Editorial / The Parents Aren’t Alright
Sind Ihre Pride-Flaggen bereits abgehängt und die Regenbogensocken noch im Wäschekorb? Kramen Sie bitte beides schnellstmöglich wieder hervor, denn knapp zwei Wochen nach der Luxembourg Pride stehen die Zeichen erneut auf Sturm: Innerhalb weniger Tage erreichte eine Petition, nach der LGBT-Themen aus dem Schulunterricht in Luxemburg verbannt oder nur fakultativ angeboten werden sollen, über 6.000 Unterschriften. ADR-Politiker klatschen Beifall, bei queer-freundlichen Organisationen wie Rosa Lëtzebuerg, dem Centre LGBTIQ+ Cigale oder dem CID Fraen an Gender läuten hingegen alle Alarmglocken. Zu Recht.
Der Zuspruch, den diese Unterschriftensammlung erhält, ist ein Warnzeichen: Teile der luxemburgischen Bevölkerung bewegen sich großen Schrittes auf eine menschenverachtende Weltsicht zu. Ungarn, Polen, Russland oder Florida lassen grüßen – überall dort wurden und werden die Rechte von LGBTIQA+-Menschen erfolgreich durch die Politik untergraben sowie ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit stark eingeschränkt. Klingt wie Musik in den Ohren der Unterzeichner*innen der Petition aus Luxemburg, nicht wahr? Doch wir haben schlechte Nachrichten: Queere Menschen, jung und alt, lösen sich dadurch nicht in Luft auf. Sie sind da, um zu bleiben – ein für alle Mal.
Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, zu erfahren, was es mit sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität und unterschiedlichen Lebensweisen auf sich hat. Erwachsenen obliegt die Pflicht, über Verbrechen und Hass gegen jede marginalisierte Personengruppe aufzuklären. Oder sehnen wir uns etwa eine Gesellschaft herbei, in der alle in Reih und Glied starr zum selben Trommelschlag durch die Straßen marschieren?
Die Befürchtung der Unterstützer*innen der Petition, dass Minderjährige grundsätzlich nicht mit LGBTIQA+-Themen klarkommen, ist bloßer Ausdruck ihrer eigenen Überforderung. Wissen Sie, was dagegen geholfen hätte? Ein inklusiver Unterricht, schon vor Jahrzehnten. Die Sorge, Kinder und Jugendliche würden nicht altersgerecht über die einzelnen Themen aufgeklärt, zeugt darüber hinaus von einem tiefen Misstrauen gegen formale und informale Bildungseinrichtungen. Niemand führt Vorschulkindern Hardcore-Pornos vor. Keiner zwingt sie, ein Drag-Kostüm anzuziehen. Was stattdessen jedes Jahr an Karneval tatsächlich passiert: Mädchen werden genötigt, im pinken Prinzessinnenkleid anzutanzen und Jungs dazu, ihre Cowboy-Pistole aus Plastik zu zücken. Aber das ist in Ordnung, denn es zementiert vermeintlich gefährdete Geschlechterstereotype, richtig?
Sinnvoller wäre es jedenfalls, Heranwachsende auf ein Leben in einer offenen, toleranten, liebevollen Gesellschaft vorzubereiten, wie wir sie uns alle wünschen sollten. Sie müssen von Kindesbeinen an den eigenen Tellerrand erkennen und lernen, darüber hinauszuschauen. Das kann keine Familienangelegenheit sein, wie es die Unterzeichner*innen der Petition fordern, weil keine Familie neutrale Werte vertritt. Es obliegt einer demokratisch gewählten und progressiven Regierung, die Rechte aller Menschen, unabhängig ihrer Identität, zu verteidigen sowie unter anderem durch entsprechende Bildungsmaßnahmen zu fördern. Dass das nicht im Sinne konservativer, rechtsextremer und fundamentalistischer Eltern ist, steht außer Frage.
Wenn die Unterzeichnenden der Petition argumentieren, dass „les sujets sensibles et personnels (…) doivent respecter les valeurs et les convictions familiales“, sprechen sie sich eine Deutungshoheit zu, die ihnen schlichtweg nicht zusteht. Andernfalls stehen morgen rassistische, fremden- und frauenfeindliche Eltern vor der Abgeordnetenkammer und fordern: „Schwarze und Frauen raus aus den Lehrplänen!“ Wobei – deren Sichtbarkeit in Schulmaterialien ist ohnehin auch marginal, so never mind …
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