Radsport / Warum Christine Majerus Radfahren in Paris empfehlen kann
Die Olympischen Spiele vor der Haustür: Die Wahl-Pariserin Christine Majerus könnte sich keinen besseren Abschied von den Sommerspielen vorstellen. Fehlt nur das i-Tüpfelchen: Am Sonntag ab 11.00 Uhr will die 37-Jährige ihr allerbestes Olympia-Ergebnis herausfahren. Wie das gehen könnte, erzählte die SD-Worx-Fahrerin im Interview.
Tageblatt: Sie kennen Paris schon seit vielen Jahren. Handelt es sich um eine Fahrradstadt?
Christine Majerus: Vor zehn Jahren hätte ich wohl noch Nein gesagt, aber die Stadtverwaltung hat in den vergangenen Jahren viele Anstrengungen unternommen, um die Mobilität auf dem Fahrrad zu fördern und das Auto aus dem Stadtkern herauszubekommen. Es entstanden viele neue Möglichkeiten und Radwege, die auch ungetrennt von den Straßen sind. Deshalb würde ich Paris heute schon eher als Fahrradstadt bezeichnen. Doch man sollte immer im Hinterkopf haben, dass es sich um eine Großstadt handelt. Wer sich generell nicht wohl auf dem Rad fühlt, für den wird sich in Paris nichts ändern.
Was macht den Charme der französischen Hauptstadt auf dem Rad aus?
Man kommt schneller von A nach B, als es mit dem Auto der Fall wäre. Das ist aber auch in Luxemburg der Fall. Was mir persönlich gefällt, ist, dass man den historischen Teil schnell erreichen und erkunden kann. Das gibt dem Ganzen etwas Prickelndes. Wenn ich an diesen imposanten Gebäuden vorbeifahre, versetze ich mich in die Zeiten zurück, an denen sie gebaut worden sind. Hauptvorteil ist aber die Flexibilität. Ich lebe nicht im Zentrum, sondern etwas außerhalb. Der Zug ist die andere Möglichkeit, um sich dem Zentrum zu nähern. Normalerweise fahre ich nur zur Physiotherapie in den Stadtkern, oder wenn ich eine besondere Besorgung machen muss. Tatsächlich ist es aber so, dass das Auto keinen Vorteil mehr hat. Der öffentliche Transport ist gut und man sollte davon profitieren. Wenn man sich wohlfühlt mit dem Verkehr, dann ist das Fahrrad die beste Option.
Wie haben Sie dieses Olympia-Fieber in Paris empfunden?
Besonders in den französischen Medien wird seit Monaten ein bewusstes Olympia-Feeling bei den Einwohnern aufgebaut. Es wird viel berichtet, man kommt also gar nicht daran herum. In den vergangenen zwei Monaten hat das Ganze sich aber nochmal deutlich gesteigert. Da einige Stadien speziell errichtet und nach den Spielen wieder abgebaut werden, waren einige Straßen gesperrt. Es sind große Strukturen, die errichtet wurden. Überall sieht man Fahnen, es ist ein beeindruckendes Bild. Zu Olympia gehört nicht nur der Sportwettkampf, sondern das Zusammenleben unter den Delegationen. Es entsteht ein Mannschaftsgeist innerhalb der Nation, unabhängig der Sportart. Mit den Sportlern im Dorf zu wohnen, gehört einfach dazu. Man muss ja ohnehin dort übernachten, aber für mich hätte sich die Frage auch nie gestellt.
Seit Juli 2023 ist bekannt, wie die 158 km lange Strecke aussehen wird. Hatten Sie Zeit und das Bedürfnis, den Parcours zu erkunden?
Ich kenne die Strecke schon länger, da ich sie im Herbst mit meiner Teamkollegin Lotte Kopecky abgefahren bin. Das war mir wichtig, weil es ein Teil außerhalb der Stadt gibt, den ich sonst nie fahre. In der Stadt kann man ja auch nie unter Rennbedingungen trainieren. In diesem Sinne war es wichtig, zu sehen, was uns erwartet. Aufgrund des Bildes, das ich mir gemacht hatte, konnte ich das Training steuern und realistische Zielsetzungen ansetzen. Ich hoffe für mich, dass es ein Vorteil ist, die Strecke schon abgefahren zu sein. Allerdings muss man wissen, dass alle Athletinnen seit einer Woche hier sind und Zeit für eine Erkundung hatten. In Tokio hatte ich einen Teil der Strecke vorher gar nicht gesehen und im Rennen habe ich das gemerkt (lacht).
90 Fahrerinnen werden an den Start gehen, dabei sind Sie als Einzelkämpferin unterwegs. Was haben Sie aus Ihren drei ersten Olympia-Rennen gelernt?
Ich habe drei ganz unterschiedliche Olympia-Erfahrungen gemacht. In London war ich noch ganz neu im Business und hatte „vun Tuten a Blosen“ keine Ahnung. Ich habe mich dumm angelegt und bereue das auch, was das Endergebnis angeht (21. Platz). Rio war ein tolles Rennen, mit Chantal Hoffmann waren wir als Team im Einsatz und hatten gemeinsam eine schöne Zeit. Obschon die Strecke mir gar nicht entgegengekommen war, war ich zufrieden, da ich das Maximum herausgeholt hatte (18. Platz). Tokio waren komische Spiele. Sie wurden verschoben und waren noch von Pandemie-Nachwehen gezeichnet. Es kam nicht wirklich ein Olympia-Gefühl auf. Im Rennen habe ich ein paar Fehler gemacht und mich über mich selbst geärgert (20.). Schlussendlich hoffe ich, dass die drei Erfahrungen mir helfen werden, in Paris einen fehlerlosen Parcours zu machen und mit einem guten Ergebnis abzuschließen.
Was bezeichenen Sie als fehlerlosen Parcours?
Ich bin auf mich alleine gestellt. Das kann ein Vorteil, aber auch ein Nachteil sein. Einerseits muss ich mich nur um mich selbst kümmern, andererseits ich aber auch niemand da, der nach mir schaut. In dieser Konstellation geht es für mich darum, Kraftreserven zu sparen und mit viel Energie auf den Rundkurs in Paris zurückzukehren. Dort muss ich dann den richtigen Rädern folgen. Wer weiß, auf dem Rundkurs kann an einem guten Tag alles passieren.
Wie oft werden Sie während des Rennes das Teamauto aufsuchen müssen?
Das hängt ein wenig von den Verpflegungsstellen ab. Wir haben auch nicht unendlich viele Betreuer dabei, deshalb muss noch abgeklärt werden, ob überhaupt jemand am Streckenrand stehen kann. Aber ein- bis zweimal werde ich schon zum Auto müssen. Wenn es heiß, sehr heiß wird, sogar noch öfter.
Bei Olympia gibt es keine Funkverbindung zum Teamauto. Was bedeutet das für Sie?
Das ändert für mich nicht viel. Ich habe viel Erfahrung. Wenn mit dem Radio gearbeitet wird, nutze ich es. Aber in diesem Fall wäre die Verbindung wohl eher den großen Nationen entgegengekommen, um mehr als Mannschaft zu fahren. Ich kann mit mir selbst kommunizieren, dafür brauche ich keinen Funk (lacht).
Wie kann man die Strecke beschreiben, die Sie zurücklegen werden?
Sie besteht aus zwei Teilen. Der eine führt über Land, durch die typische Pariser Umgegend. Es ist nicht extrem schwer, aber auch nicht flach. Die Strecke alleine zu fahren, dauert lange. Im Peleton geht das hoffentlich schneller. Danach geht es dann auf den Stadtrundkurs. Es sind drei Schwierigkeiten dabei. Die bekannteste ist sicherlich der Anstieg zum Montmartre. Das Schwerste ist allerdings, dass die Anstiege innerhalb der Stadt sehr schnell aufeinanderfolgen. Dazwischen geht es schnell und die Strecke ist auch technisch anspruchsvoll. Es bleibt wenig Zeit, sich zu erholen.
Wo und wann könnte eine Vorentscheidung fallen?
Im Vorfeld hat jeder über Montmartre geredet. Es hängt wohl viel davon ab, wie die Mannschaften aussehen werden, wenn wir auf den Rundkurs einbiegen und wie taktisch es wird. Wenn sich bis zum Anstieg des Montmartre nichts getan hat, werden sicherlich einige dort etwas versuchen wollen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es irgendwo anders sein wird.
Wer ist die Favoritin auf den Sieg?
Schwer zu sagen. Lorena Wiebes (NL) hat gezeigt, dass sie in den Bergen oder bei Klassiker-typischen Rennen nur schwer abzuhängen ist. Das wird auch in Paris der Fall sein. Wenn es zum Sprint kommt, dann führt kein Weg an ihr vorbei. Auf der anderen Seite haben wir mit Lotte Kopecky (Weltmeisterin/B), Elisa Longo Borghini (I) zwei Mitfavoritinnen, die sicher alles daran setzen werden, einen Sprint zu vermeiden.
Wie lautet Ihr Ziel?
Ich halte meine Ziele immer ein bisschen vage. Es würde mich freuen, wenn ich meine Olympia-Resultate verbessern könnte. An einem guten Tag bin ich sicher nicht weit vom Schuss. Es unter die ersten Fünf zu schaffen, wird kompliziert, aber dahinter ist alles drin. Jedes Radrennen ist offen und das Ergebnis sagt nicht immer etwas aus. Das Ziel ist es auch zu profitieren und das Maximum rauszuholen.
Und Ihr persönlicher Olympia-Wunsch?
Ich wünsche mir, dass ich mehr von den Spielen profitieren kann. Das habe ich gelernt. Als Sportler sieht man nur seinen Wettbewerb und man vergisst das Drumherum. Ich wollte in Tokio bereits nach meinem Rennen mehr von dieser Stimmung, den Werten und dem Dorf aufsaugen – doch das war wegen Covid nicht möglich. Schlussendlich ist es eine einmalige Erfahrung als Sportler. Wenn man jung ist, ist man sich dessen vielleicht nicht so bewusst. Nach dem Rennen bleibt eine Woche vor der Tour de France. Ich habe ein paar Tickets für unterschiedliche Sportarten. Ich hoffe also, dieses Fieber als Zuschauer erleben zu können und mir im Anschluss an mein Rennen und die zusätzlichen Tage sagen zu können, dass es die schönsten Spiele meiner Karriere waren.
Wie sehen die Pläne für die kommenden Monate aus?
Es geht schnell weiter, mit der Tour de France. Ich habe seit einer gewissen Zeit gesagt, dass es meine letzte Saison sei. Ich bin da mit mir im Reinen. Bei meinen Rennen habe immer alles gegeben und bin nicht traurig, dass es meine Abschiedsrennen waren. Ich nehme das eher als eine Motivation wahr. Ich hatte eine lange, schöne Karriere mit tollen Erfolgen innerhalb eines guten Teams. Ich bin dankbar für die Leute, die mir geholfen haben und mit denen ich unterwegs war. Es ist ein schönes Jahr, um aufzuhören.
Der kreative Kopf des Team Lëtzebuerg
Christine Majerus ist einer der kreativsten Köpfe des Luxemburger Sports. Malen gehört zu einer ihrer Leidenschaften. Ihr Kinderbuch, „E Vëlo fir de Muli“, das sie illustrierte, erschien 2022 bei den Editions Revue. Die Texte schrieb Catherine Anen. Inzwischen erschien eine Version in niederländischer Sprache. Ein Jahr später kam das Memo-Spiel, „Départ, lass“, des Radprofis auf den Markt. „Ich habe da viel Energie reingesteckt“, berichtete die 37-Jährige. Auf den Karten versucht sich der „Roude Léiw“ an unterschiedlichen Berufen. „Es kommt gut an, darüber bin ich froh.“
Doch das Malen ist derzeit nur ein Hobby. Vielleicht bekommen einige Bekannte allerdings in Kürze Postkarten aus Paris. „Wenn ich unterwegs bin, verschicke ich die Bilder dann mit einer schönen Briefmarke.“ Dem Tageblatt gab sie vor Olympia schon mal einen Vorgeschmack.
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