Déi Lénk / Gegen den rechten Zeitgeist – Analyse nach der Wahlschlappe
„Déi Lénk“ hatte sich bei den Kommunalwahlen mehr ausgerechnet. Trotz der Fleißarbeit in den einzelnen politischen Dossiers sank die Zahl ihrer Sitze in den Gemeinderäten. Die Ursachen sind vielschichtig.
Auf dem Weg zum Interview im Büro von „déi Lénk“ in der Hauptstadt kommt mir ein bestimmter Gedanke in den Sinn: dass Rechtsabbiegen, zumindest auf dem europäischen Kontinent, einfacher ist als Linksabbiegen. Ist es denn auch einfacher, eher rechte als linke Politik an die Wähler zu bringen? „Zumindest ist Linksabbiegen anspruchsvoller“, sagt mir später der Linken-Politiker, Ex-Abgeordnete und Escher Gemeinderat Marc Baum. „Denn Rechtsabbiegen bedeutet eher ein Weiter-so, etwa den eigenen Wohlstand zu verteidigen und andere dabei auszugrenzen.“
Dass man aber beim Linksabbiegen länger – etwa auf den Gegenverkehr – warten muss als beim Rechtsabbiegen, ist eine Sache. Und dass die Linksabbieger dem Gegenverkehr möglicherweise auf die Nerven gehen, eine andere. Eigentlich müsste die Zeit günstig für „déi Lénk“ sein, denn deren Themen sind einmal mehr aktueller denn je. Sie liegen gewissermaßen auf der Straße: Wohnungskrise, Verkehrskollaps, wachsende Ungleichheit und gestiegenes Armutsrisiko. Auf dem Weg zum „Déi Lénk“-Büro können die sozialen Gegensätze kaum deutlicher werden: Vorbei an Cartier, Dior, Gucci und Louis Vuitton kann man kurz nach dem Gebäude rechts abbiegen – und steht vor den Schlafplätzen mehrerer Obdachloser. Luxemburg 2023!
Es ist 14 Jahre her, als „déi Lénk“ – damals mit André Hoffmann – im Juli 2009 ins Parlament einzog und knapp zwölf Jahre, als sie bei den Gemeindewahlen im Oktober 2011 ihre Anteile an Wählerstimmen fast verdoppeln konnte: Damals errang sie zwei Sitze in den Gemeinderäten von Esch und der Hauptstadt und jeweils einen in Differdingen, Düdelingen und Sanem. Bei den Wahlen sowohl auf kommunaler als auch auf nationaler Ebene konnte sie seither immer zulegen. Trotzdem stagnierten die Linken zuletzt in Umfragen. Ist jetzt ihr maximales Stimmpotenzial erschöpft? Wie bereits erwähnt, sind die linken Themen dringender denn je. Umso mehr hat die Partei erwartet, ihre Rezepte auf lokaler Ebene an die Frau und an den Mann zu bringen: eine Verpflichtung zu zehn Prozent an bezahlbarem Wohnraum bei Neu- und Umbauten sowie „Notwohnungen“, Tempo 30 in den Gemeinden und der Ausbau des öffentlichen Transports sowie sicherere Fahrradwege, Staffelung des Wasserpreises und 50 Liter Wasser gratis pro Kopf und Tag haben sie sich auf ihre Fahnen geschrieben. Und dazu noch ein partizipatives Bürgerbudget.
Doch die Hoffnungen der Linken wurden enttäuscht: Im hauptstädtischen Gemeinderat verloren sie ebenso ihren zweiten Sitz wie im Escher. Im ersten Fall gelang es dem Ex-Abgeordneten David Wagner nicht, neben Nathalie Oberweis das Mandat zu halten, im zweiten Fall schaffte Line Wies es nicht, neben Marc Baum ins Stadtparlament der Minettmetropole einzuziehen. Zwar verteidigten Carole Thoma in Düdelingen und Myriam Cecchetti in Sanem jeweils ihre Sitze, in Differdingen gelang Gary Diderich wieder der Sprung in den Gemeinderat. Aldin Civovic gewann in Schifflingen sogar mit 9,81% der Wählerstimmen einen Sitz. Dagegen ging die Partei in Petingen, wo vor allem die Piraten triumphierten, leer aus.
Doch was waren die Gründe dafür, dass „déi Lénk“ nicht den erwarteten Zuspruch an der Wahlurne hatte? „Weil unsere Lösungen nicht einfach sind“, sagt Myriam Cecchetti. „Wir versprechen nicht einfach Dinge wie zehn Euro den Quadratmeter.“ Sie kritisiert das Verhalten der anderen Parteien gegenüber den Linken: „Dauernd hört man solche Aussagen von den Mehrheitsparteien wie etwa jene, dass diese sich keinesfalls eine Koalition mit uns vorstellen können. Zugleich werden unsere Positionen von der Presse nicht aufgenommen, oder sie werden nur verzerrt wiedergegeben. Es wird ständig auf uns herumgetreten. Dagegen sind die Populisten dauernd in der Presse und werden die Piraten hofiert.“
Die Abgeordnete geizt jedoch nicht mit Kritik an der eigenen Partei: „Im Wald von Plakaten mit Kandidatenfotos der anderen Parteien gingen wir in diesem Wahlkampf mit unserem Dutzend Plakaten geradezu unter. Das ist nicht die Schuld der andern. Wir müssen eine Analyse betreiben und daraus lernen. Wir können nicht einfach behaupten, dass wir anders seien. Wir müssen mitspielen, wenn wir erfolgreich sein wollen.“
Im Plakatwald untergegangen
Auch ihre Abgeordnetenkollegin Nathalie Oberweis, die sich künftig auf ihr Engagement im Gemeinderat konzentrieren möchte, weiß, dass „die Resultate der Kommunalwahlen nicht unsere Arbeit in den einzelnen Sektionen widerspiegeln“. Sie spricht von einem „nationalen Phänomen“, dass die ADR und die Piraten momentan auf einer Trendwelle reiten. Gerade von den Piraten habe ihre Partei in letzter Zeit viele Attacken hinnehmen müssen. Das reiche bis zu persönlichen Angriffen in den sozialen Netzwerken. „Für mich sind die Piraten eindeutig eine populistische Partei“, so Nathalie Oberweis.
David Wagner betrachtet die gegenwärtige Lage in einem historischen Kontext: „Man darf nicht unterschätzen, dass es ab den 1970er-Jahren im Westen eine neoliberale Konterrevolution gab. Das hieß Deindustrialisierung und führte zur Schwächung der Arbeiterparteien und Gewerkschaften. Das alles hat sich gefestigt und fand auch in den Medien statt.“ Alles Linke sei belächelt oder gar lächerlich gemacht worden, so der Linken-Politiker. „Bis heute hat das einen starken Einfluss, wenn etwa rechte Lösungen als einzige Alternative zur bestehenden Gesellschaft gesehen werden.“ Marc Baum stellt fest, dass sich das neoliberale Denken verfestigt habe. Als Beispiel nennt er Hartz IV in Deutschland und „die Selbstverständlichkeit, dass öffentliche Dienstleistungen ausgelagert werden – ein Prozess, der bis heute anhält“.
Neoliberale Hegemonie
Trotz der neoliberalen Dominanz oder gerade ihretwegen gab es auch Gegenbewegungen: Im Laufe der 1990er-Jahre entstanden mehrere globalisierungskritische Nichtregierungsorganisationen wie etwa das Netzwerk Attac, die den Vorwurf der Deregulierung und des Abbaus sozialer Rechte erhoben und die Privatisierung staatlicher Unternehmen anprangerten. Bedeutende Ereignisse waren zu jener Zeit vor allem die Proteste bei der WTO-Konferenz in Seattle im Dezember 1999, gegen die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds in Prag im September 2000, beim EU-Gipfel in Göteborg im Juni 2001, beim G8-Gipfel in Genua im Juli desselben Jahres. Nicht zu vergessen ist die große Demonstration der Gewerkschaften gegen den Sozialabbau in Luxemburg im Mai 2009, als Zigtausende Menschen auf die Straßen gingen.
„Vor ein paar Jahren gab es noch Massenproteste für den Klimaschutz“, sagt Marc Baum in Bezug auf die Fridays for Future, als eine globale Bewegung von Schülern und Studierenden umfassende Klimaschutzmaßnahmen forderte. „Doch alles verpuffte im Zeitgeist.“ Und dieser scheint nicht links zu sein. „Stattdessen stellte die Rechte andere Fragen in den Mittelpunkt, vor allem Sicherheit“, sagt Marc Baum. „Aber nicht als soziale Sicherheit, sondern etwa in diesem Sinne, dass Bettler das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen würden. Wenn der gesellschaftliche Diskurs auf diese Art und Weise dominiert wird, haben wir unheimliche Schwierigkeiten, dagegen vorzugehen.“ Längst kann von einer neoliberalen Hegemonie gesprochen werden, selbst wenn es heute kaum noch selbsterklärte Neoliberale gibt, wie der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher in seinem Buch „Die politische Theorie des Neoliberalismus“ zeigt. Manche behaupteten gar, dieser sei nur ein „Fiebertraum der Linken“ gewesen.
Der US-Ökonom Philip Mirowski beschreibt den Neoliberalismus in dem 2015 erschienenen „Untote leben länger“ als ideologisches Projekt, das im Dienst wirtschaftlicher Interessen auftrete, und die amerikanische Politologin Wendy Brown in „Die schleichende Revolution“ schildert den Neoliberalismus als Neuordnung nicht nur des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft, sondern des gesamten Denkens und aller Bereiche des Lebens. Der Untertitel ihres Werkes lautet bezeichnenderweise „Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört“. Alles wird wirtschaftlichen Gesichtspunkten unterworfen, dem „Terror der Ökonomie“, wie die französische Schriftstellerin Viviane Forrester es nannte. Aus dem „homo politicus“ ist ein „homo oeconomicus“ geworden. „Diese dominanten Narrative prägen alle Details unseres Lebens und unseres gesamten Alltags“, sagt Nathalie Oberweis. „Wir werden von klein auf zu Kapitalisten gemacht – ganz nach dem Motto ‚There is no alternative‘.“
Während Linke oftmals der Vergangenheit zugerechnet werden, sind insbesondere rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in Europa seit Jahren auf dem Vormarsch. Zunehmend drohen Demokratien sich in illiberale Staaten zu verwandeln, wie zum Beispiel in Polen oder Ungarn. Zugleich dominieren rechte Narrative die politische Alltagssprache, wie der Politikwissenschaftler Christian Demuth in der Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte im Juli 2018 konstatierte. Gibt es bereits eine rechte Hegemonie? Zumindest hat die Neue Rechte im Repertoire der Linken gewildert und Ideenklau betrieben, wenn einige ihrer Vordenker wie der Franzose Alain de Benoist auf das Hegemonie-Konzept des italienischen Marxisten Antonio Gramsci zurückgreifen.
Ideenklau der Neuen Rechten
Auch in der oft beschworenen gesellschaftlichen Mitte regt sich Protest. „Die Piraten sind eine systemimmanente Protestpartei“, sagt David Wagner, „wie auch der italienische Movimento 5 Stelle“. Die Piraten würden sich ein rebellisches Image geben und „lassen keinen Moment aus, uns zu attackieren“, weiß Myriam Cecchetti. Marc Baum weist auf eine Analyse nach den Wahlen 2018 hin, als die Piraten erstmals ins Parlament einzogen: „Es stellte sich heraus, dass die Piraten ein Wählerprofil haben, das unserem ähnelt. Darunter sind viele sozioökonomisch Benachteiligte.“
„Déi Lénk“ will sich nun einer gründlichen Analyse der Kommunalwahlen unterziehen, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und den Trend umzukehren. In einer ersten Einschätzung habe sich herausgestellt, dass es zu zahlreichen „votes utiles“ gekommen sei und etwa in Esch einige „Déi Lénk“-Wähler der LSAP ihre Stimmen gegeben hätten, um die CSV zu verhindern: „Wir verloren anderthalb Prozent, und die LSAP gewann anderthalb dazu. Nur gewannen sie keinen Sitz hinzu, aber wir verloren einen.“ Die Ursachen für die Niederlage seien aber vielfältig. Nicht zu vergessen sei auch die strukturelle Entpolitisierung der Gesellschaft, so Baum. „Früher wurden Verbatims von Gemeinderatssitzungen verteilt“, erklärt er. „Sie wurden 2017 ersatzlos gestrichen. Stattdessen gibt es heute werbeartige Broschüren der Gemeinde.“
In Luxemburg-Stadt habe es insgesamt deutlich mehr Wähler gegeben, stellt David Wagner fest – doch die Neuwähler entsprechen nicht unbedingt „unserem Wählerprofil. Viele sind gut situierte Ausländer, die sich nicht beklagen. Was der Bürgermeisterin natürlich entgegenkommt.“ Derweil befanden sich viele armutsgefährdete Ausländer nicht auf den Wählerlisten. Allgemein habe er festgestellt, dass das, „was wir sagen, relativ gut ankommt. Aber wie wir es sagen, da haben wir unsere Schwächen.“ Unter anderem daraus schließt Myriam Cecchetti: „Wir müssen uns besser ins Schaufenster stellen und noch mehr Plakate aufhängen. Schließlich werden Köpfe gewählt.“
- Schneeballschlacht und Winterspaß: Verschneites Luxemburg am Freitagmorgen - 22. November 2024.
- „Bin der glücklichste Mann in der US-Armee“ – Von Kayl in die USA und wieder zurück. Eugene Swartz (1923-2010) Teil 2/2 - 22. November 2024.
- Mammografien, Agrarsubventionen und der IWF - 21. November 2024.
Ok, bei riets as et mei‘ „jiddereen fir sech“.
Waat ech verdengen benotzen ech fir mech.
Bei Lenks, ass et „ech schaffen mech freckt,“ an muss fir dei‘ lidderech mat bezuehlen ! An daat well keen !
Also ass d’Richtung kloor !
Man sollte wissen wann es vorbei ist. Kommunismus,Sozialismus,Links… Rot ist tot. Da nützt es auch nicht wenn man den braunen Mist als Schuldigen heran zieht. Und so richtige Vorschläge zur Besserung der Lage hat man ja auch nicht parat. Genau so wenig wie CSV,Piraten,ADR und all die anderen Satelliten. Wie es scheint hat Gambia die besten Karten für Oktober. Wieso? Weil sie gute Arbeit in sehr schweren Zeiten geleistet hat. Und…Perfektion gibt es nicht.
@Nomi: Ech wéilt Iech gär gesinn wéi der just Iech selwer finanzéiert. Also keen CNS Remboursement, keng Schoul, keng Pensioun, keng öffentlech Plazen, keen Altersheim, keng Stroossen. Oh an éier ech et vergiessen: Ouni Ierfschaft, oder gesitt der d’Aarbecht vun den Elteren als äre Verdengscht un?
„Analyse der Kommunalwahlen.“
Bei Kommunalwahlen ist es wichtig die Leute zu kennen und was sie an Kompetenzen mitbringen. Rechstanwälte (Franz) oder Unternehmer sprechen wohl kaum den „kleinen“ Mann an. In unserer Gemeinde, kannte keine einzige Person auf der linken Liste.
Parteiprogramm, wie bei anderen auch, wir müssen, müssen, aber Lösungen, nix wurde angeboten.
Die Jean-Pierre Bauschs sind uns ausgegangen.
@ JJ / Sie haben recht bis auf „…weil Gambia gute Arbeit in sehr schweren Zeiten geleistet hat“. Das finde ich ist eine dicke Lüge.
Einige haben das geleistet wozu sie verpflichtet sind, nicht mehr und nicht weniger. Andere haben kläglich versagt.
Es gibt einige Gründe, déi Lénk nicht zu wählen:
1) Sie stehen noch immer im Verdacht, den Kommunisten nahe zu stehen und wir haben ja gesehen, wo das hinführt (Ostblock) und sehen es noch immer (China).
2) Ihr Hauptmotto ist noch immer: „nehmt den Reichen, und gebt es den Armen“. Die Luxemburger Bürger sind, trotz immer größerer Ungleichheiten, immer noch verhältnismässig gut situiert. Und man muß sich fragen, was déi Lénk „reich sein“ nennt.
3) Einige Forderungen klingen utopisch und in der Realpolitik nicht umsetzbar.
Zu Punkt zwei:
Da wir Steuern zahlen, nicht nur als Reiche, sondern auch als Arme, und ganz speziell als Mittelstand, den déi Lénk bestimmt als „reich“ bezeichnen würden, gehen wir davon aus, dass der Staat mit unseren Steuern haushalten sollte, statt uns noch mehr abzunehmen.
Fazit: déi Lénk sind nicht wählbar. Die Gefahr wäre größer als der Nutzen.