Literatur / Der rote Geist von Düdelingen: „Rouge fantôme“ von Corina Ciocârlie
In Düdelingen wird seit Jahrzehnten eine Frauenstatue vermisst – die Autorin Corina Ciocârlie geht der Sache in ihrem Buch „Rouge fantôme“ nach.
„Gesucht: junge Frau mit welligem Haar und engelsgleichem Gesicht. Zuletzt gesehen im Garten des Café Rossi in Düdelingen, lange vor dessen Abriss in den 1970er-Jahren“ – so könnte die Vermisstenmeldung für die Frauenstatue lauten, nach der Corina Ciocârlie in ihrem Buch „Rouge fantôme“, am 22. März bei Capybarabooks erschienen, sucht. „Un beau matin, la jeune femme est descendue de son socle et nul n’a plus jamais retrouvé sa trace“, schreibt die Autorin dort nämlich. Damit beginnt ein Buch, das kreuz und quer durch die „Minett“-Region, vor allem aber durch die Stadt Düdelingen im Industriezeitalter führt.
Zunächst stehen Frauenstatuen im Mittelpunkt. Geht es anfangs um die verschollene Figur aus Düdelingen, verweist Ciocârlie schon bald auf andere Frauenstatuen, die Luxemburg – zumindest zeitweise – abhandengekommen sind: die „Gëlle Fra“ und die „Léiffrächen“. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht im Jahr 1940 wurde die Gëlle Fra im Auftrag der Zivilverwaltung abgerissen. Eine luxemburgische Baufirma rettete die Bronzefigur am Sockel, Unbekannte versteckten die Überreste der Staute unter der Tribüne des „Stade Josy Barthel“. Wieder aufgetaucht ist sie erst 41 Jahre später. 1985 wurde das Denkmal nach einer Restaurierung erneut aufgestellt. Seither reiste die Gëlle Fra zur Weltausstellung nach Schanghai (2010) und im Anschluss nach Bascharage, bevor sie wieder an ihrem gewohnten Platz auf der place de la Constitution in Luxemburg-Stadt zu sehen war.
Un beau matin, la jeune femme est descendue de son socle et nul n’a plus jamais retrouvé sa traceAutorin „Rouge fantôme“
Ciocârlie erwähnt auch die Polemik rund um die Kopie der Gëlle Fra durch die Künstlerin Sanja Iveković: Es ging ein Aufschrei durch Luxemburg, als Iveković 2001 mit „Lady Rosa“ eine schwangere Version der Gëlle Fra präsentierte. Immerhin inspirierte diese die Autorin Nathalie Ronvaux zum Theaterstück „Moi, je suis Rosa!“ (2022), mit Céline Camara in der Hauptrolle. Zugegeben: Das Schicksal der Léiffrächen ist im Vergleich weniger dramatisch, doch auch jenes findet in Ciocârlies Buch Erwähnung. Ein Arbeiter soll die Holzfigur 1753 beim Schneiden von Unterholz auf dem „Keeler Bierg“ gefunden haben. 1901 fiel diese einem Brand zum Opfer; 1915 wurde sie durch eine Steinstatue, 1937 durch eine Eichenholzfigur ersetzt und in „Notre-Dame des Mineurs“ umbenannt. Diese und andere Anekdoten zu Frauenfiguren sind durchaus interessant, auch wenn es den dazugehörigen Texten an manchen Stellen an Tiefe und einer kritischen Auseinandersetzung mit der Darstellung der Frauenkörper fehlt.
Ciocârlie interessiert sich aber nicht nur für Frauen aus Stein und Holz, sondern auch für die aus Fleisch und Blut. In ihrem Werk geht sie kurz auf das Leben der Migrantinnen ein. Hierzu zitiert die Autorin aus mehreren Werken, beispielsweise aus „Une histoire de regards“ (2022) von Sophie Feyder oder aus „Tanti italiani fa … in Lussemburgo“ (2019) von Remo Ceccarelli. In den Textausschnitten thematisieren beide die Berufslage der Migrantinnen. Nach einem Gesetz von 1876 durften sie nicht in der Industrie arbeiten. Stattdessen waren sie als Hausangestellte in luxemburgischen Familien tätig, eröffneten Pensionen, Lebensmittelläden und Cafés oder erledigten Näharbeiten.
Fundgrube für Zitate
Dass Ciocârlie aus Werken anderer Autor*innen zitiert, ist übrigens keine Ausnahme, denn das Buch gleicht einer Fundgrube für Zitate aus Sachbüchern und literarischen Werken. Rot markiert, kontrastieren sie stark mit dem schwarz gedruckten Lauftext und den vielen Archivbildern, was den Lesefluss teilweise stört. Zumal die Zitate im Original abgedruckt und somit nur jenen in Gänze verständlich sind, die neben den drei Landessprachen auch Italienisch verstehen. Statt der vom Verlag versprochenen Schnitzeljagd bietet das Buch darüber hinaus eher einen Überblick und Leseempfehlungen zur Migrationsgeschichte und der Historie der Stadt Düdelingen. Der „Rouge fantôme“ geht irgendwann zwischen Beiträgen über die Bedeutung von Fußball für Migrant*innen und Rassismus gegen Italiener*innen unter – interessante Sujets, die mit der Suche nach der Frauenstatue aber nur entfernt etwas zu haben. Das dürfte Leser*innen frustrieren, die vor allem an dem Fall interessiert sind.
Zum Trost: Welche Gerüchte um den Verbleib der Statue aus dem Café Rossi kursieren, erfahren die Leser*innen gegen Ende des Buches. Was es damit auf sich hat, geben wir an dieser Stelle nicht preis, dafür verraten wir Ihnen aber, wo Sie Corinna Ciocârlie persönlich treffen können: Sie präsentiert ihr Buch am Mittwoch, dem 10. April, ab 19.30 Uhr im Kulturzentrum „opderschmelz“ in Düdelingen.
Buchpräsentation „Rouge fantôme“ von Corina Ciocârlie
Am 10. April ab 19.30 Uhr im Zentrum „opderschmelz“ (1A, rue du Centenaire, L-3475 Düdelingen). Freier Eintritt.
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