Zum „Theaterfest“ / Myriam Muller: „Es gibt in Luxemburg einen Mangel an Neugierde fürs Theater“
Heute steigt in Luxemburg-Stadt das jährliche „Theaterfest“ der „Theaterfederatioun“: Zeit für ein Gespräch mit deren Vizepräsidentin und künstlerischen Leiterin des „Théâtre du Centaure“, Myriam Muller, über ihre Produktionen, Gleichstellung sowie den Zusammenhalt in der Luxemburger Szene.
Tageblatt: Die Spielsaison am Großen Theater endete mit „Liliom ou la vie et mort d’un vaurien“ und eröffnet ebenfalls mit einer Produktion von Ihnen, und zwar „Le songe d’une nuit d’été“ („Ein Sommernachtstraum“), eine sehr aufwändige Produktion. Die Zuschauer*innen sitzen quasi in einer riesigen Diskothek. Was hatten Sie mit dieser Produktion, die sich formal von bekannten Shakespeare-Inszenierungen absetzt, im Sinn?
Myriam Muller: Der Gedanke, das Stück so zu inszenieren, ist mir in der Post-Covid-Zeit gekommen. Ich dachte, wir brauchen jetzt ein Stück, bei dem die Menschen wieder zusammenkommen: Theater als Fest, etwas Partizipatives. Einfach so, wie ich Theater begreife: Die Agora, seit Sophokles ist ja genau das der Platz, wo das Volk zusammenkommt, um die Fragen der Bürger aufzugreifen. Und es war zudem die Frage, wie kriegen wir wieder viele Leute in die Theater? Da gibt es zwei Wege: dass die Häuser zu den Leuten gehen, aber auch, dass wir Aufführungen anbieten, die die Zuschauer nicht erschrecken. Am besten etwas Populäres mit einer gewissen Qualität. Denn es bleibt ja Shakespeare.
Seit der letzten Spielzeit sind Sie assoziierte Regisseurin am Großen Theater. Was hat sich für Sie als Theatermacherin dadurch konkret verändert?
Ich habe eine lange Verbindung mit den Théâtres de la Ville, auch schon als Schauspielerin habe ich viel gespielt, vor allem auf Deutsch am Kapuzinertheater. Vor ca. 15 Jahren habe ich langsam angefangen, zu inszenieren, zunächst mit Frank Feitler. Er hat gesehen, wie ich gearbeitet habe, und gesagt: „Hast du keine Lust, eine Inszenierung zu machen?“
Ich arbeite also schon seit Längerem mit ihnen, auch an Produktionen, die im Ausland Fuß gefasst haben, besonders „Breaking the Waves“. Es ist jetzt an mir wie den anderen „Artistes associés“, künstlerisch Akzente zu setzen. Besonders, weil wir so ein Stück aufwändig produzieren und es dann nur acht Mal spielen. Wir sind durch die Größe des Landes einfach gezwungen, den Schritt ins Ausland zu gehen und durch dieses Instrument der „Artistes associés“ versuchen sie, uns die Möglichkeit zu geben. „Liliom“ war ein großer Schritt für uns, weil wir da am „Printemps des comédiens“ gespielt haben, was der Auftakt zum größten Festival in Frankreich ist, vor Avignon.
Ihre Produktion „Elena“ ist die Autopsie eines ungesühnten Verbrechens und die Geschichte einer doppelten Emanzipation, oder wie man seinem Schicksal als pflichtbewusste Ehefrau wie auch seiner sozialen Klasse entkommt. Inspiriert haben Sie sich am Oeuvre Chantal Akermans … Dadurch spielen Videoproduktionen eine größere Rolle. Lenken diese nicht vom Schauspiel ab?
Das ist ein Projekt, das ich schon lange habe. Es hat sich auch wegen Covid verschoben. Ich schätze das Oeuvre von Akerman, besonders „Jeanne Dielman, 23, quai du commerce“, sehr. Ich muss als Künstlerin auch experimentieren. Wir sind heute in einer Welt, wo die neuen Technologien nicht mehr wegzudenken sind. Ich mache sehr gern Stücke, die ganz „brut“ sind. Es ist natürlich immer eine Frage der richtigen Balance. Es soll nie nur ablenken, sondern immer einen Mehrwert bieten.
Ihre Produktionen sind oft Emanzipationsgeschichten, würden Sie sich als feministische Regisseurin sehen?
Wenn ich mir mein Programm im Théâtre de Centaure anschaue, bestimmt. Es ist ja nicht nur, was ich mache, sondern auch das, was ich auswähle. Ich bin oft vorsichtig mit dem Begriff „Feminismus“, denn er macht ein ganzes Fass auf … Ich bin eine Frau und insofern sehe ich die Welt aus den Augen einer Frau. Was mich am meisten interessiert, ist, den Weg zu zweit zu gehen.
Ich kann nur Fragen stellen. Und deshalb finde ich, wenn der Saal voller Männer und Frauen ist, soll man einfach schauen, was die Leute sagen. Bei „Elena“ war es interessant: Die einen waren auf der Seite des Mannes, die anderen auf der der Frau. Das hängt von der eigenen Vergangenheit, vom Alter ab … Frauen meiner Generation und Frauen mit 20 – dazwischen ist viel passiert. Evidenzen sind für sie andere als für mich. Ich bin Mutter, ich habe drei Kinder. Das Wort Feminismus ist für mich ganz gefährlich, weil ich finde, dass es reduziert.
Trotzdem gibt es Schieflagen im luxemburgischen Theater; Marja-Leena Junker hat sie stark geprägt und ermutigt. Aber in Führungspositionen sind auch hier vor allem noch Männer. Der Intendant des großen Theaters, der des TNL, der „Theaterfederatioun“ … Wie lange braucht es aus Ihrer Sicht noch, um Gleichstellung in der Theaterwelt zu erreichen?
Es gibt aber auch Véronique Fauconnet, mich – auch, wenn wir von den kleineren Häusern sind –, Carole Lorang (Direktorin des Escher Theaters). In der Regie zum Beispiel muss man beinahe suchen, um Männer zu finden. Auf der anderen Seite sage ich mir, es ist auch an den Frauen, die Courage zu haben, die Sachen in die Hand zu nehmen. Regie bedeutet nicht nur, sich zu zeigen. Es heißt, ein Projekt von A bis Z zu leiten. Ich finde, dass bei uns in Luxemburg Frauen schon ganz viel tragen. Wir fangen aber an, so 50:50 zu kriegen, wir sind auf einem guten Weg.
Was ist Ihre nächste Inszenierung in der kommenden Spielzeit?
Wir eröffnen die Spielzeit im Centaure mit Yasmina Rezas „Kunst“, einem Stück, in dem es sehr stark um Maskulinität geht, die hier auf die Schippe genommen wird. Ich finde, das hat mit der Art Week hier in Luxemburg einen ganz aktuellen Bezug. Dort geht es ja um Kunst, aber auch um Geld. Wie viel ist Kunst wert? Lieben die Leute wirklich Kunst? Nachher merkt man, dass es nur ein Vorwand ist von drei Männern … Was heißt Freundschaft? Es sind viele Themen, die darin angesprochen werden. Es ist urkomisch.
Wir sind hier noch nicht fähig, Kindern und Jugendlichen ein intellektuelles Angebot zu machen, das über die blöden Naturwissenschaften hinausgehtu.a. Regisseurin
Faire Entlohnung für Produktionen, Schauspieler*innen, Dramaturg*innen: Sind wir dieser Forderung durch die Verwirklichung des Kulturentwicklungsplans (KEP) und der Deontologie-Charta ein Stück weit nähergekommen?
Auf jeden Fall, und das war wirklich nötig. Zum Beispiel bekommen kleine Häuser jetzt mehr, um auch eine feste Struktur, ein Büro zu haben. Sonst haben wir das immer am Küchentisch gemacht, das lief alles im Ehrenamt. In puncto Logistik und Administration ist es einfach zu viel geworden. Kurz: Wir haben mehr Gelder für solche Sachen. Das ist wichtig. Was es jetzt noch bräuchte, wäre, auch die professionelle Erfahrung angemessen zu bezahlen. Das heißt, es ist noch ein Schub nötig. Die hohen Preise für die Häuser bewirken, dass wir nicht so viele Stücke machen können. Denn Monologe sind oft nicht das, was die Leute sehen wollen.
Was sind Ihre Wünsche für das Theater in Luxemburg?
Ich finde, wir haben einen sehr gesunden Sektor. Wir sind einfach ein kleines Land und dann wird alles auch noch aufgesplittet nach Sprachen. Aber jeder kennt jeden und da ist ein Zusammenhalt in dem Sektor, der auch implizit ist, denn man weiß, dass man sich noch die nächsten 20 Jahre über den Weg läuft. Hier reicht einer dem anderen die Hand, das hat man in der Covid-Zeit gesehen. Das ist aber auch Lëtzebuerg. Jeder lebt sein Leben.
Es gibt nur einen Mangel an Neugierde, an dem wir hier in Luxemburg leiden. Ich frage mich, woher das kommt. Schauen wir uns mal die „Éducation nationale“ an. Die Kinder sollen in der Grundschule ins Mudam und in die Philharmonie gehen. Dann kommen sie ins „Lycée“ und da ist es vorbei. Ab da geht es nur noch um Science, Mathematik, selbst Sport ist schon nicht mehr wichtig genug für die Entwicklung. Wir sind hier noch nicht fähig, Kindern und Jugendlichen ein intellektuelles Angebot zu machen, das über die blöden Naturwissenschaften hinausgeht!
„Theaterfest“
Das „Theaterfest“ findet heute, am 20. September, von 11 bis 18 Uhr auf der place d’Armes in Luxemburg-Stadt statt.
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