Migration / Die Vielfalt der Migration und die Folgen der „neuen Härte“
Eine Konferenz in Düdelingen hat kürzlich die verschiedenen Formen der Integration von Migranten in eine Gesellschaft aufgezeigt. Derweil herrscht in der europäischen Asylpolitik zunehmend eine Tendenz der Abschottung vor.
Migration bedeutet Aufbruch und Ankunft – oder Zuflucht. Dazwischen liegen oft beschwerliche und nicht selten lebensgefährliche Reisen. Einwanderung führt in der Regel zu mehr Heterogenität in der Ankunftsgesellschaft und stellt eine kulturelle Bereicherung dar. So entwickelte sich etwa Luxemburg, das seit mehr als einem Jahrhundert von Immigration geprägt ist, im 20. Jahrhundert von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland.
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich Historiker, Publizisten und Künstler hierzulande verstärkt mit der Migration auseinandergesetzt. Deren unterschiedlichen Aspekte zeigt das in Düdelingen beheimatete „Centre de documentation sur les migrations humaines“ (CDMH) seit langem mit seinen Ausstellungen und Vorträgen. Kürzlich war das Zentrum Gastgeber der 34. Konferenz der Association of European Migration Institutions (AEMI), deren Mitglied das CDMH ist. Mitorganisiert wurde die Veranstaltung von der Stadt Düdelingen und dem Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) der Universität Luxemburg.
Die Gründe auszuwandern sind vielfältig. In den meisten Fällen handelt es sich hierzulande um Arbeitsmigration. In den vergangenen 30 Jahren ist verstärkt die Flucht vor Krieg und Verfolgung hinzugekommen. Bei der Integration der Immigranten in die Gesellschaft „jenseits der Arbeit“ spielen Kultur und Sport eine große Rolle für die Einwanderergemeinschaften. So widmeten sich ein paar Dutzend Experten von Instituten und Museen aus unterschiedlichen Ländern diesmal dem Themenkomplex „Beyond work: sports, culture and arts within diverse societies in Europe across time“.
So hob etwa der Historiker Denis Scuto die Bedeutung dieser verschiedenen Formen der Integration hervor. Als Kind italienischer Einwanderer und ehemaliger Fußballspieler der Jeunesse Esch und luxemburgischen Nationalmannschaft erlebte der stellvertretende C2DH-Direktor dies selbst.
Integration durch Sport
Ein anderes Beispiel lieferte Liam Campbell vom Mellon Centre for Migration Studies in Nordirland, der die Geschichte des schottischen Fußballvereins Celtic Glasgow umriss. Der Klub war im 19. Jahrhundert von irischen Einwanderern gegründet worden – wie es die Irish Times beschrieb: „Without immigration there would be no Glasgow Celtic.“
Derweil befasste sich die Kuratorin Giorgia Barzetti vom MEI Nationalen Museum für italienische Emigration in Genua mit der Auswanderung nach Südamerika und nannte als Beispiel den Club Átletico San Lorenzo de Almagro, einen von vielen auf italienische Einwanderer zurückgehenden Fußballklubs in Südamerika. Dass der Sport den interkulturellen Dialog fördert, weiß Maria Beatriz Rocha-Trindade zu gut. Die 86-jährige Professorin von der Lissabonner Universidade Aberta hat ihr Leben den Studien zur Migration verschrieben. Sie sieht den Sport gar als „Motor der menschlichen Mobilität“.
Über das kulturelle Erbe und die Integration klärten Veronique Faber am Beispiel der Luxemburger Einwanderer in den USA und Laura Steil anhand der Tradition des Musizierens im Minett auf, während Kateryna Zakharchuk (alle C2DH) über das Engagement der vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohenen Ukrainer referierte. Die Themenliste der Konferenz reichte vom ersten jüdischen Sportklub in Luxemburg, SC Maccabi Lëtzebuerg, bis zum Projekt der Associazione Culturale Pensiere in Turin, bei dem junge Flüchtlinge Gelegenheit hatten, ihre neue Umgebung zu fotografieren. Thematisiert wurde darüber hinaus unter anderem die Fluchtgeschichte Dora Diamants, Franz Kafkas letzter Liebe, von Polen über die Sowjetunion nach Großbritannien.
Obwohl die Migration eine kulturelle wie auch ökonomische Bereicherung eines Landes und seiner Gesellschaft darstellt, wird sie heute vor allem als Problem betrachtet. Zwar handelt es sich bei Veranstaltungen wie der AEMI-Konferenz im Rathaus von Düdelingen, wo ein Spaziergang durch das einstige italienische Einwandererviertel einen Eindruck über die Geschichte der Immigration hierzulande verschafft, „nur“ um ein Expertentreffen.
„Die neue Härte“
Gerade in Zeiten eines verstärkt an nationalstaatlichen Egoismen orientierten Denkens und in vielen Ländern zu beobachtenden Rechtstrends sowie einer Politik der zunehmenden Abschottung müssen solche Kontrapunkte gesetzt werden. Sie sollten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. In den letzten Jahren sind mehrere bedeutende Publikationen zu dem Thema erschienen, etwa „Flucht – Eine Menschheitsgeschichte“ von Andreas Kossert (2021) oder „Move: Das Zeitalter der Migration“ (2021) von Parag Khanna. Sie sind dringender nötig als je zuvor.
Der aktuelle Trend zur Abschottung zeigt sich am Beispiel der Einführung von Personenkontrollen an den deutschen Grenzen. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel sprach von einer „neuen Härte“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bereits im vergangenen Jahr im Spiegel-Interview gesagt: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ CDU-Chef Friedrich Merz ging dieses Jahr noch weiter, als er forderte, an den deutschen Grenzen pauschal Asylsuchende abzuweisen. Und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stellte sogar das individuelle Recht auf Asyl infrage. Luxemburgs früherer Außenminister Jean Asselborn (LSAP) betrachtet die aktuelle Tendenz mit Sorge: „Man darf jetzt nicht die ganze Flüchtlingspolitik infrage stellen“, sagte er kürzlich in einem Revue-Interview. „Schließlich steht sie für Humanismus in Europa.“
Im Mai beschloss die Europäische Union nach einem knappen Jahrzehnt zäher Verhandlungen einen Asyl- und Migrationspakt, der auf einem System der Solidarität unter den Mitgliedstaaten basiert, vor allem aber die Asylverfahren in der EU verschärfen und Grenzen dichter machen soll. Die Prozeduren sollen beschleunigt, aber auch an die Außengrenzen verlagert werden. Die härtere Gangart in der Migrationspolitik hat auch vor Luxemburg nicht haltgemacht. Der hierzulande für Immigration zuständige Innenminister Léon Gloden spricht von einer „verantwortungsvollen Migrationspolitik“ und einem „guten Kompromiss, bei dem der Solidaritätsgedanke unter den Ländern eine Rolle spielt“, so der CSV-Politiker im März im Tageblatt-Interview.
Was seitdem tagtäglich an den Grenzen unseres Kontinents passiert, bleibt nicht folgenlos für die Gesellschaften innerhalb dieser GrenzenMigrationsforscherin
Obwohl dies nicht zuletzt eine Verschärfung der Asylpolitik bedeutet, geht es Ländern wie Ungarn oder auch der Niederlande noch nicht weit genug. Dass weitere Länder ausscheren, befürchtet die Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Universität Wien. Sie spricht von einem „Wettbewerb nach unten auf europäischer Ebene, der tragbare und nachhaltige Lösungen verunmögliche“. Solche Signale seien fatal. Sie zeigten, dass ein Interesse an gemeinsamen Lösungen gar nicht bestehe, vor allem was die Verteilung der Belastung auf die einzelnen Länder innerhalb der Union betreffe.
Gegenentwurf
Kohlenbergers Buch „Gegen die neue Härte“ beginnt mit der sogenannten Flüchtlingskrise in Europa in den Jahren 2015/16 – mit der Fluchtbewegung von Millionen Menschen, die meisten von ihnen aus Syrien, Afghanistan und Irak. Dem „langen Sommer der Migration“ folgte bald darauf eine „refugee fatigue“. Kohlenberger spricht von einem Versagen angesichts der „Politik der Abwehr und Abschottung sowie der Militarisierung von Europas Grenzen“. Nach der anfänglich viel zitierten „Willkommenskultur“ hat sich die Stimmung gedreht und ein Gefühl des Kontrollverlusts hat um sich gegriffen. „Vor allem aber haben wir versagt angesichts der neuen Härte, die immer tiefer in unsere Gesellschaft dringt und mittlerweile vielerorts als ‚alternativlos‘ gilt“, schreibt die Autorin weiter. Diese Erkenntnis ist zwar nicht wirklich neu. Kohlenberger weist jedoch darüber hinaus auf die Auswirkungen der politischen Richtungsänderung auf die europäischen Gesellschaften im Innern hin: „Was seitdem tagtäglich an den Grenzen unseres Kontinents passiert, bleibt nicht folgenlos für die Gesellschaften innerhalb dieser Grenzen: Der politische Diskurs heizt sich immer weiter auf, gesellschaftliche Gräben werden tiefer, rechtspopulistische Kräfte erstarken, die bürgerlichen Institutionen verrohen und universale Rechte werden relativiert.“
Die Autorin bietet einen möglichen Gegenentwurf: „Nein, nicht Weichheit und Weichmacherei und auch nicht grenzenlose Gesellschaft, sondern materielle wie symbolische Zugewandtheit“. Grenzen sollten nicht abgeschafft werden, aber zum Anderen hin durchlässiger gestaltet werden. Der Härte soll die „Kraft der Offenheit“ entgegengesetzt werden. Schließlich sei Nähe eine Grundvoraussetzung, um – nach Immanuel Kants Worten – „an der Stelle jedes anderen zu denken“.
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