Luxemburg / Hier spricht die Zivilgesellschaft: Die Wünsche der sozialen Organisationen
Die Wähler müssen am Sonntag über die politische Zukunft Luxemburgs entscheiden. Wer die Wählergunst erhält, hat dann in den kommenden Jahren viel zu tun. Doch vor den Wahlen melden auch die Vertreter der Zivilgesellschaft ihre Ansprüche an die künftige Regierung an. Wir haben mit einigen Organisationen über ihre Forderungen gesprochen.
Sergio Ferreira, politischer Direktor der „Association de soutien aux travailleurs immigrés“ (ASTI)
Wir wünschen uns eine offene Debatte über die Zukunft des Landes, die alle einschließt, die hier wohnen und arbeiten
„Für die ASTI wäre es wichtig, dass die nächste Regierung die Dimension und Bedeutung der Migration für Luxemburg akzeptiert. Das heißt, dass in der Politik und in allen Ministerien – egal, welcher politischer Couleur – darüber nachgedacht wird, was es für unsere Diversität, unsere Demografie und den Fortschritt bedeutet. Alle politischen Entscheidungen müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass wir ein Einwanderungsland sind, um ein gutes Zusammenleben zu garantieren. Das ist unser großer allgemeiner Wunsch. Für Menschen, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben, wünschen wir uns, dass sie endlich legalisiert werden. Ein weiteres Herzensthema der ASTI ist politische Partizipation – nicht nur für die Ausländer im Land. Wir wünschen uns eine offene Debatte über die Zukunft des Landes, die alle einschließt, die hier wohnen und arbeiten. Für die Grenzgänger, die immens viel zum Reichtum des Landes beitragen, wünschen wir uns eine Politik, die sie bei all ihren Entscheidungen einbezieht. Sie sollen auch an der Politik des Landes teilhaben dürfen.“ (wie)
Blanche Weber, Präsidentin des „Mouvement écologique“
Es führt kein Weg an einer ökologischen Transition unserer Gesellschaft und Wirtschaft vorbei
„Unser zentrales Anliegen ist, dass kein Weg an einer ökologischen Transition unserer Gesellschaft und Wirtschaft vorbeiführt. Diese Grundüberzeugung muss als roter Faden in allen Politikbereichen gelten. Dafür sind sicher differenzierte Anreize und Subventionen wichtig, um alle Bürger und Betriebe mitzunehmen. Aber sie alleine reichen nicht aus. Darüber hinaus muss der Staat auch gesetzlich und reglementarisch einen klaren politischen Rahmen setzen. Beispielsweise ist eine nachhaltige Steuerreform, bei welcher der Umweltverbrauch stärker besteuert und der Faktor Arbeit entlastet wird, unerlässlich. Der Staat und seine Verwaltungen müssen zudem fit gemacht werden, damit die notwendige Transition gelingen kann. Ministerien bzw. Staat und Gemeinden müssen weitaus enger zusammenarbeiten, u.a. im Bereich der Landwirtschaftspolitik, der Landesplanung. Klassische Gremien müssen reformiert und die Nachhaltigkeitsdimension integriert werden. Diskussionsbereitschaft, Transparenz und entschiedene tiefgreifende Reformen unter Wahrung der Grenzen der Lebensgrundlagen und einer weltweiten Gerechtigkeit sind dazu unabdingbar. Dies ist im Interesse der Erhaltung und Steigerung der Lebensqualität, wie Förderung der sanften Mobilität, oder Durchgrünung der Ortschaften, um nur zwei Beispiele zu nennen, der heutigen und auch zukünftiger Generationen. Es gilt, die Chancen, die in der Transition liegen, zu nutzen und die Biodiversitäts- und Klimakrise entschieden anzugehen.“ (wie)
Ainhoa Achutegui, Präsidentin von „Planning familial“
Wir fordern außerdem ein Gesetz, das Sexualverbrechen für nicht verjährbar erklärt
„Wir erwarten von einer neuen Regierung, dass die Arbeitsgruppe zur Novellierung des aktuell geltenden Schwangerschaftsabbruchgesetzes weitergeführt wird. Sie wurde im Mai 2023 von der Gesundheitsministerin einberufen und ist eine Supersache. In dieser Arbeitsgruppe geht es vor allem um die Überarbeitung des ersten Artikels des Gesetzes mit dem Recht auf Leben oder die zwölf Wochen Fristenlösung. Seit 15 Jahren sagen wir, dass es eine umfangreiche „enquête nationale“ geben muss zum Sexualleben der Luxemburger und Luxemburgerinnen. Sie soll Daten erheben, die für jede Gesundheitspolitik wichtig sind. Wir finden ein ‚Centre contre la violence’ nach dem belgischen Modell wichtig. Das soll ein Raum sein, der Gewaltopfern juristische und psychologische Beratung bietet. Ins Planning kommen viele Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt sind oder waren. Wir fordern außerdem ein Gesetz, das Sexualverbrechen für nicht verjährbar erklärt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass Verhütung seit 1. April gratis ist. Das war ein Kampf, den wir geführt haben. Interessanterweise sind Kondome ausgenommen, obwohl es die erste Verhütungsform der Jugend ist. Das ist für uns nicht nachvollziehbar, weil Kondome nicht nur verhüten, sondern auch vor Geschlechtsinfektionen schützen. Frankreich oder Belgien haben vorgemacht, dass das geht.“ (wie)
Claire Schadeck, CID Fraen a Gender
Diskriminierende Inhalte im Schulmaterial müssen abgeschafft und die Repräsentation von Frauen in den Schulprogrammen erhöht werden
„Wir vom CID Fraen a Gender erwarten von der Regierung vor allem eine einheitliche intersektionale Genderpolitik, die sich durch alle zukünftig geplanten Maßnahmen und Ministerien zieht, mit gezieltem Einsatz für rassifizierte Frauen, queere Frauen und Frauen mit Behinderung. Nur so kann die Regierung garantieren, dass eine gerechte Genderpolitik nicht auf der Strecke bleibt. Insgesamt haben wir mehr als 29 konkrete Forderungen für eine zukünftige Regierung ausgearbeitet. Dazu gehört unter anderem die Wochenarbeitszeitverkürzung bei vollem Gehalt für alle. Dies könnte maßgeblich dazu beitragen, Frauen – die oft zusätzlich noch die Care-Arbeit zu Hause stemmen müssen – zu entlasten. Außerdem müssen Alleinerziehende besser unterstützt werden, wie zum Beispiel durch eine Erhöhung der Familienzulagen. In puncto Bildung fordern wir u.a., dass diskriminierende Inhalte im Schulmaterial abgeschafft und die Repräsentation von Frauen in den Schulprogrammen erhöht werden müssen.“ (joé)
Andy Maar, Verwaltungsratsmitglied von Rosa Lëtzebuerg
Wir erwarten, dass ein Antidiskriminierungs- und Diversitätsministerium geschaffen wird
„Von den Politikern, die die künftige Regierung bilden werden, erwarten wir vor allem, dass ein Antidiskriminierungs- und Diversitätsministerium geschaffen wird. Es hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass viele LGBTQIA+-Themen sehr intersektionell sind und rein beim Familienministerium nicht richtig aufgehoben sind. Außerdem verstärkt ein „Ministerium für die Gleichstellung von Frauen und Männern“ ein rein binäres Weltbild. Mit einem breiter aufgestellten Ministerium könnte man diese Themen besser auffangen. Außerdem braucht es unbedingt eine automatische Anerkennung beider Elternteile bei gleichgeschlechtlichen Paaren und ein konsequentes Verbot medizinisch nicht notwendiger Eingriffe jeglicher Art bei Kindern mit Variationen der Geschlechtsmerkmale, bis der betroffene Mensch seine informierte Einwilligung äußern kann. Viele der Forderungen, die wir an die kommende Regierung stellen, standen bereits in Wahlprogrammen und Koalitionsprogrammen. Diese Versprechen sollen nun auch endlich umgesetzt werden.“ (joé)
Joël Delvaux, „Zesumme fir Inklusioun“
Joël Delvaux ist in vielen Organisationen aktiv, in denen es um die Belange von Menschen mit einer Behinderung geht. Zum Beispiel bei „Nëmme mat eis“, „Zesumme fir Inklusioun“ sowie beim OGBL, wo er für die „Travailleurs handicapés“ zuständig ist. Von den Wahlen am kommenden Sonntag erwartet er unter anderem, dass die neue Regierung die 2012 ratifizierte UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit einer Behinderung endlich wirklich in die Tat umsetzt. Ein spezielles Anliegen ist ihm auch, dass die Barrierefreiheit einen vollumfänglichen Stellenwert im Wohnungsbereich sowie bei Kinos, Cafés und Restaurants bekommt. Joël Delvaux plädiert auch für die Einführung eines persönlichen Assistenten, der von einer Person mit Behinderung zu Hause so eingesetzt werden kann, wie der Betroffene es will und braucht. Aktuell könne dieser, wenn er nicht in ein Heim möchte, nur die von der Pflegeversicherung angebotenen Leistungen in Anspruch nehmen. Von den Wahlprogrammen fühlt sich Delvaux dieses Mal mehr angesprochen als sonst. Er habe den Eindruck, dass sich quasi alle Parteien eingehend mit den verschiedenen Problematiken im Behindertenbereich beschäftigt haben. (mago)
Christian Richartz, Präsident von „Eran, eraus … an elo?“
„Wer ehrlich arbeitet, soll einen gerechten Lohn erhalten. Das muss auch für Häftlinge im Gefängnis von Schrassig gelten“, sagt der Präsident der Interessenvertretung der Inhaftierten „Eran, eraus … an elo?“ „Bis heute werden diese aber alles andere als korrekt für ihre Arbeit bezahlt. Wichtig ist auch, dass die Sozialversicherung und der Rechtsstatus vollumfänglich gewahrt bleiben. In diesen Bereichen hat Luxemburg enormen Nachholbedarf. Scheinbar sind die Politiker nun aber offen für Veränderungen bei diesen Anliegen. Veränderungen muss es aber auch bei der Art der Strafen gehen.“ Im Rahmen einer besseren Resozialisierung müsse man möglichst weg von reinen Gefängnisstrafen, kann man Richartz verstehen. Offener Strafvollzug, gemeinnützige Arbeit, Fußfesseln oder andere Möglichkeiten des Hafturlaubs seien als Alternativen oft zukunftsorientierter. Besonders, weil der Verurteilte teilweise in seinem gewohnten Umfeld, Familie, Freunde, Arbeitsplatz, bleiben könne und er es somit leichter habe, nach Verbüßung seiner Strafe ins normale Leben zurückzukehren. Ein unabhängiger Strafvollzugsrichter sei da besser geeignet als die Staatsanwaltschaft. (mago)
Monique Goldschmit, Präsidentin von „ProVelo“
Die Verwaltungen müssen besser zusammenarbeiten
„Der Mobilitätsplan PNM2035 und der gute Ansatz der vergangenen Jahre muss konsequent weitergeführt werden, damit neue Fahrradwege entstehen. Die neue Regierung darf nicht wieder etwas völlig Neues planen. Es gibt zudem noch Handlungsbedarf bei der Akquisition von Grundstücken, die nötig sind, um Fahrradstrecken zu bauen. Bis es nämlich zum Erwerb des Grundstückes kommt, dauert es sehr lange. Überhaupt muss man früher alle Etappen für den Bau von Radwegen angehen, anstatt eine Etappe nach der anderen abzuarbeiten. Und die Verwaltungen müssen besser zusammenarbeiten. Wir erhoffen uns außerdem, dass der direkte Austausch mit den Gemeinden intensiver wird. Es gibt zwar schon eine Person beim Ministerium, die Kontakt mit den Kommunen hat, aber die sie fühlen sich oft alleingelassen. Nicht jede Gemeinde hat ein ‚bureau d’étude‘ oder einen Techniker, der sich um die Planung kümmern kann. Dort müssen sie aktiver unterstützt werden. Dann ist es auch möglich, bei jedem neuen Projekt auch einen Radweg mit einzuplanen.“ (fey)
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