Schwimmen / Warum man Ralph Daleiden als fleißigen Fliesenzähler beschreiben kann
Obschon Ralph Daleiden noch ganz am Anfang seiner Karriere steht, kann man den Freistil-Experten als Wiederholungstäter beschreiben: Ob im Schwimmbad der Coque, bei den Berechnungen, die der angehende Bauingenieur auf der Universität in Arizona täglich durchführt, bis hin zu den Lieblingsspielen aus der Playstation – der 21-Jährige überlässt nichts dem Zufall. In Paris geht es ihm daher in erster Linie um die Bestätigung, dass seine Zahlen und Pläne aufgehen.
„Bist du der Schwimmer, der sich für die Olympischen Spiele qualifiziert hat?“ Zwei Mädchen im Teenager-Alter hatten während ihrer eigenen Trainingseinheit in der Coque ihren ganzen Mut zusammengefasst, um Ralph Daleiden auf Englisch anzusprechen. Er nickt und grinst stolz, als beide ihm für das Paris-Ticket gratulieren. Der Status des Elitesportlers in diesem besagten Schwimmbecken hatte sich am 2. Juli schlagartig geändert: Es war der Tag, an dem das COSL seine Teilnahme an den Sommerspielen bestätigte.
Noch vor ein paar Jahren hätte ein zurückhaltender Daleiden solche Unterhaltungen lieber vermieden. „Ich bin auch jetzt noch eher introvertiert und auf mich selbst konzentriert. Das ist kein Egoismus, sondern einfach meine Art. Ich habe meine Ziele vor Augen und bin voll fokussiert. Besonders die letzten zwei Jahre in Luxemburg waren in dieser Hinsicht damals hart für mich. Ich hatte mich zurückgezogen, um mich auf den Sport zu konzentrieren, während meine Freunde ohne mich ausgingen … Ich muss allerdings sagen, dass meine Trainingsgruppe in Amerika dazu beigetragen hat, dass ich sozialer geworden bin“, sagte er mit einem Lachen.
Das Ziel war es immer, die Norm zu schwimmen
Vor allem aber ging es sportlich – nach vielen, vielen Trainingskilometern, oder besser gesagt: Yards – auf der Karriereleiter steil nach oben. Dabei lief es in der Ferne zunächst nicht unbedingt nach dem Schnürchen. In Tucson musste sich der Student der Arizona University den lokalen Standards anpassen. „Die Wenden, der Start, der Strom: Das sind die Dinge, auf die es in solch kleinen Becken ankommt. Das hatte mir am Anfang alles gefehlt, um in Amerika zu bestehen. Ich habe beispielsweise den Anschlag an der Mauer verpasst und berührte die dann nur mit den Zehenspitzen.“ Die Trainingsgruppe, YouTube und der eigene Fleiß waren ausschlaggebend, dass er den Anschluss an die Allerbesten schneller fand: „Ich habe oft versucht, mich aufgrund von Videomaterial selbst zu korrigieren.“
Mit dem erhofften Erfolg. Auf den 100 Yards ist Daleiden seit vergangenen November mit 42.00 Sekunden an der renommierten Schwimmsport-Uni Rekordhalter. Er hatte an diesem Tag eine 16-jährige Bestmarke unterboten. Den olympischen Traum hegt der angehende Ingenieur schon eine Weile länger. 2021 stellte er in Rom bei der Junioren-Europameisterschaft einen neuen Landesrekord auf den 100 Metern auf und blieb als erster Luxemburger unter der magischen 50er-Grenze. „Ich erinnere mich, dass jemand mir damals sagte, dass diese Zeit gar nicht so weit von der vorherigen B-Norm sei …“
Vieles ist Neuland
Die Mindestanforderung für diese Qualifikation („temps de considération olympique“) lag diesmal bei 48.34 Sekunden. Im vergangenen Dezember hatte er bei einem Trial in Minnesota nach 48.63 Sekunden angeschlagen – und damit fast ein Ticket in der Tasche gehabt. Die Hoffnungen, dass es in den folgenden sechs Monaten reichen sollte, waren riesig. Spätestens die EM in Belgrad Ende Juni hätte es sein sollen. Der Ausgang ist bekannt: Am Ende fehlten Daleiden, wie auch seinem Kollegen Remi Fabiani, nur Hundertstelsekunden. Der Traum, es als Duo nach Paris zu schaffen, war geplatzt. „Das Ziel war es immer, die Norm zu schwimmen“, fasste Daleiden zusammen.
Und daran hat sich nichts geändert: In Paris will der schnelle Mann noch einmal unterstreichen, dass er zurecht auf der Liste der internationale Elite des Krauls steht: „Ich möchte die B-Zeit schwimmen. Doch vieles bei Olympia ist Neuland für mich – und gleichzeitig ist es eines der größten Rennens meines Lebens.“
Den Sprintern sagt man meist Faulheit nach
Die Vorbereitungszeit in Luxemburg endete exakt eine Woche vor dem großen Termin in der französischen Hauptstadt. Einen Monat lang hat Daleiden nach der EM jeden Tag im Keller der Coque verbracht. Um sich zu Hause einzig und allein auf die Erholung konzentrieren zu können, speiste er in der Sportstätte. Genauso getaktet ist der Aufenthalt in Frankreich. Vierzehnmal wird er vor seinem Rennen in das olympische Becken eintauchen – um ein Gefühl für die Umgebung zu bekommen.
Diese Präzision, Disziplin und Ehrgeiz steuern den routinierten Alltag des Luxemburgers schon immer pfeilgenau. „Den Sprintern sagt man meist Faulheit nach. Es gibt einen norwegischen 50-m-Sprinter, der täglich nur 20 Minuten im Wasser verbringt. So etwas kann ich nicht nachvollziehen. Nach so kurzer Zeit bin ich nicht einmal warm.“ Seine Paradedisziplin, die 100 Meter Freistil, beschreibt er als „Ausdauersprint“. Ohne Liebe zum Schwimmsport geht das nicht: „Man muss schon ein wenig verrückt sein, um zweimal am Tag sämtliche Fliesen der Coque abzuzählen … Andere finden das bestimmt komisch, dass ich auf der Playstation zum sechsten Mal hintereinander das gleiche Spiel spiele.“
Der angehende Bauingenieur lernt derweil täglich, Brücken und Straßen zu planen. Mindestens zwei Jahre wird er noch bei den Arizona Wildcats verbringen und könnte sich sogar vorstellen, länger zu bleiben. Spätestens 2028 will Daleiden in Los Angeles ins Halbfinale einziehen. 2024 geht es bei der Premiere noch um andere Ziele: „Das eigentliche Ziel war, überhaupt nach Paris zu kommen. Ich habe weniger Druck. Jetzt geht es darum, Erfahrungen zu sammeln. Viele Schwimmer haben bei der Olympia-Premiere Schwierigkeiten. Ich habe in den letzten Wochen alles gegeben, um mich bestmöglich vorzubereiten und weiß, dass das Becken perfekt sein wird. Das alles gibt mir Vertrauen für mein Rennen.“
Man muss eigentlich nicht daran zweifeln, dass ein Ingenieur weiß, wie Rechnungen und Pläne aufgehen. Als zweifacher Olympiateilnehmer würde er seinem Namen 2028 als Wiederholungstäter ebenfalls gerecht werden …
Der „Universality“-Platz
Sollten Nationen die Qualifikationsnormen nicht unterboten haben, besteht in einigen Sportarten die Möglichkeit, „Universality“-Plätze zu beantragen. Die FLNS-Schwimmer schlitterten beide nur sehr knapp an der Zielzeit vorbei. Dass die Wahl des Verbands (und des COSL) auf Ralph Daleiden fiel und nicht auf Remi Fabiani, basiert einzig und allein auf dem Reglement: Daleiden hatte am Ende der Qualifikationsphase acht FINA-Punkte mehr auf dem Konto. Am 2. Juli erhielt er die Nachricht, dass der Antrag des COSL für einen Startplatz angenommen worden war. „Ich saß im Auto und war unterwegs zum Training, als mir Nationaltrainer Christophe Audot ein Dokument geschickt hatte.“ Auf dem Kirchberg angekommen, gab es die Gewissheit. „Es schwarz auf weiß zu sehen, gibt einem sehr viel Kraft“, berichtete er.
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