Editorial / Es droht die Guillotine
„Ich weiß auch, dass viele unserer Landsleute an diesem Tag für mich gewählt haben, nicht um die Ideen, die ich vertrete, zu unterstützen, sondern um die Ideen der extremen Rechten zu blockieren. Ich möchte ihnen an dieser Stelle danken und ihnen sagen, dass ich mir bewusst bin, dass mich diese Wahl für die kommenden Jahre verpflichtet.“ Das waren Emmanuel Macrons Worte bei seiner Antrittsrede vor zwei Jahren, als er sich im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen gegen Marine Le Pen durchsetzen konnte.
Emmanuel Macron selbst, aber auch die Politiker seiner Partei, haben in den vergangenen Tagen jedoch unter Beweis gestellt, dass sie es mit dem genannten Pflichtbewusstsein dann doch nicht so genau nehmen. Ganz nach dem Motto „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“, haben sich Macrons Verbündete zur Rettung ihrer selbst dem Rassemblement national immer mehr angenähert. „Bürgerkrieg“ und „Dezivilisierung“ sind Wörter, die nicht nur Marine Le Pen, sondern Macron selbst gewählt und damit eine neue Eskalationsstufe im politischen Diskurs herbeigeführt hat. Nicht zuletzt wurde auch der Vorwurf einer „immigrationistischen“ Politik ans linke Lager herangetragen. Éric Zemmour, Jordan Bardella und Marine Le Pen dürften sich ins Fäustchen gelacht haben.
Zusätzlich dazu sind die Macronisten mit einer gefährlichen Gleichstellung in den Wahlkampf gezogen. Der Linken-Zusammenschluss Nouveau Front populaire wurde aus wahltaktischen Gründen zum linksextremistischen Pendant des Rassemblement national. Kein Rechts- und Linksextremismus bei den Wahlen, lautete der Wahlslogan der Macronisten. Wenngleich eine solche Aussage ohne weiteren Kontext unterschrieben werden könnte, ist sie im Angesicht der Gefahr, die der Rassemblement national darstellt, nur politisches „Gaslighting“ – zumal ein Zusammenschluss aus Sozialisten, Grünen, Kommunisten und der France insoumise wahrlich nicht als extrem betitelt werden kann.
Für die Macronisten ist das aber auch weitaus einfacher, als sich und ihre wirtschaftsliberale Politik der vergangenen Jahre in Frage zu stellen. Dabei hat es sowohl im In- (Proteste im Rahmen der Rentenreform, „Gilets jaunes“) als auch im Ausland (Absturz der Tories, Machtverlust von Mark Ruttes Partei in den Niederlanden) genügend Warnzeichen gegeben, dass sich der Unmut gegen liberalkonservative Politik regt.
„Präsident zu sein bedeutet, unpopulär zu sein, und unpopulär zu sein bedeutet, behindert zu werden. Das ist der präsidiale Fluch, den Emmanuel Macron sich anmaßt, anzugehen und zu besiegen“, urteilt der französische Journalist und Chronist Alain Duhamel über den französischen Präsidenten. Nach derzeitigem Stand sieht alles danach aus, als werde Macron spätestens am Sonntagabend mit seinem Projekt scheitern. „Emmanuel le hardi“ – so betitelte Alain Duhamel, in Anlehnung an die französischen Könige, sein Porträt des französischen Staatsmannes. Wie passend, dass „Emmanuel dem Kühnen“ ein ähnliches Schicksal droht wie seinen monarchischen Vorgängern: die politische Guillotine.
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