1. Jahr „Lëtzebuerger Konschtlexikon“ / „Kultur war für Luxemburg nie identitätsstiftend“
Das „Lëtzebuerger Konschtlexikon“ feiert am Sonntag einjähriges Bestehen. Warum braucht es die Datenbank? Und wie haben die Presse und Frauen die nationale Kunstgeschichte geprägt? Das beantworten Jamie Armstrong, Leiterin des „Konschtarchiv“, und Gosia Nowara, Mitarbeiterin des „Lëtzebuerger Konschtlexikon“, im Gespräch mit dem Tageblatt.
Tageblatt: Jamie Armstrong, Gosia Nowara, was macht das „Lëtzebuerger Konschtlexikon“ so besonders?
Gosia Nowara: Die luxemburgische Kunstgeschichte wurde bisher unzureichend aufgearbeitet, denn es fehlte an Ressourcen. Ich erinnere mich in dem Kontext an eine Begegnung mit Robert Brandy, der meinte ‚Als ein Sammler aus Alaska eins meiner Bilder kaufte, fand er nirgends Informationen zu meiner Person‘ – mithilfe des ‚Konschtlexikon‘ hätte er heute in fünf Sekunden alles Wissenswerte über den Künstler beisammen. Das „Konschtlexikon“ ist dahingehend eine Revolution: Es reicht jetzt schon bis ins 17. Jahrhundert zurück und weist die unzähligen Verbindungen zwischen den einzelnen Kunstschaffenden auf. Das erlaubt einen neuen Blick auf die nationale Kunstgeschichte.
Warum bestand lange kein Interesse an der Aufarbeitung?
Jamie Armstrong: Im Gegensatz zu unseren Nachbarländern war Kultur für Luxemburg nie identitätsstiftend. Das Großherzogtum ist ein kleines Land; es war ein Bauernstaat. Die wenigen Menschen, die sich die Auseinandersetzung mit Kunst leisten konnten, sind dafür in die benachbarten Großstädte gereist. Die Immigrationsbewegungen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass das Interesse an lokalen Kulturangeboten wuchs.
Wie gehen Sie beim Verfassen der Künstler*innenbiografien vor?
G.N.: Die Biografien der noch lebenden Künstler*innen basieren u.a. auf Textquellen und Gesprächen. Die Betroffenen lesen die Einträge gegen. Wer also nach Informationen zu Tina Gillen oder Berthe Lutgen sucht – um nur zwei Beispiele zu nennen –, kann sicher sein, dass der Beitrag von ihnen validiert wurde. Wie wichtig der Austausch mit lebenden Künstler*innen ist, zeigen zwei tragische Fälle: Marc Henri Reckinger, diesjähriger Träger des „Konschtpräis“, ist einen Tag nach der Korrektur seiner Biografie verstorben. Misch Da Leiden ist ebenfalls kurz nach unserem Gespräch von uns gegangen. Es ist wichtig, möglichst viele Informationen von lebenden Künstlern zu sammeln.
Wie behandeln Sie historische Figuren?
G.N.: Wir recherchieren nach wissenschaftlichen Standards. Wir prüfen unsere Quellen sorgfältig; geben sie an und vermerken, wie zuverlässig sie sind. Finden wir eine bessere Quelle, passen wir das an. Nicht immer können wir die Vollständigkeit der Informationen garantieren, vor allem in Bezug auf die Laufzeiten von Ausstellungen. Manchmal gibt es nur Hinweise auf die Vernissage. Bei unserer Recherche bedienen wir uns aller möglichen Archivmaterialien, u.a. auch der Presse.
J.A.: Oft sind Presseartikel sogar der einzige Anhaltspunkt, den wir haben. In dem Kontext möchten wir Lambert Herr einen Dank aussprechen. Er hat vierzig Jahre lang und bis zu den frühen 2000er Jahren jeden Zeitungsartikel über luxemburgische Kunstschaffende gesammelt, den er fand. Er hat sie chronologisch und alphabetisch geordnet und in 336 Volumen gesammelt. Das MNAHA hat das Archiv 2019 erworben. Seit den frühen 2000er hat sich das kulturelle Angebot vervielfacht, dementsprechend nimmt auch die Berichterstattung zu. Auch die von der Nationalbibliothek digitalisierten Zeitungen auf eluxemburgensia.lu sind sehr hilfreich bei der Recherche.
Hat sich Kulturjournalismus über die Jahrzehnte verändert?
J.A.: Früher dokumentierte die hiesige Presse vorwiegend die kulturellen Events, ohne sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Heute ist das zum Teil immer noch so, doch wird die Kulturkritik in verschiedenen Formaten präsenter. Auch wenn es nach wie vor wenige etablierte Kunstkritiker*innen in Luxemburg gibt, ist eine Weiterentwicklung spürbar. Im Jahr 2024 haben wir beispielsweise (Stand: 18. September) insgesamt 794 Zeitungsartikel und audiovisuelle Medienerzeugnisse zu luxemburgischen Künstler*innen in den nationalen Medien verzeichnet – recht viel!
G.N.: Auch beschäftigen sich mehr Medienschaffende mit Fragen, die Künstler*innen umtreiben, etwa die Autor*innenrechte. Mir fällt dazu das Plagiat von Jeff Dieschburg (der Maler wurde angeklagt, weil er eine Fotografie von Jingna Zhang unerlaubt und ohne Quellenangabe kopiert hatte und damit bei der Kunstbiennale in Strassen Preisgeld gewann, d.R.) ein: Es wurde über den Prozess berichtet.
Zwar bemühen wir uns, den Kanon um marginalisierte Personengruppen zu ergänzen, doch ohne Quellen ist das eine HerausforderungLeiterin „Konschtarchiv“
Stichwort Zhang: Wie präsent sind Frauen in der luxemburgischen Kunstgeschichte?
J.A.: Momentan ist die erste luxemburgische Künstlerin, auf die wir gestoßen sind, Marianne Henké (1771). Wir wurden auf sie aufmerksam, weil das MNAHA ein Werk von ihr besitzt. Leider wissen wir wenig über sie, was auf viele Künstlerinnen zutrifft. Oft gibt es weder Archivmaterial noch Dokumente über sie. Zwar bemühen wir uns, den Kanon um marginalisierte Personengruppen zu ergänzen, doch ohne Quellen ist das eine Herausforderung.
G.N.: Dabei sind ihre Geschichten berührend, wie die von Charlotte Engels. Sie war Angestellte in einer Firma und entdeckte ihr Talent als Künstlerin zufällig. Aus Wut auf ihren Chef formte sie diesen aus Knete nach – und fand großen Gefallen daran. Ihr fehlte das Geld, doch sie kam nicht umhin, ihrer Leidenschaft nachzugehen und als Künstlerin zu arbeiten. Sie lebte in armen Verhältnissen, hatte aber Erfolg als Künstlerin in Paris. So wie Engels erging es wohl den meisten Frauen: Sie durften über Jahrhunderte hinweg keine Kunst studieren und selbst wenn, fehlten ihnen die Mittel dazu. Sie mussten andere Wege finden, um ihre Kunst auszuleben. Anders als die Großherzogin und Künstlerin Adelheid-Marie, die sich Privatunterricht leisten konnte, die aber dann Kunst gefördert hat mit dem Prix Grand-Duc Adolphe. Die Rolle der Frauen in der Kunstgeschichte wird heute in interessanten Ausstellungen auf der ganzen Welt hervorgehoben.
J.A.: Wer sich für Künstlerinnen und Bildung interessiert: Wir führen zurzeit ein Rechercheprojekt zum Thema durch.
Haben Sie in dem Bezug einen „Coup de cœur“?
J.A.: Ja, die Biografie von Berthe Brincour!
Weshalb, das dürfen unsere Leser*innen selbst im Lexikon erkunden – verraten Sie uns zum Abschluss noch: Wie kommt „Konschtlexikon“ bisher an?
J.A.: Besonders der Kunstsektor ist erfreut über unsere Arbeit. Wir erhalten zudem viele positive Rückmeldungen dafür, dass wir uns um ein Gender-Gleichgeweicht bemühen! Interessant ist auch: 55 Prozent der Website-Besucher*innen kommen aus dem Inland, 45 Prozent aus dem Ausland – das zeigt, dass die Luxemburger Kunstgeschichte weltweit Interesse weckt.
3 Zahlen: Was bisher geschah
„Lëtzebuerger Konschtlexikon“
Das „Lëtzebuerger Konschtlexikon“ ist eine zweisprachige (EN/FR) Datenbank über bildende Kunst in Luxemburg, die seit September 2023 besteht. Sie enthält Informationen zu verschiedenen Akteur*innen des Sektors und verknüpft diese u.a. mit Kunstinstitutionen, Preisen und Ausstellungen. Die Einträge werden regelmäßig aktualisiert und stützen sich auf akademische sowie andere Quellen. Die aktive Beteiligung der Nutzer*innen wird begrüßt. Hinter dem „Konschtlexikon“ steckt das „Lëtzebuerger Konschtarchiv“ – ein 2021 gegründetes Forschungszentrum für visuelle Künste des Luxemburger „Nationalmuseum für Archäologie, Geschichte und Kunst“ (MNAHA). Wer das „Konschtlexikon“ entdecken oder sich beteiligen will: konschtlexikon.lu.
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