher auch der von Dante Alighieri in der „Göttlichen Komödie“ genannte unterirdische Fluss Diana, dessen Verlauf man bislang jedoch nicht verifizieren konnte. Begehbar sind heute der tief gelegene Maestro di Fontebranda mit einer Länge von 7,5 Kilometern und der etwas höher gelegene Maestro di Fonte Gaia. Letzterer hat eine Länge von 15,7 Kilometern und versorgt den Brunnen auf der Piazza del Campo. Nach Anmeldung im Sieneser Touristikbüro kann man an einer geführten Tour teilnehmen, die die Besucher auf etwa eineinhalb Kilometer in die Sieneser Unterwelt führt. Eine Taschenlampe empfiehlt sich hier mitzunehmen, denn die Bottini sind nicht oder stellenweise nur spärlich beleuchtet.
Wer am Ziel der Wasserläufe angekommen ist, mag sich wundern, dass die Brunnen in drei Sektionen geteilt sind. Aus der ersten entnahmen die Menschen ihr Trinkwasser, an der zweiten wurde das Vieh getränkt und im letzten Becken wusch man schließlich seine Wäsche – schon früh dachten die Menschen praktisch über die Wasserverwendung nach.
Wer all die unterirdischen Erkundungen gemeistert hat, mag sich jetzt sicher auf kulinarische Entdeckungsreise begeben. Auch hier gibt es abseits der Touristenführer Geheimnisvolles zu entdecken.
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