Porträt / EVP-Spitzenkandidatin von der Leyen: Ursula II. zu Besuch in Luxemburg
Sie ist gespalten in eine amtierende Kommissionspräsidentin und eine wahlkämpfende EVP-Spitzenkandidatin. Ursula von der Leyen ändert auch ihre Taktik und politische Strategie. Und sie verknüpft sich bei einem persönlichen Punkt mit ihrer Herkunft. Am Freitag war sie in Luxemburg.
„Guten Morgen, Rom!“, „Es ist gut, wieder in Split zu sein!“, „Ich bin sehr glücklich, in Tschechien zu sein!“ Das findet sich in diesen Tagen nicht auf den offiziellen Kanälen der Brüsseler Blase. Gewöhnlich überträgt der europäische Videoservice nahezu jeden Schritt, jedes Strahlen, jedes Wort der EU-Kommissionspräsidentin. Doch ihre Auftritte in Italien, Kroatien und Tschechien, auch die in Dänemark, Polen, Deutschland und jener vom Freitag in Luxemburg fehlen völlig.
Denn dahin reist die Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei. Bei beiden Figuren handelt es sich um Ursula von der Leyen. Doch wenn EU-Korrespondenten von der EU-Kommission wissen wollen, was die EU-Kommissionspräsidentin mit Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni besprochen hat, müssen deren Sprecher passen. Wahlkampf. Zu erleben ist eine andere von der Leyen: nicht die demonstrativ präsidial über dem Parteienstreit stehende Europa-Staatsfrau. Sondern die Parteipolitikerin, die bewusst von „uns Christdemokraten“ spricht und in Schengen sah „wie über eine grenzenlose Zusammenarbeit Freundschaft gewachsen ist, Frieden gewachsen ist“.
Ob sie das wirklich ernst meint, halten nicht alle ihre Parteifreunde für gesichert. In ihren Hinterköpfen ist die von der Leyen, die bereits als Arbeitsministerin 2013 bei der Frauenquote die eigene Fraktion auszutricksen versuchte, die ab 2019 als Kommissionspräsidentin vor allem grüne Klimapolitik durchzudrücken versuchte – und die es auch vermied, bei dieser Europawahl selbst wählbar zu sein. Sie entschied sich gegen die Option, wenigstens in ihrer niedersächsischen Heimat auf den Stimmzetteln zu erscheinen. Sie kandidiert europaweit als EVP-Frau „nur“ für die Kommissionspräsidentschaft.
Flirt mit Rechten
Es war die „Ursula-Koalition“ aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen im Europaparlament, die ihr vor fünf Jahren eine erste Amtszeit ermöglichte, nachdem die EU-Regierungschefs nicht den Wahlsieger Manfred Weber vorgeschlagen, sondern Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die damalige deutsche Verteidigungsministerin aus dem Hut gezaubert hatte. Nun geht es um Ursula II. Bereits vor dem Öffnen der ersten Wahllokale in knapp drei Wochen ist klar, dass sie die besten Chancen hat. Keiner ihrer Mitbewerber, unter ihnen auch der Luxemburger Nicolas Schmit als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, kann auf so viel Rückhalt im Rat und im Parlament zählen wie sie. Doch eine sichere Bank ist das nicht. Das erklärt ihren wiederholten Schulterschluss mit der Rechtspopulistin Meloni, die als Vorsitzende des Rechtsaußenflügels EKR mit mehr Einfluss als je zuvor rechnen kann. Auf die Frage in Schengen, wie groß denn ihre Angst vor einem Rechtsruck bei den Wahlen sei, was ja auch den Zusammenhalt in Europa in Gefahr bringen könnte, wich von der Leyen dann allerdings aus. Die EVP-Spitzenkandidatin erwiderte bloß, es sei „ganz wichtig, dass die Menschen in Europa wissen, dass es bei dieser Wahl um viel geht“, nämlich, „ob wir unsere Demokratie stärken und schützen oder ob wir sie schwächen“.
Heute ist ein stürmischer Tag draußen, aber auch die Welt ist stürmisch, in der wir uns bewegen
Und so ist auch hier eine andere von der Leyen zu sehen. Als sie die Drohnen-Bewaffnung der Bundeswehr als heikles Thema erkannte und die Fotografen bei einem Truppenbesuch darauf warteten, dass die Verteidigungsministerin von der Leyen sich die ausgestellten Drohnen anschauen würde, machte sie einen großen Bogen darum. Sie wollte weder semantisch noch optisch damit in Verbindung gebracht werden. Nun verbindet sie sich aktiv mit dem noch heikleren Thema einer Zusammenarbeit mit dem rechten Rand. Die frühere von der Leyen hätte die Gedankenspiele weiterhin dem EVP-Parteichef Weber überlassen und sich selbst wortreich und nichtssagend mit Allgemeinplätzen daran vorbeigemogelt. Die aktuelle Kandidatin schließt eine Kooperation ausdrücklich nicht aus, solange die Kräfte, die sie zur Unterstützung gewinnen will, für den Rechtsstaat, für die Ukraine und für die EU sind, was sie auch in Schengen betonte.
Gegenwind aus Parlament
Ob sie damit Teile der alten Ursula-Koalition verprellt, wird sich in den Verhandlungen nach den Wahlen zeigen. Das Thementableau für Ursula II. soll ohnehin aus weniger Tempo beim Klima und mehr Nachdruck beim Wettbewerb gebildet werden. Mit neuer Mehrheitsbildung, wenn nötig. In der ersten Amtszeit ist ebenfalls schon alles ganz anders gekommen. Die Gesundheitskrise von historischen Ausmaßen hatte vor der Corona-Pandemie niemand auf dem Zettel, auch die gelernte Ärztin von der Leyen nicht. Und dass Russland die in Jahrzehnten austarierte europäische Friedensordnung mit einem brutalen Angriffskrieg zerstören würde, hielt kaum einer für möglich, auch die sicherheitspolitisch geschulte von der Leyen nicht. Beides hätte an der EU-Kommission meilenweit vorbeigehen können. Sie hat keinerlei Zuständigkeiten bei Gesundheit und Verteidigung. Doch von der Leyen wusste in jeder Krise beherzt zuzupacken und erarbeitete sich so schon 2022 den Titel „Mächtigste Frau der Welt“, verliehen vom US-Magazin Forbes.
Was ihr weltweit Achtung einbrachte, bildet zugleich die Folie für Zweifel. Ihre Gegner lassen bis heute das Fragengeflecht rund um ihre SMS-Kontakte mit Impfstoffproduzent Pfizer auch juristisch köcheln. Und das Parlament entschied, die von ihr betriebene Freigabe gesperrter EU-Mittel für Ungarn vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen. Dabei hat ihr der generöse Umgang mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban bei dem Versuch einer geschlossenen Ukraine-Unterstützung nicht geholfen. Budapest boxt ständig gegen Brüssel und zieht für Putin die Samthandschuhe an. Von der Leyens größte Stärke, in Zeiten des Krieges die EU entschieden und entschlossen aufgestellt zu haben, enthält zugleich die Schwäche, an der nötigen Einstimmigkeit immer wieder gescheitert zu sein.
Die andere Schwäche
Die andere Schwäche: die nicht in den Griff bekommene Bürokratisierung. Indem von der Leyen ankündigt, nach ihrer Wahl 25 Prozent aller Berichtspflichten für Unternehmen zu streichen, entlarvt sie sich selbst. Denn das hatte sie bereits in ihrer ersten Amtszeit versprochen.
Von der Leyen musste die Brüsseler Mechanismen eben nicht erst lernen. Mit ihrem Wechsel von der deutschen in die europäische Hauptstadt kam sie buchstäblich nach Hause. Hier war sie 1958 geboren worden, hier verbrachte sie Kindheit und Jugend, bevor ihr Vater Ernst Albrecht Karriere in Niedersachsen machte, von 1976 bis 1990 sogar als Ministerpräsident wirkte. Da war die siebenfache Mutter selbst auf dem Weg in die Topränge der Politik, lehrte Mitbewerber durch großen Einsatz das Fürchten. Nun macht sie ihren vor zehn Jahren verstorbenen Vater zum Teil ihrer Kampagne, schildert, wie er von Europa sprach, als sei es Teil der Familie. Und wie er ihr auftrug, auf Europa aufzupassen. Hier scheinen sich Präsidentin und Tochter plakativ zu einer persönlichen Mission zusammenzufinden.
Und was hat von der Leyen aus Luxemburg an Informationen so mitgenommen? Hier antwortet die EVP-Spitzenkandidatin schnell: „Dass das Thema der Kriminalität und der Bekämpfung der Kriminalität eines der Herzensthemen ist“, sagt von der Leyen. Ob sie hier von Innenminister Léon Gloden gebrieft wurde, ist nicht übermittelt. Von der Leyen musste nach einem kurzen Treffen mit der Presse schnell weiter. Immerhin stand noch ein Essen auf einem Schengener Weingut auf dem Programm.
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