Triathlon / Jeanne Lehair kämpfte mit den Tränen: „Der Coach sagte mir bereits, dass ich nichts falsch gemacht habe“
Als man Jeanne Lehair am Mittwoch weinend auf den Champs-Elysées im TV erblickte, musste man mit dem Schlimmsten rechnen – und genau das machte es so bitter für die Triathletin: Es war kein Sturz auf den schmierigen Pflastersteinen der berühmtesten Allee in Paris, sondern eine mechanische Panne, die ihren ersten Olympia-Traum nach 45 Minuten platzen ließ. Die Analyse einer 28-Jährigen, der zwischen Tränen und Frust nicht anders übrig blieb, als schon nach Los Angeles zu blicken.
Es waren bange Minuten der Ungewissheit, die vergingen, bevor Missionschef Raymond Conzemius zumindest eine Art der Entwarnung an die Presse weitergeben konnte: Jeanne Lehair musste nicht wie zunächst angenommen ins „Medical Center“ transportiert werden, sondern befand sich bereits zu Fuß zurück auf dem Weg in den „Parc fermé“. Da war es schon über 20 Minuten her, dass man die weinende Luxemburgerin am Straßenrand gesehen hatte.
Was war passiert? Cyrille Eple, der Verbandstrainer, dachte eigentlich, dass er seine Athletin auf deren dritter Radrunde verpasst hätte – doch die 28-Jährige würde an diesem Mittwochmorgen nicht mehr an ihm vorbeirauschen. Ihm war auch recht schnell klar geworden, dass es einen unerwarteten Zwischenfall gegeben haben musste. „Ich habe sie dann auf den Live-Bildern des französischen Fernsehens gesehen.“ Im Zielbereich schilderte er, was vorgefallen war: „Das Gummiband, das dazu dient, den nassen Fuß in den Radschuh zu bekommen, hatte sich in der Mechanik verfangen. Aufgrund des Drucks ist ein Teil des Schaltwerks rausgeflogen. Sie konnte nicht weiterfahren und musste aufgeben. Das ist einfach nur Pech. Ich habe so etwas in 25 Jahren nicht gesehen.“ Auch FLTri-Präsident Christian Krombach zeigte sich erstaunt und enttäuscht zugleich: „So etwas habe ich noch nie miterlebt. Sie fährt ein neues Rad, es könnte etwas mit ihrem neuen Rad-Sponsor zu tun haben. Aber auf diesem Niveau ist das sicherlich ‚du jamais-vu’.“
Sogar der Blick stimmte
Nach den ganzen Diskussionen um die Wasserqualität der Seine auf diese Weise beim wichtigsten Rennen des Jahres auszuscheiden, war verständlicherweise für den Trainerstab ein harter Moment. „Es ist schon sehr frustrierend. Sie hat während Jahren alles auf diesen Wettbewerb ausgerichtet. Als Trainer müssen wir ihr gegenüber jetzt positiv sein, obwohl wir es selbst tief im Inneren gar nicht sind“, erklärte Eple. Besonders, da die Luxemburgerin die Erwartungen mit ihren letzten Ergebnissen (u.a. Platz vier in Hamburg) hochgeschraubt hatte. Dort war sie als Zweite aus dem Wasser gestiegen.
In Paris hatte die Athletin allerdings weitaus mehr Probleme bei der ersten Disziplin des Tages. „Ihr Schwimmen war mittelmäßig, das muss man einfach so sagen. Ihre Gruppe stieg mit etwas mehr als einer Minute Verspätung aus dem Wasser“, fasste Eple zusammen. Doch schon nach der ersten Runde auf dem Rad hatte sie mit ihrer Gruppe ein paar Sekunden gutgemacht. „Ein Podium war nicht mehr möglich. Es ist immer blöd, das im Nachhinein zu behaupten, aber ein Top-10-Platz wäre drin gewesen. Sie fühlte sich gut, das habe ich auch an ihrer Verfassung auf dem Rad gesehen. Normalerweise ärgert mich ihre Position immer, aber heute habe ich ihre zwei Runden beobachtet … Es war alles da – sogar der Blick in ihren Augen.“
Doch hinter der Sonnenbrille füllten sich diese geröteten Augen drei Stunden später noch immer mit etlichen Tränen. „Es tut mir leid“, entschuldigte sich Lehair, als sie zum zweiten Mal ansetzte, um ihre Eindrücke zu vermitteln. „Eine schlechte Leistung wäre enttäuschend gewesen, aber dieses Aus war unabhängig von meinen eigenen Kapazitäten. Es ist unheimlich frustrierend. Nun muss ich weitere vier Jahre auf meine Chance warten. Das wird eine lange Zeit. Es ist hart und wird sicher noch Wochen an mir nagen.“
Auf den Champs-Elysées, direkt vor der Terrasse des „Café Di Roma“, hatte ihr das Schicksal einen Strich durch jegliche Aufholjagd-Pläne gemacht. Lehair hatte die Schuhe ausgezogen und das Gesicht in den Händen vergraben, als ihr klar wurde, dass ihr Traum von einer Top-Platzierung bei der Olympia-Premiere geplatzt war. „Meine Kette hörte nicht auf zu wackeln. Ich wollte den Gang wechseln, um zu kontrollieren, ob es aufhören würde. Nach der Kurve auf den Champs-Elysées wollte ich dann Hand anlegen. Ich bin fast in eine Absperrung geknallt, als ich nachschauen wollte. Da habe ich dann gemerkt, dass mir ein ganzes Stück der Schaltung fehlte. Ich habe ja auch sofort verstanden, dass es kein Problem an der Kette war.“ Selbst die Zuschauer, die direkt hinter der Absperrung standen, wirkten von ihrer emotionalen Reaktion geschockt: „Ich habe geschrien und geweint.“
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Was Lehair nun mit ihrem nagelneuen Fahrrad in COSL-Farben tun wird – auf das sie speziell für diesen Tag „Place-toi“ hatte aufkleben lassen –, ist ungewiss. Lust, bloß das kaputte Stück wieder einzusetzen, hat sie definitiv keine. „Wir haben uns später auf der Strecke auf die Suche gemacht und das fehlende Stück gefunden. Darin steckte noch ein Teil des Gummizugs. Ich weiß nicht, wie viele Nullen man hinter das Komma stellen muss, um die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, dass so etwas passiert … Niemand hat so etwas schon jemals gesehen. Man könnte das Rad jetzt wieder mit dem Teil reparieren, das wir gefunden haben, aber darauf habe ich absolut keinen Bock mehr.“
Besonders hart traf sie dieser Moment, da während des Radrennens noch einmal Hoffnungen aufgekeimt war. „Die Seine war nicht besonders. Aber es war eher die Strömung, die schwierig war. Wir hatten dann aber mit Taylor Knibb eine Radspezialistin in der Gruppe, was mir wieder Hoffnung machte. Es war eine ständige Achterbahn der Gefühle.“ Gewonnen hat später die Französin Cassandre Beaugrand.
Ich hatte mir alles vorgestellt. Stürze, platte Reifen oder eine Kette, die herausspringen würde. Aber das … Es ist Pech auf dem allerhöchsten Level.
Für Lehair geht es nun darum, die Emotionen zu verarbeiten. „Ich war darauf vorbereitet, dass Olympische Spiele mental anstrengend und schwer sein könnten. Wenn es meine eigene Schuld gewesen wäre und ich das nur mit mir selbst ausmachen müsste, wäre die Situation anders. Ich hatte mir alles vorgestellt. Stürze, platte Reifen oder eine Kette, die herausspringen würde. Aber das … Es ist Pech auf dem allerhöchsten Level“, war ihre Reaktion am Mittwoch. Nachdem die Athletin geduldig auf alle Fragen geantwortet hatte, wollte sie nur noch zu ihrer Familie: „Meine Familie und Freunde haben mir schon gesagt, dass sie in vier Jahren auch nach L.A. kommen würden. Niemand ist sauer auf mich … Jetzt will ich mich nur noch in ihren Armen ausheulen.“
Vielleicht wird Jeanne Lehair sich ein neues Modell Schuhe zulegen. Das wird sich in den nächsten Tagen und Wochen ergeben. Was den psychologischen Aufbau anging, hatte Eple den Anfang gemacht: „Der Coach sagte mir bereits, dass ich nichts falsch gemacht habe. Trotzdem hätte ich es bevorzugt, dass so etwas beim Dorf-Triathlon um die Ecke geschieht – und nicht hier. Aber es war halt so.“
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