Forum / Denkanstöße für eine gerechte und nachhaltige Rentenreform
„Well dat alles mat Sécherheet esou kënnt, renne mir mat Karacho an eng Rentemauer. Déi Rentemauer waart op eis den 1. Januar 2015. Déi Rentemauer waart op eis an 20 Joer.“1) Mit diesen Worten warnte der damalige Premierminister Jean-Claude Juncker die luxemburgische Bevölkerung im Jahr 1997 vor der Rentenmauer. Eine Prophezeiung, die auch 27 Jahre später noch nicht eingetreten ist. Doch die Rentendebatte ist erneut in den Fokus der politischen Debatte gerückt. Im folgenden Artikel sollen auf Basis des Gutachtens des Wirtschafts- und Sozialrats und des Handbuchs der Zeitschrift Forum Lösungsansätze für eine mögliche Rentenreform vorgestellt werden. Die zentrale Frage lautet: Wie kann das allgemeine Rentenversicherungssystem („régime général“) weniger abhängig vom Wachstum des luxemburgischen Arbeitsmarktes gemacht werden und zugleich gerechter gestaltet werden?
Istzustand und Projektionen
Aktuell hat der luxemburgische Pensionsfonds, der 2004 gegründet wurde, Reserven von 27 Milliarden Euro. Die Reserven übersteigen um eine Vielfaches die im „Code de la Sécurité sociale“ festgelegten Mindestreserven von den 1,5-fachen jährlichen Leistungen und könnten noch fast vier Jahre ohne jegliche Beitragszahlung ausbezahlt werden. Der „Kipppunkt“, wo die Ausgaben die Einnahmen übersteigen, trifft laut der „Inspection générale de la sécurité sociale“ (IGSS) um das Jahr 2027 ein. Laut den aktuellen Zahlen wären die Reserven des Rentenfonds dann im Jahr 2049 endgültig aufgebraucht.2)
Die Rentenreform von 2012
In der vom ehemaligen Sozialminister Mars di Bartolomeo getätigten Rentenreform (2012) wurden verschiedene Mechanismen eingeführt, welche die Rentenausgaben bereits vor 2049 senken. Während die Grundrenten durch das Gesetz von Mars di Bartolomeo (vgl. rund 590 Euro im Jahr 2012; rund 700 Euro im Jahr 2052) kontinuierlich ansteigen, erfolgen weitere Maßnahmen ab dem Moment, wo das Verhältnis der Ausgaben zu den Einnahmen schlechter wird als der Beitragssatz von 24%. Zu diesem Zeitpunkt wird das Ajustement (Anpassung der Renten an die Reallöhne) wegfallen oder nur noch höchstens zur Hälfte berücksichtigt werden. Die Jahresendzulage von 960 Euro entfällt, sobald der Beitragssatz über 24% gehoben wird. Diese Maßnahmen ergänzen die bereits beschlossene Reduzierung des Steigerungssatzes (Ertrag der Rente im Verhältnis zum Einkommen) von 1,85% im Jahr 2012 auf 1,6% im Jahr 2052.3) Die von der damaligen Regierung beschlossenen Stellschrauben werden ihre ganze Tragweite also erst in den kommenden Jahren entwickeln.
Da die Rentenreform von 2012 bereits Anpassungen bei den Ausgaben vornahm, sollte eine zukünftige Reform den Anspruch haben, das Rentensystem gerechter zu gestalten und alternative Finanzierungsquellen berücksichtigen. In diesem Zusammenhang möchte ich einige Überlegungen zur Reform des Rentensystems darlegen:
1. Bekämpfung der Altersarmut: Die Armutsquote (vgl. 3,9% im Jahr 2010; 10,4% im Jahr 2022) hat in den letzten Jahren bei älteren Menschen noch stärker zugenommen als in der Gesamtbevölkerung. Um ein dezentes Leben zu führen, braucht eine alleinstehende Person, die zur Miete wohnt, in Luxemburg laut Statec 2.551 Euro. Die Mindestrente beträgt aber nur 2.250 Euro brutto (Stand: Januar 2024). Die Zahlen verdeutlichen also, dass die Mindestrente nicht vor Armut schützt und erhöht werden muss. Dieses Problem könnte über die Einführung eines „crédit d’impôts“ für Personen mit einer Mindestrente gelöst werden.
2. Gendergerechtigkeit: Altersarmut betrifft vor allem Frauen. 32% aller Altersrenten der Frauen sind niedriger als 2.000 Euro und 80% der Bezieher der Mindestrente sind Frauen. Die Statistiken von 2023 ergeben einen Gender Pension Gap von 38% und Luxemburg hat damit den dritthöchsten Wert in der EU. Dieser Gap ist Ausdruck von Ungleichheiten, die während der aktiven Laufbahn entstanden sind. Umso wichtiger für Frauen, dass die Babyjahre und Kindererziehungszeiten nicht aberkannt werden und systemische Ungerechtigkeiten abgebaut werden.
3. Streichung der Beitragsobergrenze: Rentenbeiträge werden bis zum Maximalbetrag von fünfmal den Mindestlohn gezahlt (+- 12.900 Euro). Im Sinne von mehr Gerechtigkeit sollten auch Beiträge erhoben werden bei Löhnen, die über diesen Betrag hinausgehen. Dadurch dürften sich die Rentenansprüche aber nicht steigern. Durch diese Maßnahme könnten die Einnahmen der „Caisse nationale d’assurance“ (CNAP) um 10% gesteigert werden. Die Streichung der Obergrenze würde außerdem nur 5% der Arbeitnehmer*innen betreffen.
4. Einbeziehung aller Einkommensarten: Die Erhebung von Rentenbeiträgen auf alle Einkommensarten könnte eine zusätzliche Finanzierungsquelle der CNAP darstellen. Ähnlich wie bei der Pflegeversicherung könnten durch eine Art „Contribution sociale généralisée“ alle Einkommensarten in die Berechnung einfließen. Ein Prozentsatz von 1,4% auf alle Bruttoeinkommen mit einem Freibetrag für Personen mit kleinen oder mittleren Einkommen würde der Rentenkasse zusätzliche Einnahmen gewährleisten. Dadurch würde sich nicht nur die Rentenkasse füllen, sondern der Reichtum im Land nebenbei gerechter verteilt werden.
5. Einführung einer Vermögenssteuer: Eine weitere potenzielle Einnahmequelle wäre die Einführung einer Vermögenssteuer. Die Einführung einer Vermögenssteuer ab einem Vermögenswert von ungefähr 2,5 Millionen Euro (mit einem Steuersatz zwischen 0,5 und 1%) könnte teilweise für die Finanzierung des Rentensystems genutzt werden.
6. KI-Steuer: Als alternative Finanzierungsquelle könnte in Zukunft auch eine KI-Steuer dienen. Laut einer Studie von Goldman Sachs könnte der BIP in den kommenden Jahren weltweit um 7% steigen. Sollte die Produktivität anwachsen und die Zahl der Beschäftigten reduziert werden, müsste die Frage nach einer KI-Steuer aufgeworfen werden.
7. Beitrag des Staates: Der Beitrag des Staates könnte auf 10% angehoben werden. Diese Maßnahme ergibt aber nur Sinn, wenn sie durch andere Einnahmen gegenfinanziert wird.
8. Reserven des Pensionsfonds: Der bereits angetretene Weg des Pensionsfonds in Richtung mehr Nachhaltigkeit sollte im Sinne der zukünftigen Generationen weitergeführt werden. Eine konsequente Nachhaltigkeitsstrategie müsste deshalb ausgearbeitet werden.
9. Reduzierung der Nebenkosten der CNAP: Die Ausgaben der CNAP dürften ausschließlich für die Zahlung der Renten genutzt werden. Alle anderen Ausgaben (z.B. Verwaltungskosten der CNAP) könnten zukünftig über den Staatshaushalt finanziert werden.
10. No-Go: Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters muss vermieden werden. Einerseits könnte ein späterer Renteneintritt die Ausgaben langfristig erhöhen.4) Andererseits ist es auch eine gesellschaftliche und politische Frage. Wie viel Zeit gewähren wir Menschen, die 40 Jahre lang gearbeitet haben, um in Würde altern zu können?
In Anbetracht der Komplexität des Themas sind weiterhin einige Fragen offen und weitere Überlegungen notwendig. Der vorliegende Artikel erhebt deshalb keinen Anspruch auf Vollkommenheit. Vielmehr sollte er Denkanstöße geben und Lösungswege aufzeigen. Im Sinne der Transparenz wird sich die LSAP deshalb auch dafür einsetzen, dass alle relevanten Informationen berücksichtigt werden und keine Wahrheiten verschleiert werden. Denn es ist die Pflicht von allen politischen Parteien nach Lösungen zu streben, die sowohl der heutigen als auch der kommenden Generation ein starkes öffentliches Rentensystem gewährleisten.
1) JUNCKER, Jean-Claude, Rede im Parlament am 7. Mai 1997.
2) Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden diese Projektionen mehrmals nach hinten verschoben.
3) Laut der „Chambre des salariés“ verliert ein Arbeitnehmer (bei voller Berufslaufbahn) mit einem Durchschnittslohn rund 12,7% an Renteneinkommen. Beim unqualifizierten Mindestlohn sind es 8,7%.
4) Laut einer Studie des französischen „Comité de suivi des retraites“ wird die zweijährige Erhöhung des Renteneintrittsalters in Frankreich die Ausgaben des Rentensystems langfristig erhöhen
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