Safeguarding / Michelle Tousch ist bei Olympia in Paris die Frau für die sensiblen Themen
Erstmals bei Olympischen Spielen begleitet das Team Lëtzebuerg mit Frank Muller nicht nur ein Sportpsychologe, sondern mit Michelle Tousch auch ein Safeguarding Officer. Das Thema des „sicheren Sports“ ist eines, das in Luxemburg bisher auf der Prioritätenliste nicht ganz oben zu finden war, doch es soll nicht zuletzt durch Olympia in Paris in seiner Entwicklung in den kommenden Monaten weiter an Fahrt aufnehmen.
Safeguarding im Sport
Beim Safeguarding geht es sozusagen um den sicheren Sport, um den Schutz der teilnehmenden Akteure vor physischer, sexueller und psychischer Gewalt oder Belästigung.
Die Rolle bei Olympia
Wenn ein Sportler einen Fall von Missbrauch, Gewalt oder Belästigung während der Olympischen Spiele in Paris erleben sollte, dann kann er sich bei Michelle Tousch melden. Neben dem Safeguarding Officer des Team Lëtzebuerg ist das Internationale Olympische Komitee aber auch mit seinen eigenen Experten vor Ort, falls jemand bei Bedarf lieber mit einer neutralen Person reden möchte. „Falls sich jemand meldet, dann gilt es zuerst, mit dem IOC-Safeguarding-Officer zu schauen, ob es eine Investigation geben wird, welche Unterstützung der Athlet braucht, ob man die Polizei direkt einschaltet und ob er etwa psychologische Unterstützung braucht. Dann muss man auch ein Formular ausfüllen, wer Bescheid wissen darf, zum Beispiel die Eltern oder der Missionschef oder ob das dann unter uns bleiben soll.“ Ihre Rolle bei Olympia sei eher passiver Natur, wie Tousch weiter erklärt. „Wir gehen nicht aktiv auf die Sportler zu, sie sollen schon in ihrer Blase bleiben. Wir haben aber eine eigene E-Mail-Adresse und eine eigene Telefonnummer.“
Die meiste Arbeit leistete Michelle Tousch dann auch im Vorfeld der Spiele. „Wir hatten ein Vorbereitungscamp, bei dem wir die Leute über das Thema aufgeklärt haben und auch Infoveranstaltungen.“ Wichtig war es dabei zu erklären, dass die Fälle ganz unterschiedlich sein können. „Dass es nicht nur Athleten, sondern auch Betreuern oder Bénévoles passieren kann. Der Täter muss auch nicht immer der Trainer sein. Es kann zum Beispiel auch ein Volunteer sein, der Athleten bedrängt, ihnen zu nah kommt, weil er immer wieder Fotos machen möchte.“
Das IOC
„Das IOC treibt das Thema wirklich voran“, erklärt Michelle Tousch. Um als Safeguarding Officer in Paris dabei sein zu können, musste die Juristin einen Kurs absolvieren, der vom IOC angeboten wurde und der über acht Monate ging. Rund 100 Leute nahmen an diesen Online-Veranstaltungen teil, für deren Abschluss man auch Examen schreiben und eine Arbeit einreichen musste. Ein nicht unwesentliches Network, vor den Olympischen Spielen stand das COSL in diesem Bereich dann auch im Austausch mit Deutschland und Island.
Jeden kann es treffen
Der Fall, der in den Medien am präsentesten ist, sei der klassische Fall von minderjährigen Mädchen, die sexuellen Missbrauch durch ihren Trainer erfahren haben, erklärt Michelle Tousch. Dabei gibt es so viel mehr: „Mobbing, körperliche Gewalt, mentaler Druck etwa von den Eltern, die sagen, wenn du nicht gut trainierst, kriegst du heute keinen Nachtisch oder wenn der Trainer sagt, dass man erst etwas trinken darf, wenn man noch dreimal 3.000 Meter gelaufen sei. Es kann aber auch Gewalt von Eltern in Richtung des Trainers sein, die auf diesen losgehen, weil sie denken, dass er seine Arbeit nicht gut macht.“ In Luxemburg gibt es aktuell keine Studien zum Thema Safeguarding, international sei es aber so, dass die psychische Gewalt ganz oben auf der Liste steht. „Das kommt ganz oft vom Trainer oder von den Mitspielern.“ Dabei ist es Michelle Tousch wichtig zu sagen, dass es nicht nur Jugendliche betrifft, sondern auch Erwachsene und sehr viele Jungs und Männer. „Die trauen sich inzwischen auch immer mehr etwas zu sagen. Das wurde lange Zeit unter den Tisch gekehrt, da haben sich dementsprechend dann auch kaum Opfer gemeldet.“
Vernachlässigung
Ein Faktor, den das ganze Spektrum des Safeguarding betrifft und den Michelle Tousch während ihrer Weiterbildung beim IOC dann doch etwas überrascht hat, ist der der Vernachlässigung. „Wenn man nicht mehr gut genug ist, nicht die erwarteten Leistungen bringt. Hier schaut der Trainer einen dann einfach nicht mehr an, lässt den Sportler außen vor. Laut Studien waren die Auswirkungen in diesen Fällen auf die Athleten sehr groß. Diejenigen werden während einer Periode so vernachlässigt, dass sie sie sich irgendwann von selbst vom Elitesport verabschieden.“
Auswirkungen
Im Bereich des Safeguarding wird unterschieden, wie oft etwas vorkommt und wie hoch die Auswirkungen sind. „In Belgien etwa ist der psychische Bereich der größte, der sexuelle hat dann aber deutlich mehr Auswirkungen.“ Essstörungen oder Schlafprobleme können Konsequenzen sein, aber ein Fall kann sich auch auf den gesamten Betreuerstab und auf den Klub auswirken: „Der Verein verliert dadurch gute Sportler, hat einen weniger guten Ruf, weniger Chancen Medaillen zu gewinnen. Dieser eine Akt beeinflusst einfach so viel: Familie, Freunde, Mitspieler, Klub, Verband. Das ist wie ein Dominostein, der alles auseinanderbrechen lässt.“
Situation in Luxemburg
„Viele Leute denken, dass das in Luxemburg anders ist, weil man davon kaum etwas hört, doch auch hier gibt es Fälle“, erklärt Michelle Tousch. Das Problem sei einfach, dass es keine Studien und Statistiken gibt. „Es wäre interessant zu wissen, wie viel man gebraucht wird, zu schauen, ob sich viele Leute melden, wenn es eine offizielle Kontaktstelle gibt.“ Eine solche gab es bisher in Luxemburg nicht und ist unabdinglich: „Deswegen meint man vielleicht, dass Luxemburg nicht so betroffen ist.“
Im Bereich des Safeguarding liegt Luxemburg aktuell dann auch weit hinter anderen Ländern zurück: „Bei einem Workshop hatten wir zehn Punkte, nach denen eine Bewertung vorgenommen wurde. Es ging um Sachen, die in einem Land in diesem Bereich gegeben sein müssen. Das Maximum waren zehn Punkte, wir konnten aber gerade einmal zwei Bereiche abhaken, womit es nur zwei Punkte gab.“ Bestnoten gab es hingegen für andere europäische Länder, wie Finnland und Deutschland. „Wir liegen hier komplett zurück, umso erleichterter bin ich, dass das hier langsam ans Rollen kommt. Ich hoffe, dass sich das nun mit meiner Rolle bei Olympia weiterentwickelt, einen Anstoß gibt.“
Zukunft
Das Safeguarding wird in Zukunft in Luxemburg in den Bereich der nationalen Dopingagentur ALAD fallen, bei der Michelle Tousch auch Mitglied des Verwaltungsrates ist. So hofft die Juristin auch auf eine enge Zusammenarbeit zwischen COSL und ALAD und will dabei auf drei konkrete Bereiche setzen. „Es wäre möglich, dass sich die ALAD um die Awareness-Kampagne kümmert und wir dann den Link mit unseren Athleten machen. Dass jeder, wie im Bereich des Dopings, einen Kurs machen muss. Ich glaube, dass gerade dieser Präventionsteil enorm wichtig.“ Und das nicht nur für die Sportler, sondern auch für die Trainer, ihnen Guidelines mit Empfehlungen mit auf den Weg gibt. „Dann wäre es möglich, eine Charta für die Verbände einzuführen, mit der sie sich verpflichten, im Safeguarding-Bereich zu arbeiten.“ Auch was die Reaktionen betrifft, gibt es laut Tousch noch Klärungsbedarf: „Kommen sie zuerst zu uns und wir leiten sie zur ALAD weiter oder kümmern sie sich ganz darum? Es geht einfach darum, den Leuten zu vermitteln, wo sie sich melden können. Wichtig ist auch der Bereich des Beraters für Verbände, Klubs und Trainer, dass wir ihnen mit Tipps und Tricks weiterhelfen können.“ Dass vor allem bei Verbänden und Klubs das Thema nicht ganz oben auf der Prioritätenliste steht, kann Tousch derweil verstehen: „Die meisten haben ein bis zwei Leute, die festangestellt sind. Oft sind das Sekretäre und die haben schon so viel zu tun. Klar, dass das der Bereich ist, den man nicht direkt angeht, aber es wäre nicht schlecht, wenn man das zu den Prioritäten hinzubekommen könnte.“
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