DP-Spitzenkandidat / Der Nahbare: Xavier Bettel strebt eine dritte Amtszeit als Premierminister an
Xavier Bettel strebt bei den Wahlen am 8. Oktober eine dritte Amtszeit als Luxemburgs Premierminister an. Die Wahlkampagne ist einzig und allein auf ihn zugeschnitten.
Eine Frau hält mit der einen Hand einen Dokumentenstapel, mit der anderen wischt sie sich eine Träne aus den Augen. Daneben sitzt Xavier Bettel, lauscht den Ausführungen und scheucht die Fotografen von dannen. Das Bild, das sich dem Beobachter ergibt, ist der Inbegriff der DP-Kampagne mit ihrem Slogan „No bei dir“, die komplett auf den Spitzenkandidaten und erneuten Anwärter auf das Staatsministerium zugeschnitten ist. „Lex, komm mal her“, ruft er den DP-Parteipräsidenten zu sich.
Es herrscht Wahlkampf bei der DP. Im prall gefüllten Kulturzentrum in Junglinster hat die Partei ihre sieben Kandidaten für den Osten vorgestellt, die Regierungsbilanz verteidigt und das Parteiprogramm vorgestellt. Während nach dem offiziellen Teil des Abends die DP-Kandidaten vorne am Rednerpult mit einigen Sympathisanten reden oder sich in den Nachbarraum zum „Patt“ verabschiedet haben, gibt Xavier Bettel den Kümmerer.
Nervig und menschensüchtig
Die Rolle liegt ihm. Xavier Bettel sagt von sich selbst, dass er den Wahlkampf liebt und menschensüchtig ist. Während andere den 8. Oktober herbeisehnen, um sich endlich wieder in ihren Büros verkriechen zu können, betont Bettel immer wieder, wie gerne er unter Menschen sei. Ob in Luxemburg, Dublin, Saigon oder Niamey: Mit jedem Selfie in der Menschenmenge scheint der Luxemburger Premierminister neue Energie zu tanken. „Wissen Sie, ich habe die Menschen nicht erst in den vergangenen Wochen entdeckt“, merkt Bettel im Gespräch mit dem Tageblatt an. Ob er sich als Unikum im politischen Luxemburg sieht? „Weiß ich nicht“, erwidert Bettel knapp. „Ich weiß nur, dass die einen Gefallen an mir finden und ich anderen wiederum furchtbar auf die Nerven gehe mit meiner Art.“
Es ist das Nahbare, das Persönliche, das Xavier Bettel von den anderen Kandidaten grundsätzlich unterscheidet. Paulette Lenert konnte in der Pandemie erhebliche Sympathiepunkte sammeln. Trotzdem wirken ihre öffentlichen Auftritte noch lange nicht so selbstverständlich locker wie die ihres Regierungskollegen. Sam Tanson kommt bisweilen eher distanziert, technokratisch rüber. Und Luc Frieden musste sich weiße Turnschuhe anziehen, um im Vergleich mit Bettel halbwegs menschlich zu wirken.
Teflon-Premier
Wohl auch deswegen bleiben Skandale nicht am Premier hängen. Die Plagiat-Affäre hat Luxemburgs Premierminister ohne größeren politischen Schaden ausgestanden. „Ich bin mir bewusst, dass es keine gute Arbeit war“, gab der Premier bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach Bekanntwerden der Vorwürfe eher lapidar zu. „Wenn die Glaubwürdigkeit der Politik gelitten hat, tut das mir leid.“ Und das war es dann auch schon. Während in Deutschland Bundesfamilienministerin Franziska Giffey oder Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ihre Stühle räumen mussten, ist Bettel weiter im Amt geblieben.
Die Person Xavier Bettel im Wahlkampf hervorzuheben, ist eine klare Strategie der DP. Lex Delles und Carole Hartmann verteidigten am Montagabend die Regierungsbilanz der DP und stellten gezielte Maßnahmen aus dem Parteiprogramm vor. Es fielen Begriffe wie Energiekrise, Index, Zinspolitik, kalte Progression, Investitionen, Vermögenssteuer, Digitalisierung, Arbeitszeit, Fachkräftemangel, Zeitsparkonten. Als Bettel dann die Regie übernahm, kitzelte er bereits nach knapp drei Minuten den ersten Lacher aus dem Publikum. Es fielen Wörter wie Chance, Sorgen, Freiheit, Gleichgewicht, Explosion. Begriffe, die dehnbar und ohne Kontext nichtssagend sind, jedoch eine gewisse Strahlkraft haben. Auch Bettel wird auf die Energie- und Covid-Krise eingehen, die Auswirkungen des Ukraine-Krieges Revue passieren lassen – alles jedoch versehen mit einem ganz persönlichen Touch und der Bettel-Reden inhärenten Dramatik und Pathos.
Und doch wirkt es bei alledem, als kriege man den Menschen Xavier Bettel trotz Nähe nie richtig zu fassen. Was ihn denn von anderen liberalen Politikern der DP unterscheide? „Ich bin mit Frau Backes das Gesicht der DP“, lautet Bettels Antwort. „Ich schäme mich für keinen unserer 60 Kandidaten.“ Eine Antwort, die keine ist.
Im Gegenzug wird Bettel nachgesagt, dass er seine Dossiers nicht immer bis ins kleinste Detail kenne. „Nur weil ich als Politiker gut gelaunt bin und gerne bei den Leuten bin, heißt das nicht, dass ich meine Dossier nicht kenne“, weist Bettel den Vorwurf von sich. Er sieht darin eine gezielte Attacke auf seine Persönlichkeit. „Wenn die CSJ ein Video publiziert, wird damit nur versucht, meine Person zu zerstören.“ Als amerikanische Zustände betitelt Premier Bettel diese Episode.
Zu Beginn des Jahres hat Premierminister Xavier Bettel noch gemeint, dass er innerhalb der Regierungsmannschaft keine Wahlkampfstimmung aufkommen lassen wolle. Das ist ihm erstaunlich gut gelungen – nicht wenige Beobachter sehen darin ein Zeichen, dass die Dreierkoalition es nach den Wahlen bei der nötigen Mehrheit noch ein drittes Mal versuchen wolle. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Xavier Bettel seine Koalitionspartner bisweilen sogar verteidigt.
Bettel gegen Hardliner
Außerhalb des Scheinwerferlichts sind die Prognosen jedoch deutlich reservierter. Die LSAP-Forderungen bei der Steuer- und Arbeitspolitik scheinen nicht wenige innerhalb der liberalen Partei abzuschrecken – auch den Premierminister selbst. Man könne diesen Weg als DP nicht mitgehen, betonte Bettel bei seinen Auftritten der vergangenen Wochen. Angeblich wurde von den Parteigranden Druck auf den DP-Spitzenkandidaten ausgeübt, er möge sich nach außen doch etwas wirtschaftsliberaler geben. Schließlich will man bei der DP etwaige Wechselwähler der vergangenen Jahre nicht wieder an die CSV verlieren.
Bettel aber hatte nie das Image eines finanz- und wirtschaftspolitischen Hardliners inne. Und obwohl das Programm der DP in Wirtschaftsfragen näher an der CSV liegt, würde es auch mit den Christsozialen keine einfachen Koalitionsverhandlungen geben. Auch deshalb, weil es zwischen einigen DP- und CSV-Politikern persönliche Animositäten geben soll. Das verneint er nicht. „Eine Koalition ist kein Wunschkonzert“, meint Bettel lediglich. Er habe schließlich bei Tripartiten, als Premier einer Drei-Parteien-Regierung und während der Krisen, gezeigt, dass er Einigungen herbeiführen könne. „Ech kréien awer keng Pautsche méi an d’Gesiicht, wann ech mat dem engen oder anere muss zesummeschaffen. Déi Zäite sinn eriwwer.“
Die Farbe einer zukünftigen Regierung wird sich wohl dadurch entscheiden, ob Steuern oder eher gesellschaftspolitische Themen Vorrang haben. „Ich will das Rad der Zeit nicht zurückdrehen“, sagt Bettel. Mit einer gestärkten DP könne man in einer Regierung viel umsetzen, eine geschwächte DP werde in die Opposition fliegen.
Die Sonne ist noch nicht untergegangen, als Premierminister Bettel nach einem Networking-Event mit der Handelskammer in einem typisch irischen Pub in Dublin auf die Straße tritt. Es ist der Tag nach den Gemeindewahlen in Luxemburg, gut gelaunt plaudert er an der frischen Luft mit den anwesenden Journalisten. „Ich habe Paulette gesagt, sie müsse das Ergebnis ihrer Partei verteidigen“, sagt Bettel. Die LSAP-Vizepremierministerin hatte in der Nacht zuvor der CSV den Anspruch auf den Bürgermeisterposten in Esch zugesprochen. Es scheint, als habe Lenert aus dem Fauxpas gelernt und durch den Rat des politischen Lehrmeisters gelernt. Paulette Lenert riskiert, Xavier Bettel am Sonntag vom Thron zu stoßen. Bettel gibt sich unbesorgt. „Die Menschen wissen, was sie an mir haben.“ Die Frage lautet: Wie lange noch?
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10 Jahre Clownerie genügen vollkommen. Man soll immer aufhören wenn es am schönsten ist lieber Xavier.
Gott bewahre!