Editorial / Aus der Pandemie lernen: Sozialer Frieden nach den Corona-Jahren
Der wissenschaftliche Dienst der Chamber hat seinen Bericht über Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit der luxemburgischen Corona-Maßnahmen vorgelegt. Eine längst überfällige Aufarbeitung der Corona-Zeit und ihrer Politik. Doch wer jetzt nach neuem Argumentationsfutter für Diskussionen über Sinn und Unsinn von Maskenpflicht, Kontaktreduzierung und Impfkampagnen sucht, der verpasst den eigentlichen Knackpunkt. Die bitterste Erkenntnis aus der Aufarbeitung dieser Jahre ist eine andere: Luxemburg ist noch einmal ein bisschen ungerechter geworden, die Gesellschaft noch einmal ein bisschen ungleicher.
In der Corona-Pandemie haben sich die sozialen und geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in Luxemburg verstärkt, schreiben die Forscher. Das psychische Wohlbefinden hat sich verschlechtert, es gibt mehr Depressionen, mehr Angststörungen, mehr Einsamkeit und mehr Stress. Das alles steht in direktem Zusammenhang mit der Pandemie oder den Nach- und Nebenwirkungen der von den politischen Entscheidungsträgern angeordneten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Und doch ist diese Entwicklung viel mehr als eine Pandemiefolge.
Die Covid-19-Pandemie war ein Multiplikator. Wie ein großes Brennglas die Sonnenstrahlen bündelt, hat sie die Ungerechtigkeiten und sozialen Probleme verstärkt, die in unserer Gesellschaft schon lange vorherrschen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, welche Gruppen laut Chamber-Bericht am stärksten in den Pandemiejahren gelitten haben. Die Opfer der Corona-Krise in Luxemburg sind auch die Opfer aller anderen Krisen, sei es Wohnungsnot oder Preisinflation: Haushalte mit Kindern, Alleinerziehende, junge Menschen und Einwohner mit portugiesischer Staatsangehörigkeit.
Im Hinblick auf die Schwächsten der Gesellschaft muss die Lehre aus der Pandemie deshalb sein, dass es keine Lehre aus der Pandemie gibt. Dass hier ganz grundsätzlich etwas falsch läuft. Das Fundament des sozialen Friedens war auch vor der Pandemie schon instabil, die Corona-Jahre haben es nur noch ein bisschen wackeliger gemacht.
Es gab Momente in der Ausnahmesituation des ersten Lockdowns, da ist das vielen Menschen zum ersten Mal bewusst geworden. Die Welt stand kopf: Regierungen, die noch kurz zuvor rigoros öffentliche Ausgaben gekürzt hatten, verteilten plötzlich mit lockerer Hand Milliarden an Hilfsgeldern. Für einen Augenblick schien es, als ob ein grundlegender Wandel möglich sei, hin zu einer gerechteren Gesellschaft. Es war ja so offensichtlich, wer hier systemrelevant schuftete: Der Kassiererin an der Supermarktkasse wurde für ihre Arbeit gedankt, das Pflegepersonal in den Krankenhäusern beklatscht. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek träumte gar von einer neuen Form des Kommunismus als einziger Alternative zum Abstieg in die globale Barbarei.
Nichts davon war von Dauer. Die Normalität hat wieder Einzug gehalten. Im Guten wie im Schlechten. Wir haben gelernt, mit dem Virus zu leben, die Politik hat ihre Maßnahmen immer genauer und spezifischer angepasst. Nur die Ungerechtigkeit, sie ist größer denn je. Die Politik hinkt hinterher. Und die nächste Krise kommt.
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