Kugelstoßen / Warum Bob Bertemes seine Schlüssel zum Glück in den Händen hält
Bob Bertemes ist ein Fan von sogenannten Lebensslogans. Weil sich bei ihm in wenigen Tagen eine Tür schließt, öffnet sich auch gleich die nächste. Was das Ganze mit einem Schlüsselbund zu tun hat und warum er sich seinen Abschied von der internationalen Bühne mit einem ganz großen Coup vorstellen kann, erzählte er vor wenigen Tagen am Telefon.
Genau wie die meisten der Luxemburger Leichtathleten reiste die nationale Nummer eins des Kugelstoßens nur für die Eröffnungszeremonie nach Paris. In der französischen Hauptstadt genoss er die Aufmerksamkeit als Fahnenträger der Delegation. Danach ging es nochmal zurück in die gewohnte Umgebung und das eigene Bett. „Das ist einfach am angenehmsten“, meinte Sportsoldat Bob Bertemes. Seinen Lebensmittelpunkt baute er sich im Winter 2017 in Mannheim auf und trainierte seitdem beim badischen Klub unter Coach Khalid Alqawati.
In seiner Wahlheimat waren gewohnte Programme das A und O der Olympiavorbereitung der vergangenen Tage. „Auf der Zielgeraden wurde nichts Spektakuläres mehr gemacht. Es ging nach dem Prinzip, dass Qualität wichtiger ist als Quantität. Die Stoßeinheiten wurden länger, mit mehr Pausen, während das Krafttraining reduziert und auf Schnelligkeit gezielt wurde“, berichtete der 31-Jährige. Bei den regelmäßigen Physiotherapie-Terminen ging es „in 90 Prozent der Fälle darum, die hohe Spannung aus den Muskeln rauszubekommen, um das Verletzungsrisiko zu senken.“ Zum Abschluss der Vorbereitung gab es beim internationalen Schifflinger Meeting noch einmal einen Sieg mit 21,36 Metern.
Ein bisschen mehr Risiko
Dass er seit acht Monaten eine gewisse Planungssicherheit genoss, verdankt er seinem CMCM-Meetingrekord im Januar in der Coque: Die 21,71 Meter waren sein Direktticket für Paris. „Das macht schon einen großen Unterschied, wenn man Ruhe reinbekommt. Sich über das Ranking qualifizieren zu müssen, kann extrem stressig sein.“ Genauso nervenaufreibend ging es an diesem Tag aber auch auf dem Kirchberg zu. Der dritte – und entscheidende – Wurf wurde erst nach Überprüfung des Videomaterials gewertet.
Auch in Paris muss Bertemes in der Qualifikation bei nur drei Würfen mindestens einen nahezu perfekten Versuch landen, um sich als einer der 12 Besten für das Finale zu qualifizieren. „Mein erster Wurf war eigentlich immer zu verhalten. Mit meinem Trainer haben wir die Bilanz im Winter gezogen und beschlossen, dass ich aggressiver loslegen muss. Selbst wenn der erste Wurf dann ungültig wäre, ist er immer noch mit einer Weite von 19,5 Metern zu vergleichen, die mir auch nichts bringen würde. Deshalb will ich mit einem 20er-Versuch beginnen, um dadurch auch das nötige Selbstvertrauen zu bekommen.“
Der letzte Peak
Eigentlich hatte sich die Nummer 21 der Welt vorgenommen, die letzten acht Monate gezielt zu nutzen, um stabile Leistungen abzurufen. „Mehr Konstanz wäre cool gewesen, wir haben das aber nicht hinbekommen. Das war ohnehin ein hohes Ziel. Der Sommer war auch nicht so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Der Wendepunkt war dann in Rom. Die EM hat viel Selbstbewusstsein gebracht. Zum Glück ist die Form jetzt in Ordnung und wir sind auf dem guten Weg, um von hinten raus zum Schluss noch einmal einen Leistungspeak zu erreichen.“
Für den 31-Jährigen ist das nicht nur eine leere Floskel. Denn seine allerletzten drei – aber hoffentlich mehr – Würfe auf höchstem Niveau sollen ihm in guter Erinnerung bleiben: „Ich bin ein absoluter Vertreter des Slogans, dass der letzte der beste ist. Wenn ich nämlich davon überzeugt wäre, dass nichts mehr für mich drin wäre, hätte ich schon aufgehört. Aber vielleicht ist ja noch eine kleine Überraschung drin.“ Dass er im Teilnehmerfeld nicht mehr zu den Jüngsten gehöre, sei nicht das Problem. Vielmehr hätte die körperliche Verfassung maßgeblichen Anteil an seiner Entscheidung gehabt.
Ich habe meine Lektion in Tokio auf die harte Tour gelernt. In Paris will ich es besser machen.
Nach 2021 in Tokio wird die zweite Olympia-Teilnahme der Abschluss einer außergewöhnlichen Karriere sein. Zweimal platzierte er sich bei einer EM unter den besten Acht des Kontinents, bei der U23-EM holte er Silber. Hinzu kommen 17 nationale Meistertitel. Und eine ganz besondere Lehre: „Ich habe meine Lektion in Tokio auf die harte Tour gelernt. In Paris will ich es besser machen.“ Vor drei Jahren verpasste er das Finale mit 20,16 Metern als 21. deutlich. „Ich möchte mir diesen ganzen Stress nicht mehr zumuten, sondern das Ganze genießen. Das kam in Tokio alles zu kurz. Ich werde diesen Wettkampf mit der gleichen Einstellung angehen, wie ich es in den vergangenen Jahren getan habe. Es kommt, wie es kommt. Zudem ist der Ausgang am Ende auch tagesabhängig.“ Deshalb nannte der Sportsoldat keine Zahlen: „Wenn man von Weite spricht, kommt wieder Stress rein.“
„Viel Spaß“
An das, was danach kommt, wollte er im Vorfeld der olympischen Spiele ganz bewusst nicht allzu viele Gedanken verschwenden. Doch für ihn stehen große Veränderungen und ein neuer Lebensabschnitt bevor. „Es wird sicher ein emotionaler Tag werden, wenn ich meinen Spind bei der Armee räumen muss“, blickte er nur kurz voraus. Während er in der französischen Hauptstadt ein letztes Mal im Scheinwerferlicht des internationalen Kugelstoßens steht, hat seine Lebensgefährtin die Schlüssel für die neue Wohnung in Luxemburg bereits erhalten. Am 1. Oktober wird Bertemes seinen neuen Job in den Büros des Sportlycée antreten.
Der Rahmen steht also, aber in den nächsten Stunden geht es für Bertemes einzig und allein um Höchstleistung – und den Finaleinzug. Olympia- und Weltrekordhalter Ryan Crouser (USA) mit 23,30 Metern und Landsmann Joe Kovacs (22,65 m) haben bei den letzten beiden Ausgaben jeweils die beiden ersten Plätze unter sich ausgemacht. Im Stade de France geht es am Freitag ab 17.40 Uhr demnach um einen Platz im Finale, das am Samstag ab 19.00 Uhr stattfindet. Was jetzt noch zu tun ist, weiß Bertemes ganz genau. „Viel Spaß“ ist meist der letzte Rat, dem ihn Coach Alqawati mit auf den Weg gibt.
Die neue Welle
Bevor Bob Bertemes auf dem Gelände des CA Beles seinen offiziellen Abschied verkündet, genießt er in Paris die Gesellschaft von drei Luxemburger Leichtathleten – und die damit verbundene Gruppendynamik. „Das ist toll“, freute sich der sympathische Kugelstoßer. „In den vergangenen Jahren hat sich dieser Erfolg ein wenig abgezeichnet. Es ist ein genialer Trend, den ich noch miterlebe. Vier in Paris – das ist Wahnsinn. Damit hätte vor zwei Jahren sicher noch keiner gerechnet. Zumal wir ja knapp an den sechs vorbeigeschlittert sind. Das ist eine Topleistung der FLA, die Entwicklungskurve geht nach oben.“ Persönlich hilft es ihm auch: „Es ist blöd, wenn man immer nur alleine irgendwo sitzt. Zudem nimmt es den Stress raus, wenn man mal mit anderen Leuten aus der Leichtathletik reden kann – und es nicht immer nur ums Kugelstoßen geht.“
Besonders aber freut sich Bertemes über das leistungsorientierte Umdenken: „Es gab eine Zeit, da war die Mission erfüllt, wenn man sich qualifiziert hatte. Doch mit all den Möglichkeiten, wie dem LIHPS oder dem HPTRC in der Coque, hat sich alles professionalisiert.“
So gelingt der perfekte Wurf
Am 4. August werden es exakt fünf Jahre her sein, dass Bob Bertemes mit den 22,22 Metern in Schifflingen seine bisherige Karrierebestleistung abgerufen hat. „Dieser Wurf fühlte sich damals perfekt an. Bei der Videoanalyse hat man dann aber gesehen, dass er gar nicht so perfekt war“, meinte er mit einem Lachen. „An dem Tag kam einfach viel zusammen. Das macht den Charme des Kugelstoßens aus. Ich würde auch nicht ausschließen, dass ich das nochmal hinbekomme.“
Es folgt eine genaue Anleitung für alle jungen Talente, die irgendwann einmal in seine Fußstapfen treten wollen: „Der knifflige Teil ist der Anfang. Man muss eine gewisse Schnelligkeit reinbekommen, aber nicht zu viel. Da versucht man das Körpergewicht vom rechten auf das linke Bein zu bekommen, um zu 90 Prozent auf diesem Bein zu stehen und sich lang zu machen. Da muss man sich die Zeit nehmen, ohne es hinauszuzögern, da man den Speed hintenraus braucht. Dann geht es darum, in der Körpermitte Ruhe reinzubekommen, um das Körpergewicht wieder auf das andere Bein zu bekommen. Kugelstoßen besteht im Endeffekt zu 80 Prozent aus den Beinen. Es gibt ein paar kritische Momente. Wenn die Bewegungskette nicht richtig stimmt, hat man Tendenz, das mit dem Oberkörper rausholen zu wollen.“
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