Piraten am Scheideweg / Marc Goergen: Partei muss kritisch mit sich selbst ins Gericht gehen
Die MALT-Affäre zerreißt die Piratenpartei von innen. Marc Goergen und Sven Clement äußerten sich am Dienstag bei Radio 100,7 über die Zukunft ihrer politischen Heimat. Ist eine Klärung in Sicht?
Zwei Piratenabgeordnete werden „Stand heute“ an der ersten Chambersitzung nach den Sommerferien teilnehmen – Marc Goergen und Sven Clement. Das berichtete Goergen am Dienstag im 100,7-Interview. Dies mag erst einmal nicht sonderlich aufregend klingen, doch lange stand das Schicksal der Piraten auf der Kippe.
Auslöser war der Parteiaustritt des ehemals dritten Piraten-, inzwischen aber LSAP-Abgeordneten, Ben Polidori. Für Polidoris Austritt scheinen vor allem zwei Dinge ausschlaggebend gewesen zu sein: die Hierarchie unter den Piraten-Abgeordneten, also die Vormachtstellung von Sven Clement, und der Umgang der Partei mit der Causa „MALT“. Seitdem fliegen die Funken zwischen Goergen und Clement – und das in hohem Maße über die Presse.
Die MALT-Affäre
„MALT – Mobile Assisted Language Tool“ heißt das Projekt, das die Piraten in ihre bislang größte Existenzkrise gestürzt hat. Dahinter verbirgt sich eine App, die es ermöglichen sollte, Arabisch auf Luxemburgisch zu übersetzen und somit den 2015 aus Syrien geflüchteten Ankömmlingen in Luxemburg die Integration zu erleichtern. Die Piratenpartei hatte sich 2016 dazu entschlossen, sich auf das ausgeschriebene Projekt zu melden, und wurde als Projektverantwortliche vom damaligen OLAI („Office luxembourgeois de l’accueil et de l’intégration“/heute ONA) zurückbehalten. Anschließend wurde das Projekt anhand einer öffentlichen Ausschreibung auf der Piraten-Webseite ausgeschrieben. Eine Ausschreibung, die nur wenig Resonanz erhielt, sodass das Projekt schließlich, „nach den Regeln einer solchen Prozedur“, an die Firma von Jerry Weyer und Sven Clement – beide damals Piraten-Mitglieder – vergeben wurde.11Friseurbesuche soll sich Marc Goergen unter anderem mit der Visa-Karte der Piraten-Fraktion in der Chamber geleistet habenDas „Office national d’accueil“ fordert heute jedoch eine Zahlung von 92.316,14 Euro, weil einige Leistungen nicht wie verbucht erbracht worden sein sollen. Dem vorausgegangen ist ein Audit der KPMG, die der „Commission d’exécution budgétaire“ in der Chamber vorgelegt wurde. (siw)
Ist inzwischen Gras über die Streitereien im Sommer gewachsen? Nicht wirklich. „Was für die Grünen die Gartenhäuschen-Affäre war, ist für uns die MALT-Affäre“, meint Goergen. Die Partei könne Clement keine Entscheidung abnehmen, es sei an ihm klarzustellen, wie viel Verantwortung er diesbezüglich übernehmen will und wie „die politische Gestaltung“ in Zukunft aussehen soll. „Es ist nicht einfach für uns als Partei, dass wir nun vor solch einem Haufen Mist stehen“, wo sogar Menschen in die Schusslinie geraten seien, die eigentlich überhaupt nicht in diese Affäre involviert sind. All das müsse nun aufgearbeitet werden. „Sollte sich herausstellen, dass damals bewusst betrogen wurde, dann ist sicherlich klar, dass ein Rücktritt im Raum stehen wird“, sagt Goergen.
Hätte Goergen nicht öffentlich über die Missstände ausgepackt, hätte man ihm im Nachhinein Intransparenz vorwerfen können, meint er. „Die Partei ist Opfer einer Affäre“, sagt der Partei-Koordinator. Eine direkte und alleinige Schuldzuweisung in Richtung Clement ließ er sich in dem Interview jedoch nicht entlocken: Eine Gruppe von Menschen sei damals für das MALT-Projekt verantwortlich gewesen.
„Die Piraten haben ein Ziel, die transparenteste Partei Luxemburgs zu werden“, erklärt Goergen. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse die Partei jedoch kritisch mit sich selbst ins Gericht gehen – dazu gehöre auch, Missstände aufzuarbeiten „Bei uns ist vieles passiert, das nicht hätte passieren dürfen“, räumt der Politiker ein. Dass es sich bei dem Konflikt in erster Linie um einen persönlichen Streit zwischen ihm und Sven Clement handelt, bestreitet er allerdings. Vielmehr stehe der Wunsch der Partei – einschließlich Goergen – nach umfassender interner Klärung den Interessen der MALT-Verantwortlichen mit Clement an der Spitze gegenüber.
Abwendung von der „Sven-Clement-Partei“
Mit der angekündigten Statutenänderung versprechen sich die Piraten eine Abwendung von ihrem Image als „Sven-Clement-Partei“. Die Parteileitung soll künftig flacher organisiert und mehr Mitglieder eingebunden werden. Schluss mit der Ein-Mann-Partei also? Die Piraten würden über viele potenzielle Kandidaten verfügen, denen mit der Statutenänderung mehr Verantwortung übertragen und mehr Sichtbarkeit gewährt werden soll.
Obwohl Clement derzeit keine führende Position in den Parteigremien besäße, so habe er dennoch immer einen merkbaren Einfluss auf Entscheidungen gehabt, sagt Goergen. Wahlkämpfe seien beispielsweise allein auf Clements Strategie ausgerichtet gewesen. Dies sei zwar für einen Spitzenkandidaten gerechtfertigt, meint der Politiker – aber dennoch bleibe die Frage, wie viel Raum man anderen Kandidaten aus der Partei zugestehen will.
Clement habe durchaus seine Verdienste, die Goergen nicht abstreiten wolle, doch derzeit würden die Probleme einer „Ein-Mann-Partei“ mehr als deutlich. Wenn diese Person einen Fehler begeht, leide gleich die ganze Partei darunter.
Kein Raum für Persönliches?
Eine Auflösung der Piraten stehe laut Sven Clement derzeit nicht im Raum, sagt der Politiker im Gespräch mit 100,7. Es gebe noch genügend Menschen, die an das „Projekt“ glauben würden. Außerdem habe das ihm und Goergen anvertraute politische Mandat Vorrang gegenüber Persönlichem. „Ich arbeite mit den 59 Abgeordneten, die neben mir in der Chamber sind und dieses Mandat von den Wählern erhalten haben, zusammen im Interesse wofür ich gewählt wurde, sagt Clement. Wie seine Zusammenarbeit in der Chamber mit Goergen in Zukunft aussehen soll, lässt er jedoch im Unklaren.
Dass die Beziehung zwischen Goergen und Clement weiterhin schwierig ist, ließ vergangene Woche ein Ultimatum des Remicher Gemeinderats Daniel Frères bei RTL vermuten. Frères kündigte an, dass er ebenfalls die Partei verlassen wolle, sollten Clement und Goergen es nicht schaffen, ihre „Differenzen“ vor dem Parteikongress im Herbst beizulegen. Clement lobt gegenüber 100,7 Frères´ bisheriges Engagement als Vermittler und sein Bestreben, der Piratenpartei zu einem Neuanfang zu verhelfen. Er bedauert aber auch: „Ob man das mit einem Ultimatum verbinden muss, das wäre jetzt nicht mein Stil gewesen“.
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