Editorial / Sommer der Wendungen: Zeit für ein bisschen mehr Optimismus
Vor ein paar Tagen hat der Kollege Feyereisen an dieser Stelle erklärt, warum Medien nicht so oft und einfach „mal was Positives“ schreiben – und was das mit der Aufgabe der Presse zu tun hat, Missstände aufzudecken und Probleme anzusprechen. Das ist richtig. Die weltpolitische Lage lässt es meist nicht zu. Heute aber soll eine Ausnahme sein. Es soll hier nun um etwas Positives gehen, nicht aus Prinzip, sondern weil sich in den vergangenen Wochen in verschiedenen Ecken der Welt tatsächlich ein paar Dinge zusammengerauft haben, die einem Mut und Hoffnung machen können. Es ist längst Zeit für ein bisschen mehr Optimismus – in diesem Sommer der überraschenden Wendungen.
Angefangen hat alles in Frankreich. Wir erinnern uns: Noch vor ein paar Wochen, vor dem ganzen Olympia-Glamour, sah es recht düster aus. Riesenerfolg des Rassemblement national (RN) bei den Europawahlen, Auflösung des Parlaments, Neuwahlen. Dem RN schienen die Mehrheit und der Anspruch auf den Premierposten nicht mehr zu nehmen zu sein. Und dann kam die Wahl. Der RN wurde in die Schranken gewiesen – von einer republikanischen Front aus Konservativen, Liberalen und einer selten einigen Linken. In Paris feierte die Jugend (und nicht nur die) auf den Straßen. Natürlich ist damit keines von Frankreichs Problemen gelöst. Jetzt, nach den Spielen, geht die schwierige Regierungsfindung weiter. Aber die Schlappe für den RN, damit hatte keiner gerechnet.
Dann waren da die USA. Während Präsident Joe Biden von Tag zu Tag zunehmend wackeliger zu werden schien, legte Widersacher Donald Trump in Umfragen zu. Dann kam das Attentat auf den Republikaner und jeder politische Analyst dies- und jenseits von Washington schien sich festzulegen: Die Wahl ist gelaufen, Trump kann nicht mehr verlieren. Und heute? Liegt das neue demokratische Dreamteam Kamala Harris und Tim Walz in drei „Swing States“ vor Trump. Zum ersten Mal bei dieser Wahl führen die Demokraten in nationalen Umfragen. Was für eine Wendung!
Und noch ein Überraschungsschlag aus jüngsten Tagen, diesmal militärischer Natur: Die ukrainische Armee erobert hunderte Quadratkilometer russisches Gebiet. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs steht ausländisches Militär auf russischem Boden. Wer hätte damit gerechnet, dass die Ukraine noch die Ressourcen für solch einen beeindruckenden Schachzug hat? Wie sehr diese Aktion den Kriegsverlauf beeinflussen kann, ist noch unklar, die Verhandlungsposition der Ukraine aber hat sie verbessert.
Frankreich, USA, Ukraine. Drei Länder, drei Wendungen, mit denen in diesem Sommer die wenigsten gerechnet hätten. Optimismus hat in der Politik kein gutes Standing. Zu naiv, zu blauäugig, zu anfällig für Enttäuschungen. Und doch zeigen diese drei Fälle, dass sich manche Dinge entgegen aller Prognosen, Statistiken und Analysen zum Positiven verändern können. Also, zumindest in diesen paar Sommertagen, etwas mehr Optimismus wagen. Und vielleicht – man mag es kaum aussprechen, so einfältig klingt es – kann man dann auch im Nahostkonflikt noch auf eine glückliche Wendung hoffen.
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