Radsport / Ein traumatisiertes Peloton in der „Hölle des Nordens“
Das Peloton ist „traumatisiert“ von den schweren Stürzen, die mehrere Radsportstars innerhalb weniger Tage ins Krankenhaus gebracht haben. Nun steht am Sonntag Paris-Roubaix an, eines der gefährlichsten Rennen des Jahres. Favorit bleibt der Sieger der Flandern-Rundfahrt, Mathieu van der Poel. Luxemburger sind bei den Herren nicht am Start.
Wenn es ein Rennen gibt, das Radsportlern wirklich Angst bereitet, dann ist es die Hölle des Nordens. Seit ihrer ersten Austragung im Jahr 1896 schüttelt „La Reine des Classiques“ die Fahrer und ihre Maschinen auf ihren sechs Millionen Pflastersteinen nur so durch. 2024 ist Roubaix das einzige Rennen des Jahres, bei dem die Teams ihren Fahrern die Wahl lassen, ob sie daran teilnehmen wollen oder nicht.
Dies gilt in diesem Jahr umso mehr, da die Pflastersektoren nach einem besonders nassen Winter mit Wasser vollgesogen und mit Schlamm verschmiert sind. Obwohl warmes, trockenes und windiges Wetter vorhergesagt wird, glich die Strecke auch am Freitag noch an einigen Stellen einer Eisbahn, die zu einem neuen Festival der Rutschpartien und Reifenpannen einlädt.
Stürze sind das Thema der Stunde im Radsport und der Schrecken wurde am Donnerstag noch größer, als bei der Baskenland-Rundfahrt die Topstars Jonas Vingegaard und Remco Evenepoel zu Boden gingen. Beide erlitten Brüche, Vingegaard zudem eine Lungenquetschung. Drei Monate vor der Tour de France müssen nun beide ihre Saison für einige Wochen unterbrechen.
Der Sturz, dem der ebenso schwere Unfall von Wout van Aert vor zehn Tagen bei „A travers la Flandre“ vorausging, rückt die Gefährlichkeit und die irrsinnigen Geschwindigkeiten dieses Sports wieder in den Mittelpunkt der Debatte.
Sechstes „Monument“ vor Augen
Das Peloton ist „verdammt traumatisiert“, wie es der Direktor von Paris-Roubaix, Thierry Gouvenou, ausdrückte. Die Fahrergewerkschaften hatten ihn um eine Möglichkeit gebeten, die Fahrer am Eingang der gefürchteten „Trouée d’Arenberg“ abzubremsen, um Stürze zu vermeiden.
Nach zahlreichen Beratungen mit den Behörden wurde beschlossen, dass es für die Fahrer eine Schikane kurz vor der Einfahrt zum Arenberg geben soll. Dies soll vermeiden, dass die Fahrer im höchsten Tempo in diesen Sektor einfahren. Im Gespräch mit dem Tageblatt sagte Alex Kirsch, der nach seinem Sturz bei Dwars door Vlaanderen nicht bei Paris Roubaix starten wird, am Donnerstag Folgendes: „Mit 60 km/h in den Arenberg reinzufahren, ist mit das Verrückteste, das es gibt. Es ist so verrückt, das kann sich niemand vorstellen.“
Doch die Schikane birgt aufgrund ihrer Enge weitere Sicherheitsprobleme. Van der Poel reagierte mit einem Scherz: „Das ist ein Witz“, sagte er, und es scheint, dass er sich nicht vor einer Einfahrt mit mehr als 60 km/h zum Arenberg fürchtet. Der Niederländer ist der große Favorit auf den Klassiker-Doppelsieg in Roubaix – eine Woche nach seiner Demonstration bei der Flandern-Rundfahrt.
Seit Fabian Cancellara im Jahr 2013 hat kein Fahrer mehr die beiden gepflasterten Monumente im selben Jahr gewonnen. Van der Poel hat jedoch gute Gründe, an diesen Doppelsieg zu glauben. Denn seine Kraft, seine Beweglichkeit und seine Überlegenheit erinnern genau an die, die damals von Cancellara ausgefahren wurde.
Konkurrenz im eigenen Team
Van der Poel kann am Sonntag sein sechstes Monument gewinnen. Er würde damit Tadej Pogacar überholen, um mit nur 29 Jahren der einzige aktive Fahrer zu werden, der sechs Monumente in seinem Gepäck hat.
Der Weltmeister, der die Woche über in der Sonne Spaniens trainiert hat, ist auch deshalb Favorit, weil die Konkurrenz wie bei der Flandern-Rundfahrt reduziert ist.
Neben Wout van Aert, der für lange Wochen ausfällt, ist auch der Formzustand von Mads Pedersen ungewiss, der ebenfalls noch seine Wunden von der Flandern-Rundfahrt leckt. Dasselbe gilt für das Team Visma-Lease a bike, das die Rückkehr von Christophe Laporte verzeichnet, aber ohne Van Aert und Matteo Jorgenson antreten wird.
Van der Poels stärkster Konkurrent könnte am Ende sein Teamkollege bei Alpecin, Jasper Philipsen, sein, der letztes Jahr Zweiter wurde und vor einem Monat Mailand-Sanremo gewann.
Wenn einer der beiden gewinnt, wäre Alpecin das erste Team seit mehr als einem halben Jahrhundert, das die ersten drei Monumente des Jahres gewinnt – ein kräftiges Statement gegenüber Teams wie Visma, UAE oder Ineos, die ein viel größeres Budget haben. (AFP/pg)
Damen: Mit Majerus und Berton
Lotte Kopecky, die bei der Flandern-Rundfahrt enttäuschte, hat die Gelegenheit, auf den Pflastersteinen von Paris-Roubaix eine Rechnung zu begleichen, wo die Belgierin am Samstag ihren ersten Sieg bei der vierten Auflage anstrebt. Die Hölle des Nordens hat für die Flämin etwas von einer Revanche, denn sie war bei der Flandern-Rundfahrt am Koppenberg stecken geblieben und wurde nur Fünfte, was angesichts ihrer Ambitionen und ihres Stammbaums eine Enttäuschung war. Doch für die Teamkollegin von Christine Majerus bietet sich eine großartige Gelegenheit, diese schmerzhafte Erinnerung mit einem Sieg bei Paris-Roubaix auszulöschen. „Das ist ein neuer Tag, eine neue Chance. Ich kann es kaum erwarten, dort zu sein. Ich habe noch nicht genug von diesem Rennen“, betonte das Aushängeschild für die Klassiker des Teams SD Worx-Protime. Während Majerus für Kopecky arbeiten wird, muss das Team auf die Schweizerin Marlen Reusser verzichten, die sich bei einem Sturz bei der Flandern-Rundfahrt den Kiefer und acht Zähne gebrochen hat. Zu Kopeckys Konkurrentinnen zählen die niederländische Legende Marianne Vos (Visma-Lease a bike) oder die Italienerin Elisa Balsamo. Als zweite Luxemburgerin wird Nina Berton (Ceratizit WNT Pro Cycling) an den Start gehen. Die 22-Jährige wird demnach die Hölle des Nordens entdecken.
Beim Rennen der Espoirs, das am Sonntag stattfindet, wird mit Mathieu Kockelmann (Lotto Kern-Haus PSD Bank) ein Luxemburger starten. Über 111 Kilometer wird, ebenfalls am Sonntag, das Rennen der Junioren ausgetragen. Mit dabei ist die luxemburgische Nachwuchs-Nationalmannschaft. Die Farben des Großherzogtums repräsentieren Flavio Astolfi, Théo Da Costa Passetti, Jonah Flammang-Lies, Yannis Lang, Lenn Schmitz und Arnaud Noirhomme.
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