Zur Debatte „Sträit, Roserei, Polemik: Wou bleift d’Literatur?“ / Elise Schmit und Guy Rewenig im Gespräch
Sie lösen mit ihren kritischen Medienbeiträgen „shitstorms“ aus: Die Autor*innen Elise Schmit und Guy Rewenig diskutieren am Donnerstag mit Henning Marmulla über „Sträit, Roserei, Polemik: Wou bleift d’Literatur?“ im „Centre national de littérature“ in Mersch. Ein Doppelinterview zur Einstimmung.
Tageblatt: Elise Schmit, Guy Rewenig, dass Schriftsteller*innen sich öffentlich politisch äußern, hat weltweit eine lange Tradition, welche Sie mit Ihren öffentlichen Beiträgen fortsetzen. Was sagt das über Ihr Selbstverständnis als Autor*in aus?
Guy Rewenig: Autor*innen haben eine Art Platzvorteil in der öffentlichen Debatte, weil sie ein ausgeprägtes, wahrscheinlich auch sorgfältigeres Verhältnis zur Sprache aufbieten können. Als Schriftsteller arbeite ich mit Sprache, ich kann vieles „zur Sprache bringen“ und möchte das nicht auf meine Bücher begrenzen. Für mich ist die öffentliche politische Äußerung ein integraler Bestandteil meiner Schreibarbeit.
Elise Schmit: Meine Meinungsbeiträge haben vor allem mit meinem Selbstverständnis als Bürgerin zu tun. Ästhetische Kriterien sind dabei nicht immer, aber oft zweitrangig. Die Leute sollen nicht sagen: Die Position kann ich nicht nachvollziehen, aber sie ist schön formuliert.
Inwiefern deckt sich das mit dem Platz im öffentlichen Diskurs, den die Zivilgesellschaft, die Politik und nicht zuletzt die Medien den Schriftsteller*innen hierzulande zuschreiben?
G.R.: Wenn bestimmte Zeitungen – in meinem Fall zurzeit das Tageblatt und das Lëtzebuerger Land – meine Beiträge veröffentlichen, bin ich als Autor gut bedient. Vor allem dann, wenn die jeweiligen Redaktionen mir eine uneingeschränkte Freiheit gewähren.
War das immer so, Herr Rewenig?
G.R.: Ironischerweise wurde ich früher ausgerechnet im Tageblatt mehrfach zensiert. Ich könnte fast ein ganzes Buch mit Texten füllen, die im Lauf der Zeit der Zensur zum Opfer gefallen sind. Diese autoritäre Praxis, die über Jahrzehnte vom Luxemburger Wort vorexerziert wurde, ist heute zum Glück überwunden. Meine Standpunkte sind unabhängig. Ich denke, genau das macht sie attraktiv. Ich bin auch kein Heilsbringer oder Missionar, sondern ein politisch interessierter Bürger, der unbeeinflusst seinen eigenen Blickwinkel einbringt.
Wie bewerten Sie die Reichweite von Autor*innen, Frau Schmit?
E.S.: Es gibt Ausnahmen wie Guy Rewenig, der sich seit dem Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit immer wieder öffentlich zu politischen und gesellschaftlichen Themen geäußert hat – und zwar mit einer bemerkenswerten Treffsicherheit. Generell glaube ich aber nicht, dass das politische Urteilsvermögen von Schriftsteller*innen besser entwickelt ist als das anderer Bürger*innen. Insofern finde ich es folgerichtig, dass mein Wort nicht mehr Gewicht hat als das anderer Menschen, die sich in Debatten einbringen. Ich frage mich jedoch, was in Luxemburg ein „öffentlicher Diskurs“ sein soll: Meinungsverschiedenheiten versanden hier meistens schnell in persönlichen Angriffen.
Haben sich die Umstände im Laufe Ihrer Karriere verändert?
E.S.: Die sozialen Medien nehmen mittlerweile mehr Raum in der öffentlichen Wahrnehmung ein als die klassischen Medien. Das ist problematisch, weil Facebook, TikTok usw. Öffentlichkeit nur simulieren. Man läuft dort nicht Gefahr, sich mit Ideen auseinandersetzen zu müssen, auf die man selbst nicht gekommen wäre.
Welche Folgen haben Ihre öffentlichen Stellungnahmen auf Ihr Privat- sowie auf Ihr Berufsleben/Ihr literarisches Schaffen?
G.R.: Ich ernte Zustimmung und Ablehnung. Diese Spannweite stört mich nicht, sie gehört zur Streitkultur. Allerdings sind die Reaktionen in den sozialen Netzwerken – die für mich eher asoziale Hetzwerke sind – oft unterirdisch, nicht nur in sprachlicher Hinsicht. Da wird einfach irgendein hasserfüllter Stuß rausgehauen, der darauf abzielt, den Autor fertigzumachen. Auf dieses primitive Spielchen lasse ich mich nicht ein. Mittlerweile sehe ich meine Stellungnahmen als eine Art Gegengewicht zu diesem ganzen TikTok-Facebook-X-Geschwurbel, das komplexe Zusammenhänge ignoriert und durch maßloses Rumschreien und Pöbeln ersetzt.
Und welche Folgen hat das für Sie, Frau Schmit?
E.S.: Keine. Ich stelle mich dabei nicht als Privatperson oder als Schriftstellerin zur Disposition.
Welche Rückmeldungen erhalten Sie beide denn auf Ihre Beiträge, auch vonseiten der Politik?
G.R.: Aus der Politik kommen gelegentlich erfreulich nüancierte Wortmeldungen. Für mich bedeutet dies, dass tatsächlich ein Bedarf nach Meinungen besteht, die nicht ferngesteuert sind oder nur dem eigenen politischen Horizont entsprechen.
E.S.: Wenn mich jemand nach einem Beitrag direkt anspricht, ist die Rückmeldung in der Regel positiv. Mir hat nur einmal ein Politiker ein Gespräch angeboten; allerdings kannte ich ihn privat. Das anonyme Geplänkel in Internetforen interessiert mich nicht, oder höchstens als Material.
Fühlen Sie sich in Luxemburg, vor allem im Vergleich zu Schriftsteller*innen im Ausland, sicher?
G.R.: Wir wären sicher schlecht beraten, als luxemburgische Autor*innen eine Opferrolle zu beanspruchen. Denn wir haben nach wie vor die Möglichkeit, uns mit sprachlichen Mitteln Gehör zu verschaffen. Daher sollten wir lieber zweimal überlegen, bevor wir Gespenster an die Wand malen, die nicht existieren. Wer hierzulande eine generelle Unfreiheit beklagt, würdigt unter dem Strich Menschen herab, die leibhaftig in unfreien Staaten leben müssen.
E.S.: Das Problem in Luxemburg ist nicht, dass man sich in Gefahr begibt, wenn man seine Meinung sagt, sondern dass man nicht weiß, wo und in welcher Sprache eine öffentliche Debatte geführt werden könnte. Wenn ich sage ‚Ich verfasse öffentliche Meinungsbeiträge‘, dann weiß ich, dass ich leider vor allem Menschen mit luxemburgischem Pass erreiche, die auch Luxemburgisch sprechen.
Was halten Sie von kollektiven politischen Positionierungen und Aufrufen von Autor*innen, etwa gegen Rechtsextremismus oder Waffenlieferungen in Kriegsgebiete?
G.R.: Der einzige Verein, in dem ich Mitglied bin, nämlich der deutsche PEN-Club, macht vergleichbare Aufrufe und Resolutionen zu seiner Kernkompetenz. Neulich wurde auf der PEN-Jahrestagung ein Unvereinbarkeitsbeschluss verabschiedet, der es AfD-Mitgliedern untersagt, zugleich der Schriftstellervereinigung anzugehören. Der PEN-Club betreut mit bewundernswertem Einsatz geflüchtete Schriftsteller*innen, die in ihren Herkunftsländern einer brutalen Verfolgung ausgesetzt sind. In diesem politisch sehr bewussten und aktiven Umfeld fühle ich mich gut aufgehoben.
E.S.: Aktionen sind nicht mein Betriebsmodus. Wenn sich Künstler*innen als Kollektiv öffentlich positionieren wollen, sollen sie das natürlich tun, so wie jeder und jede andere auch. Wichtig ist, dass es nicht bei symbolischen Handlungen bleibt, sondern man sich ernsthaft mit der politischen Arbeit der Regierung und der Abgeordneten auseinandersetzt.
Die Aktion „Kënschtler géint d’ADR“ haben Sie beide nicht unterzeichnet – warum haben Sie, Herr Rewenig, sich nicht beteiligt?
G.R.: Die Aktion „Kënschtler géint d’ADR“ – die ich begrüße – habe ich nicht unterzeichnet, weil ich davon gar nichts wusste und auch nicht zwecks Unterschrift kontaktiert wurde.
Welche politischen, beziehungsweise zivilgesellschaftlichen Entwicklungen in Luxemburg beschäftigen Sie derzeit am meisten?
E.S.: Luxemburg hat ein krasses Demokratiedefizit, weil ungefähr die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung keinen luxemburgischen Pass besitzt und deswegen bei den Landeswahlen außen vor bleibt. Dass sich in der Politik niemand ernsthaft mit diesem Thema befasst, treibt mich um. Ich beobachte auch mit Sorge, dass sich die ADR mehr und mehr aus einem gemeinschaftsfähigen Diskurs verabschiedet und Teile ihrer Wählerschaft mit sich zieht. Da wird zum Teil schlichtweg gelogen und verleugnet, was die eigentlichen Positionen sind. Alles, was man über die ADR wissen muss, findet man in ihren parlamentarischen Anfragen und ihren Sitzungsbeiträgen. Das Geschwafel auf Facebook: geschenkt.
G.R.: Genau wie Elise Schmit beschäftige ich mich im Augenblick vor allem mit dem Phänomen des unheimlich schnell expandierenden Rechtsextremismus. Diese breitenwirksame Verabschiedung von der Demokratie hat Auswirkungen auf alle Politikbereiche und engt den Spielraum der Zivilgesellschaft immer stärker ein. Die seltsame Sehnsucht nach autoritären Führer*innen, die angeblich mit ein paar Zauberformeln alles wieder ins Lot bringen, erschüttert die Grundfesten des demokratischen Zusammenlebens. Auch Luxemburg ist nicht gefeit gegen die populistische Versuchung. Der derzeitige Premier Frieden ist sich nicht zu schade, Öl ins Feuer zu gießen. Wohin seine Reise geht, beweist er mit seinem widersinnigen und völlig kontraproduktiven Besuch beim ungarischen Autokraten Orban. Er blamiert Luxemburg, indem er sich über den EU-Konsens, Orban wegen seiner unmenschlichen Politik zu sanktionieren, hinwegsetzt und Respekt für den Despoten verlangt. Er bietet ihm sogar die „Zusammenarbeit“ an.
Was würden Sie Nachwuchsautor*innen, aber auch langjährigen Kolleg*innen, die sich in Zukunft öffentlich zu politischen und sozialen Themen äußern möchten, mit auf den Weg geben?
G.R.: Jede neue Generation muss selbst ihre Ausdrucks- und Gestaltungsformen entwickeln. Es gibt allerdings eine Konstante, die nach wie vor gilt: der notwendige Einsatz zur Erhaltung der Demokratie. Hier ist dringender denn je Handlungsbedarf angesagt. Demokratie ist kein auf ewig gesicherter Dauerzustand, sie wird jeden Tag aufs Neue „gemacht“. Daran sollten sich (auch) alle Schreibenden, ob jung oder alt, nach Kräften beteiligen.
Und Sie, Frau Schmit?
E.S.: Warum erst in Zukunft?
„Sträit, Roserei, Polemik: Wou bleift d’Literatur?“
Am Donnerstag, dem 26. September, um 19.30 Uhr im „Centre national de littérature“ (2, rue Emmanuel Servais, L-7565 Mersch), mit Elise Schmit, Guy Rewenig und Henning Marmulla
- „Die Chemie stimmt“: Nationale-2-Leader Racing vor dem Pokalduell gegen die Amicale Steinsel - 3. Dezember 2024.
- Was im Fall eines Regierungssturzes passiert - 3. Dezember 2024.
- Nach ruhigem Inversionswetter: Zweite Wochenhälfte wird turbulenter - 3. Dezember 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos