Neu in der Chamber / Shootingstar Liz Braz: „Ich werde kein Blatt vor den Mund nehmen“
Mit ihren 27 Jahren ist Liz Braz die jüngste der neuen Abgeordneten im Parlament. Im Interview mit dem Tageblatt blickt die LSAP-Politikerin aus Esch auf turbulente Monate zurück und verrät, was von ihr in den nächsten Jahren in der Politik zu erwarten ist.
Tageblatt: Liz Braz, Sie sind im Juni in Esch als Listen-Zweite in den Gemeinderat gewählt worden, im Oktober folgte der direkte Einzug ins Parlament. Waren die letzten fünf Monate wie ein Traum für Sie?
Liz Braz: Hätte mir das jemand vor fünf Monaten gesagt, den hätte ich gekniffen, damit er aus seinem Traum erwacht. Im April habe ich im Außenministerium angefangen zu arbeiten und ich habe meine Zukunft auch dort in der diplomatischen Welt gesehen. Denn das hier habe ich absolut nicht für realistisch gehalten. Auch heute ist es noch immer ein bisschen surreal, dass ich nun in der Chamber sitze. Ich habe damit gerechnet, dass eine LSAP-Regierungsbeteiligung das absolute Minimum wäre, um in die Chamber zu kommen. Denn dann hätte ich eventuell nachrücken können. Aber ich nehme es, wie es ist, weil schließlich ist es eine einmalige Chance, so jung diese Möglichkeit zu bekommen.
Wie erklären Sie sich das gute Abschneiden?
Wir müssen uns nichts vormachen, sicherlich hat der Name mitgespielt. Ich habe in denselben Städten gut abgeschnitten, in denen mein Vater schon gut abgeschnitten hat. Ich meine aber auch, dass der Wähler offen war, junge Leute und auch Frauen zu unterstützen. Und meine Präsenz in den sozialen Medien kann auch mitgespielt haben. Aber ehrlich gesagt, ich suche noch nach Erklärungen.
Nervt es Sie eigentlich, dass Sie in Medienartikeln ständig als „Tochter des früheren Vize-Premiers“ bezeichnet werden, in anderen Worten auf ihren Vater reduziert werden?
Auch nach den Wahlen ist mir aufgefallen, dass bei jeder Analyse in den Medien der Name meines Vaters vor meinem genannt wurde. Ich verstehe das und es ist ja auch so, dass mir dadurch Türen aufgemacht wurden. Und natürlich war durch meinen Vater ein gewisses Medieninteresse an mir da, was andere junge Kandidaten nicht hatten. Es wäre aber falsch, dem Wähler zu unterstellen, er würde nur Namen wählen. Ich bin bemüht, jetzt den ganzen Namen „Liz Braz“ salonfähig zu machen, um in Zukunft nicht mehr ständig nur auf meinen Nachnamen reduziert zu werden, selbst wenn dieser meinen Aufstieg zum Teil erklärt.
Wenn Sie also in einem Jahr noch als „Tochter von“ bezeichnet werden würden, würden Sie dann zum Schluss kommen, etwas falsch gemacht zu haben?
Nein, ich würde zum Schluss kommen, dass Journalisten, die mich darauf reduzieren wollen, ihrer Aufgabe auch nicht ganz gerecht werden (lacht). Mit 27 Jahren bin ich durchaus fähig, eigene Entscheidungen zu treffen, die unabhängig vom Werdegang meines Vaters sind, angefangen bei der Wahl meiner Partei. Auch wenn ich meinem Vater in vielem ähnele, bin ich eine eigene Person mit eigenen Interessen und einer anderen Art und Weise. Demnach hoffe ich, dass ich es aus eigener Kraft schaffe, die Menschen zu überzeugen, dass ich mehr bin als nur die „Tochter von“.
Wenn Sie auf beide Wahlen zurückblicken, was überwiegt dann: Die Freude über das gute persönliche Resultat oder die Enttäuschung, dass es für Ihre Partei nicht reichte, um in die Verantwortung zu kommen?
Ich scheine der LSAP wohl nicht viel Glück zu bringen (lacht). Ich konnte mich in der Tat bei beiden Wahlen zunächst nicht über mein persönliches Resultat freuen. Wir sind in der Opposition gelandet, das war nicht das Ziel. Für meinen persönlichen Weg ist die Opposition wahrscheinlich nicht so schlecht, schließlich stehe ich am Beginn meiner politischen Karriere und muss noch viel lernen. In der Opposition muss man sich richtig in Dossiers einarbeiten, um fundiert kritisieren und Alternativen vorschlagen zu können. In der Mehrheit ist man eher Soldat, der zu jedem Projekt Ja und Amen sagt. Im Parlament sitzen Claire (Delcourt, die andere junge Neugewählte der LSAP, Anm. d. Red.) und ich nun neben den Experten aus unserer Partei, die teilweise aus den Ministerien kommen. Von ihrem Wissen können wir profitieren. Das ist eine große Chance für uns, denn es geht für die LSAP darum, sich mit eigenen Vorschlägen wieder richtig mit einer sozialistischen Politik zu positionieren. Wir müssen aktiv Alternativen anbieten und nicht nur „maulen“, weil wir in der Opposition sind. So wie es eine CSV jetzt zehn Jahre lang gemacht hat, ohne etwas konkret anderes vorzuschlagen. Wir müssen uns als sozialistische Partei so positionieren, dass wir in fünf Jahren gestärkt aus der Opposition hinausgehen. Kurz zusammengefasst: Es ist ein lachendes und weinendes Auge mit den Wahlen verbunden.
Wofür steht Liz Braz politisch?
Ich möchte zuallererst einmal ein Sprachrohr für die Jugend sein. Ansonsten sind meine Themen Justiz und Außenpolitik, mit allem, was damit zusammenhängt, zum Beispiel die aktuellen Kriege, die Europa auch betreffen. Ein weiteres imminent wichtiges Thema ist die Digitalisierung. Die ist omnipräsent, aber wir laufen in Luxemburg dem Fortschritt komplett hinterher. Luxemburg will sich nach außen hin als digitaler Hub präsentieren, hat aber weder den reglementarischen Rahmen dafür noch die Infrastruktur. Wir brauchen eine nationale KI-Strategie. Am Herzen liegt mir auch die Gesundheitspolitik. Wenn man sich an manche Aussagen der DP und CSV im Wahlkampf erinnert, dann kann das einem Sorgen um unser Gesundheitssystem bereiten. Auch da würde ich mich gerne stärker hineinarbeiten, zumal ich in den letzten vier Jahren (seit dem Herzinfarkt ihres Vaters, Anm. d. Red.) viel gesehen und erlebt habe.
Müssen die Menschen Angst vor der künstlichen Intelligenz haben oder ist sie eine große Chance?
Beides, KI hat Gefahren, bietet aber auch Chancen. Deswegen müssen wir das in Luxemburg in die Hand nehmen. Wir brauchen einen strengen Rahmen, der unsere individuellen Rechte vor den Gefahren schützt. Nur dann kann KI eine große Chance sein und das Leben eines jeden vereinfachen.
Sie sind ausgebildete Juristin. Warum sitzen eigentlich so viele Juristen in der Chamber?
Eine schwierige Frage. Politik ist ein Beruf, der nahe an der Juristerei ist. Politiker schreiben die Gesetze, die die Anwälte in ihren Plädoyers vor Gericht auseinandernehmen müssen. Juristen sind in der Regel auch geschulte Kommunikatoren und Verhandlungsführer, was in der politischen Arena besonders nützliche Fähigkeiten sind. So liegt es auf der Hand, dass viele Juristen Interesse an der Politik haben.
Sie sagten vor gut einem Jahr in einem Tageblatt-Interview, dass Sie sich nicht vorstellen könnten, Berufspolitikerin zu werden. Jetzt sieht es aber danach aus, als wären Sie genau auf dieser Schiene …
Ja, ich sage noch heute, dass ich das nicht will. Und es macht mich jetzt auch nervös, dass ich in diese Situation gekommen bin. Ich würde die nächste Zeit gerne parallel zur Politik einen zweiten Master (Braz hat ein abgeschlossenes Jura-Masterstudium, Anm. d. Red.) machen, im Bereich Finanzen oder Ökonomie. Wenn ich den bis habe, werde ich daran arbeiten, mich in irgendeiner Form nebenbei selbstständig zu machen. Denn ich möchte nicht abhängig sein von der Politik, sondern freie Entscheidungen treffen. Ich möchte nicht vor Wahlen zittern oder meine Seele verkaufen, nur um wiedergewählt zu werden, damit mein Lebensunterhalt gesichert ist.
Im Escher Gemeinderat hat man zuletzt feststellen können, dass von der Oppositionsbank auch dank der neuen und jungen Gesichter ein frischer Wind weht. Ist in der Chamber mit Ähnlichem zu rechnen?
Ganz sicher, die Chamber ist ein bisschen ein verstaubter Klub und ich werde genau dasselbe machen wie in Esch. Ich werde mich in die Dossiers einarbeiten und wissen, wovon ich rede, wenn ich das Wort ergreife. Ich werde Kritiken anbringen, aber auch loben, wenn etwas gut läuft. Aber ich werde vor niemandem Angst haben und auch kein Blatt vor den Mund nehmen. Ich weiß, dass das nicht immer jedem gefällt, aber das ist mir egal.
Was ist in den nächsten fünf Jahren von einer CSV-DP-Mehrheit zu erwarten?
In der Justiz habe ich etwas Angst vor dem Law-and-Order-Staat. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich von Schnellverfahren höre. Das macht mir Angst, denn individuelle Rechte können da nicht gewahrt werden. Ich denke, dass es einen deutlichen neoliberalen Ruck gegeben wird, auf Kosten der Schwächeren. Und ich befürchte auch, dass das Soziale zu kurz kommen wird in den nächsten Jahren, dass wichtige Sozialleistungen gestrichen werden, während man großen Betrieben mit steuerlichen Vorteilen entgegenkommt. Ich glaube nicht, dass CSV und DP gewillt sind, das Bedürfnis nach Unterstützung bis weit in die Mittelschicht aufrechtzuerhalten und den Schwächsten verstärkt zu helfen. Die Mittelschicht, wie es sie früher in Luxemburg gab, gibt es so bald nicht mehr, denn die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer und reißt die Gesellschaft auseinander. Ich will jetzt hier nicht schon den Teufel an die Wand malen, bevor wir etwas schwarz auf weiß haben. Im Moment kann ich mir aber nicht vorstellen, dass wir die Politik bekommen, die Luxemburg in Krisenzeiten braucht. Eine Austeritätspolitik braucht das Land jedenfalls momentan ganz sicher nicht.
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Gut gebrüllt Löwe, kucken emol wéi laang dat unhält 🤣
„Intra Muros“ von Gaston Vogel lesen. Da ist auch der Name Braz vertreten. Viel Glück beim Volksvertreten und nicht zu oft mit Großunternehmern essen gehen.Auch oder vor allem wenn’s privat ist.
“ Ich möchte nicht vor Wahlen zittern oder meine Seele verkaufen, nur um wiedergewählt zu werden, damit mein Lebensunterhalt gesichert ist. “
ohh Respekt. Das lesen die Kollegen aber nicht gerne. Aber wenn’s schief geht (Reding,Engel),dann gründet man eine neue Partei. Oder man geht nach Brüssel.Da geht immer was.Das ist die Zentrale für gescheiterte Lokalpolitiker.
Guten Tag Frau Braz,
in der Arbeitsgruppe „Santé mentale“ der Grünen haben ungefähr 12 Menschen in den Jahren 2003 und 2004 über die Verringerung von autoritärer Gewalt im Bereich des Gesundheitswesens gesprochen. Ihr Vater war damals dabei. Die Aktion endete mit einer Pressekonferenz. Anschließend fand die bisher einzigste Konferenz der LGSP mit Prof. Wolfgang WERNER zum Thema „Wege und Irrwege der öffentlichen Psychiatrie am Beispiel des Saarlandes“ statt. Das Konzept der wenig sichtbaren autoritären Gewalt zur Durchsetzung von autoritären Zielen / Maßnahmen ist auch in Luxemburg omnipräsent. Freiheitsentziehende Maßnahmen erzeugen eine lebenslang nach innen oder nach außen wirkende Gewalt.
MfG
Robert Hottua
„PRATIQUES FISCALES AGRESSIVES
Ernst&Young défie le fisc.“ lt Reporter.lu
Das wäre doch auch ein Aufgabengebiet, Gesetz von 1931 mal durchschütteln Frau Braz.
Eine Herausforderung für junge Juristen.
Mein alter Herr hat immer zu mir gesagt: „Junge, wenn du irgendwo neu und unerfahren bist, setz dich erstmal hin, halt den Schnabel und hör den erfahrenen Menschen erst mal zu. Mit der Zeit wirst du es lernen diese positiv auf dich aufmerksam zu machen.“
Mit seinem Rat im Hinterkopf bin ich gut durch’s Leben gekommen.