Editorial / Frieden und Bettel warnen an Tag eins nach der Frankreich-Wahl vor der Linken – das ist unverantwortlich
Uff. Oder ouf. Wie man es sprachlich auch will, das Aufatmen war nach der Frankreich-Wahl am Montag noch deutlich vernehmbar. Auch in Luxemburg. Und das zu Recht, hat doch ein Linksbündnis das zuvor fast Undenkbare geschafft und den extrem rechten Rassemblement national in die Schranken gewiesen und von der Machtübernahme bei unserem Nachbarn ferngehalten.
Doch hier und da schlich sich in der Nachbetrachtung der Ergebnisse am Montag umgehend ein b-Moll ein. Gut bemerkbar war das vor allem in den Äußerungen von Regierungsseite in Luxemburg. Sowohl Premier Luc Frieden (CSV) als auch Außenminister Xavier Bettel (DP) war es ein dringendes Bedürfnis, zu betonen, dass in diesem Linksbündnis, dem Nouveau Front populaire, ebenfalls Feinde der Demokratie und Europas lauern dürften.
Demnach uff!, weil die Rechtsextremen es nicht schafften, aber gleichzeitig ui!, weil eine geeinte Linke dies verhinderte?
Frieden macht sich „ein bisschen Sorgen“ darüber. Bettel warnt vor „einer unsicheren Situation in der ‚Assemblée nationale‘“. Sinngemäß beschwören beide ein Szenario herauf, das es so noch nicht gegeben hat: Dass der Rassemblement national stärker würde, falls Linke Frankreich mit ihren Ideen regierten. Ein Szenario, das es aber gegeben hat, klammern sie aus: Dass es die liberalkonservative Politik eines Emmanuel Macron war, auf der Le Pen und Co. wie auf einem Trampolin zu immer neuen Höhen hinaufspringen konnten. Als Macron antrat, hatte der Rassemblement national (damals noch der Front national) acht Abgeordnete im französischen Parlament. Heute sind es 143.
Uffta, hieß es dann am Montag im Europäischen Parlament (EP). Der Ungar und Putin-Freund Viktor Orban, der Nazis verharmlosende Österreicher Herbert Kickl und der ehemalige tschechische Premier Andrej Babis verkündeten stolz die Aufnahme des Rassemblement national in ihrer neuen Rechtsaußen-Fraktion, den sogenannten Patrioten für Europa. Babis, der sich übrigens gern als CEO seines Landes betitelte, war bis vor einer Weile noch ein Parteifreund von Bettel und Macron. Seine Ano-Partei saß im Europaparlament zusammen mit der DP in der liberalen Fraktion ALDE. 2019 wurde Babis noch in Luxemburg bei einer Visite von Bettel hofiert, auch wenn es damals bereits Differenzen zwischen beiden gab. Am Montagmorgen nannte Bettel ihn im Radio nur noch „den Tschech“.
Die Patrioten vom „Tschech“ sind nun drittstärkste Fraktion im EP nach der konservativen EVP und den Sozialdemokraten. Die ALDE haben sie auf den vierten Rang verdrängt. Ob in Bettels Augen die Linken auch daran die Schuld tragen?
Und dann noch mal nach Luxemburg, wo die ADR sich als das zu erkennen gibt, was sie ist: eine Partei, die wirklich auf alles draufspringt, wo sie nur kann, um ihren fremdenfeindlichen, im Gewand der Beschützer des Luxemburgischen daherkommenden Diskurs wieder und immer wieder unter die Leute zu bringen.
Fast unschuldig trudelte am Montagmorgen nach der Uff-Wahl in Frankreich eine Mail mit einer parlamentarischen Frage in der Redaktion ein. In dieser erkundigt sich der ADR-Fraktionschef Fred Keup über die Luxemburgisch-Kenntnisse unserer Polizisten. Ganz unschuldig?
Mitnichten. Vor wenigen Tagen war ein Video aufgetaucht, das Polizisten zeigt, wie sie einen Kollegen rassistisch beleidigen, der die doppelte Staatsbürgerschaft hat und dessen Luxemburgisch noch nicht perfekt ist. Die ADR nutzt also einen Rassismus-Vorfall, den die Polizei bereits intern sanktioniert hat, um auf Kosten des Opfers ihre verquere Sprachpolitik zu bespielen. Wie tief kann man sinken?
Frieden und Bettel sollten sich einmal ordentlich durchschütteln und erkennen, wo die wahren Feinde unserer Demokratie und unserer Werte sitzen. Die Gleichmacherei zwischen linkem und rechtem Rand nutzt nur den Rassisten. In der Chamber stimmten CSV und DP zuletzt eine Motion der ADR zu einer Steuerfrage mit, gegen die linke Opposition. Trotz des erfolgreichen „Barrage“ gegen Rechtsaußen bei unseren französischen Nachbarn und trotz aller Uffs und Oufs kann einem bei alledem der Atem sogar stocken.
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