Münsbach / Bank stellt erstes „klimaneutrales“ Gebäude aus Benelux vor
Geht von Klimaschutz und den damit verbundenen Klimazielen die Rede, dann fallen oft Begriffe wie „Dekarbonisierung“ oder „CO2-neutrales Bauen“. Eine luxemburgische Bank stellte kürzlich ein klimaneutrales Bürogebäude vor, das erste aus Benelux, wie sie sagt. Das klingt spektakulär. Doch klimaneutral ist kein eindeutiger Begriff.
„Advanzia Banks Einsatz für eine grünere Zukunft: Die europäische digitale Direktbank weiht offiziell das erste klimaneutrale Bürogebäude in den Beneluxländern in Münsbach ein.“ Die Mitteilung des Finanzinstituts deutete auf Außergewöhnliches hin. Die Bank hatte speziell zu einem Empfang geladen, um das Ereignis, die Erste in ihrer Kategorie zu sein, gebührend zu feiern.
Doch wie außergewöhnlich ist die Meldung? Wie so oft steckt der Teufel im Detail. Ein klimaneutrales Gebäude bedeutet, dass das Gebäude dem Klima nicht schadet. Angestrebt wird dabei ein niedriger CO2-Ausstoß. Dem Wortsinn nach bedeutet Dekarbonisierung „weg vom Kohlenstoff“.
Die Antwort auf die Frage, was klimaneutral genau heißt, ist komplex, wie uns ein Spezialist, der Ingenieur Julien L’Hoest, Mitglied des Verwaltungsrats der Firma „Energie et Environnement“, erklärt. „Es fängt schon damit an, dass es mehrere Definitionen gibt. Soweit ich im Bild bin, wurde beim genannten Gebäude nur der Energieverbrauch berücksichtigt.“
Was die Bank auch weiter hinten in der Pressemitteilung schreibt: Das Gebäude sei nach den Null-CO2-Kriterien des ILFI (International Living Future Institute) zertifiziert, um den CO2-Fußabdruck möglichst gering zu halten. Ein hocheffizientes Heiz-, Kühl- und Belüftungssystem, Fotovoltaikanlagen, Regenwassernutzung, Sonnenschutzanlage und Lichtregelung in Verbindung mit einem zentralen Kontrollsystem tragen zur Analyse und Optimierung des Energieverbrauchs bei. Zusätzlich werde der gesamte Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen. CO2-neutral, was den Energieverbrauch angehe, ist laut Julien L’Hoest allerdings nicht ganz so spektakulär und durchaus machbar.
Um den Bau eines Gebäudes CO2-neutral zu halten, müssen etliche Parameter berücksichtigt werden, z.B. müssten viele biobasierte Materialien wie Holz verbaut werden„Energie et Environnement“
Wir fragten im Energieministerium nach, ob die Aussage „erstes klimaneutrales Bürogebäude in den Beneluxländern“ so stimmt. Von dort heißt es, falls sich die Aussage auf die Zertifizierung nach den Kriterien vom ILFI beziehe, diese zu stimmen scheine. Laut ILFI-Website gibt es in den Beneluxstaaten in der Tat noch kein Gebäude mit solch einer Zertifizierung.
Es gebe aber andere Gebäude, die ähnliche Zertifizierungen erreichen oder anstreben, wie z.B. der „Campus Contern“. Man könne die Zertifizierungen aber nicht direkt miteinander vergleichen, weil die Kriterien nicht die gleichen seien. Das erkläre auch, warum mehrere Gebäude den Anspruch erheben könnten, die ersten in ihrer Kategorie zu sein. Die EU-Länder würden aber im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden bald übereinstimmende Definitionen für die Klimaauswirkungen von Bauten vorschlagen.
CO2-neutrales Bauen
Wolle man allerdings komplett CO2-neutral sein, müsste dann nicht auch der Bau selbst mitberücksichtigt werden? „Um den Bau eines Gebäudes CO2-neutral zu halten, müssen etliche Parameter berücksichtigt werden, z.B. müssten viele biobasierte Materialien wie Holz verbaut werden.“ Auch erhöhe der Bau von Untergeschossen den CO2-Fußabdruck sehr. Eine Reduzierung von 100 Prozent sei vielleicht theoretisch möglich, aber schwer machbar. „Bei einem Wohnhaus könnte ich mir das noch eher vorstellen, aber nicht bei einem Bürogebäude“, sagt Julien L’Hoest
Wie es in der Praxis mit CO2-neutralem Bauen derzeit aussieht, fragten wir beim Bauunternehmen Poeckes aus Rümelingen nach. „Ich denke, dass es möglich ist, Gebäude mit null Emissionen zu bauen, obwohl dies mit vielen Einschränkungen verbunden ist“, schreibt uns Firmenleiter Paul Nathan. Das Ganze erfordere eine sorgfältige Planung sowie die Verwendung spezieller Technologien und Materialien.
„Was die Zukunft des Bausektors betrifft, bin ich der Meinung, dass die Dekarbonisierung kein Selbstzweck ist, sondern dass auch andere Aspekte berücksichtigt werden müssen, wie die Herkunft der Materialien, ihre Wiederverwendbarkeit (zirkuläres Bauen), der Lebenszyklus (Lebensdauer) der Gebäude bzw. ihre Resilienz. Wenn wir also von nachhaltigem Bauen sprechen, bedeutet dies nicht nur die Dekarbonisierung.“
Der Bausektor unternehme enorme Anstrengungen, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Aktuell konzentriere man sich auf CO2-armes Bauen. Unter Berücksichtigung aller Emissionen, die mit einem Bau verbunden sind, sei es verfrüht, von „kohlenstofffreien“ Gebäuden zu sprechen. „Meines Wissens gibt es in Luxemburg derzeit noch keine Referenzen für eine CO2-freie Bauweise“, sagt Paul Nathan.
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