Editorial / Bildung gegen „Islam-Fluencer“
Sind Sie radikal? Die meisten werden das entschieden verneinen. Radikal setzt man im Allgemeinen gleich mit extremistisch und gewaltbereit. Immer mehr Jugendliche radikalisieren sich durch Propagandavideos im Internet. Die festgenommenen jungen Männer – radikalisierte Islamisten –, die in Wien einen Anschlag auf ein Taylor-Swift-Konzert geplant hatten, sind ein Beispiel.
Das Landesamt für Verfassungsschutz des Landes Baden-Württemberg erklärte auf SWR-Anfrage bezüglich einer anderen Affäre: „Salafistische Prediger nutzen gezielt Plattformen, die besonders bei Jugendlichen beliebt sind.“ Sozialarbeiter sagen, dem entgegenwirken helfe nur, wenn man mit den Jugendlichen über problematische Inhalte rede. Reden und Erklären sind Kernelemente von Bildung, und damit ist keineswegs nur die klassische Schulbildung gemeint.
Das Adjektiv „radikal“ hat eine zweite Bedeutung: etwas Vollständiges, Gründliches, zum Beispiel „etwas radikal verneinen“. Im Frankreich des 19. Jahrhunderts stand der Begriff für die strikte Ablehnung der Feudalherrschaft, für bürgerliche Freiheiten sowie für die Trennung von Kirche und Staat. Auch heute gibt es „radikale“ Forderungen, die – ohne Gewaltanwendung – das Potenzial haben, unsere Gesellschaft nachhaltig zu verändern.
Ein englischer Professor sagte mir vor langer Zeit, er sei im Grunde Anarchist. Auf die Frage nach der radikalsten Maßnahme, die er umsetzen würde, antwortete er kurz: „Freie und kostenlose Bildung für alle.“ Der Jugendrat der deutschen „Generationen Stiftung“ veröffentlichte 2021 zehn Forderungen, die sie „radikal“ nannte; unter anderem fordert sie mehr Investitionen in Bildung.
Zur Bildung gehört auch Medienbildung. Es ist vollkommen egal, ob man sich via Papier oder online informiert; allerdings müssen Kinder und Jugendliche lernen, nicht alles für bare Münze zu nehmen. Ein „Influencer“ möchte nicht informieren, sondern eben „beeinflussen“ (viele Erwachsenen wissen es zwar auch nicht, aber in der Regel geschieht Bildung in der Jugend und Kindheit). In Zusammenhang mit radikal-islamistischen Internetforen spricht der SWR im erwähnten Beitrag von „Islam-Fluencern“.
Der anarchistische Professor hatte erkannt, dass Bildung in all ihren Facetten einer der Grundsteine für Frieden und Wohlstand ist. In den meisten EU-Ländern ist Schulbildung gratis, bei den Büchern sieht es schon anders aus. Doch Bildung ist weit mehr als zur Schule gehen, para-schulische Möglichkeiten hängen im Wesentlichen aber von den finanziellen Mitteln der Eltern ab. Aus einem im Juni veröffentlichten Bericht des Statec (siehe Tageblatt vom 24.4.2024) geht hervor, dass in Luxemburg mehr als 30.000 Kinder, das heißt etwa jedes vierte, von Armut bedroht sind. Diese Kinder haben nicht die gleichen Chancen, was zum Beispiel private Nachhilfe, zusätzliche Sprachkurse oder sonstige Extras angeht.
Der 12. August wurde von den Vereinten Nationen zum Tag der Jugend ausgerufen: Er soll unter anderem auf die Belange von Kindern und Jugendlichen hinweisen, und Politiker sollen bedenken, dass ihre Entscheidungen auch die Jugend betreffen. Der internationale Tag erinnert daran, dass alles, was wir Kindern und Jugendlichen heute in Sachen Bildung bieten, irgendwann als Bumerang zurück zur Gesellschaft kommt. Bildungspolitik steht dabei an erster Stelle.
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