Monarchie / Erbgroßherzog Guillaume wird Statthalter seines Vaters
Ob „sanfte Machtübertragung“ oder ein Anachronismus – sicher ist, dass die „Lieutenance“ aus dem 19. Jahrhundert stammt und heute kaum noch einen Sinn hat. Doch die Monarchie ist wieder im Gespräch.
Am Abend des 2. März 1998 hatte Großherzog Jean Premierminister Jean-Claude Juncker ins Großherzogliche Palais einbestellt, wo er ihm einen folgenschweren Beschluss mitteilte. Er werde Erbgroßherzog Henri die in Artikel 42 der Verfassung verankerte Funktion des „Lieutenant du Grand-Duc“ übertragen. Das Staatsoberhaupt berief sich dabei auf das Beispiel seiner Mutter, die ihn 1961 mit den gleichen Aufgaben betraut hatte. Juncker teilte den Beschluss der Abgeordnetenkammer mit.
Großherzog Jean richtete sich noch am Abend in einer Fernseh- und Radioansprache an die Bevölkerung. Die Vereidigung ging schließlich am 4. März 1998 im Palais vonstatten, wie es die Revue damals schilderte. „Es wäre falsch, im Rahmen der Ernennung von Prinz Henri zum Statthalter von einer Modernisierung der Monarchie zu reden“, schrieb das Magazin. „Die Luxemburger Monarchie hat nämlich diesen Zug in den letzten Jahrzehnten nicht verpasst. Schritt für Schritt, ohne viel Aufhebens, ohne Drama und ohne spürbare Umwälzungen hat sie sich der heutigen Zeit angepasst, ohne jedoch dem Zeitgeist zu verfallen. Großherzog Jean und Großherzogin Joséphine-Charlotte gaben und geben seit Anfang der 60er Jahre das Bild eines exemplarischen Herrscherpaares ab.“
Dass das künftige Staatsoberhaupt dem Zeitgeist verfällt, ist auch heute nicht zu wünschen, denn dieser Zeitgeist trägt auf politischer Ebene in Europa leider wieder zunehmend autoritäre Züge. Doch diesem Trend hat die Verfassung hierzulande glücklicherweise schon per Verfassung einen Riegel vorgeschoben. 2008/09 war es zu einer institutionellen Staatskrise gekommen, als Großherzog Henri aus Gewissengründen ankündigte, seine Unterschrift unter das geplante und kurz vor der zweiten Abstimmung stehende Sterbehilfe-Gesetz zu verweigern. Damals war die Unterzeichnung durch den Monarchen noch eine verfassungsmäßig notwendige Voraussetzung für ein Gesetz, damit es Gültigkeit erlangte. Und es war seit 1912 das erste Mal, dass ein Großherzog seine Unterschrift verweigerte. Die Regierung und alle Fraktionen des Parlaments verständigten sich daraufhin auf eine Verfassungsänderung, die das Staatsoberhaupt formal teilweise entmachtete. Fortan beschränkte sich seine Aufgabe darauf, Gesetze nur noch zu „verkünden“ und nicht mehr zu „bestätigen“. Demnach entfiel ein Vetorecht. Das Parlament stimmte mit 56 Ja-Stimmen für die Verfassungsänderung, ein Volksbegehren gegen sie scheiterte. Sie wurde somit am 12. März 2009 einstimmig verabschiedet. Von der „Herrschaft“ eines Monarchen konnte spätestens zu diesem Zeitpunkt keine Rede mehr sein.
Seit der heutige Großherzog Henri am 4. März 1998 im Alter von 42 Jahren Statthalter seines Vaters wurde, hat sich noch einiges mehr verändert: Mit der am 1. Juli 2023 in Kraft getretenen Verfassungsrevision übernimmt sein Sohn und Thronfolger Prinz Guillaume seine Lieutenance nicht im Palais, sondern nach Artikel 58 in der Abgeordnetenkammer. Damit sind, wie es in der aktuellen Ausgabe der Revue heißt, für den Erbgroßherzog, der am 11. November 43 Jahre alt wird, „die Weichen in Richtung Thronwechsel gestellt“.
Neue Prinzenrolle
Auf der Internetseite des Hofes wird die „Lieutenance“ wie folgt beschrieben: „Der Großherzog kann sich durch einen blutsverwandten Prinzen oder eine Prinzessin vertreten lassen, der/die den Titel eines Lieutenant-Représentant trägt und im Großherzogtum wohnen muss. Der Lieutenant-Représentant leistet einen Eid auf die Einhaltung der Verfassung, bevor er seine Befugnisse ausüben darf (Artikel 42). Der Großherzog delegiert also seine Befugnisse. Diese Stellvertretung kann entweder vorübergehend oder dauerhaft sein. Es steht dem Großherzog frei, das Mandat mit Einschränkungen zu versehen, wenn er das für notwendig hält. Die Befugnisse des Lieutenant werden durch dieses Mandat begrenzt, und die Bestimmungen, die er kraft seines Auftrags trifft, haben die gleiche Wirkung, als ob sie vom Großherzog selbst ausgingen.“
Mittlerweile muss der Statthalter laut Verfassung nicht mehr in Luxemburg leben, aber ein direkter Nachfolger des Großherzogs sein – nur, im Gegensatz zum Thronfolger, nicht unbedingt der Erstgeborene. Dem Stellvertreter steht, ebenso wie dem Großherzog, eine „dotation“ zu, wie das Tageblatt bereits im Juni berichtete. Bei Ersterem beläuft sie sich auf 543.800 Euro im Jahr, beim Erbgroßherzog, dem ehemaligen Staatschef sowie dem Lieutenant-Représentant beträgt sie jährlich 226.609 Euro. Bei doppelter Funktion gibt es jedoch keine doppelte Zuwendung.
In der Geschichte des Großherzogtums wird die Lieutenance von Guillaume die sechste sein: Zuvor war es Prinz Hendrik der Niederlande, der 1850 von seinem Bruder, König Großherzog Willem III. zum Lieutenant ernannt und vereidigt wurde. Er hatte den Titel bis zu seinem Tod im Jahr 1879 inne. Der zweite Statthalter war Prinz Guillaume von Nassau, von der Vereidigung 1902 bis zu seiner Thronbesteigung 1905 als Großherzog Guillaume IV.; die dritte Lieutenance hatte eine Frau inne, als Großherzog Guillaume IV. 1908 aus gesundheitlichen Gründen seine Gattin, Großherzogin Marie Anne zur Statthalterin ernannte. Es folgten Guillaumes Großvater Jean, der 1961 zum Lieutenant-Représentant wurde und es bis zur Abdankung seiner Mutter, Großherzogin Charlotte, und seiner Inthronisierung im Jahr 1964 blieb.
Schließlich wurde Erbgroßherzog Henri am 4. März 1998 Statthalter. Nachdem sein Vater Jean im Alter von 79 Jahren abdankte, wurde er im Oktober 2000 Großherzog. Er hatte bereits als Thronfolger an zahlreichen Wirtschafts- und Handelsmissionen der Regierung in verschiedene Länder teilgenommen. So auch sein Sohn Guillaume, der seit 2000 Erbgroßherzog und seit 2005 Mitglied des Staatsrats ist. Er wird der erste Lieutenant sein, der seinen Eid auch vor dem Parlament ablegen wird. Nachdem heute um 15 Uhr im Palais ein großherzoglicher Erlass unterzeichnet wird, begibt er sich in die benachbarte Abgeordnetenkammer und danach zu einem Empfang wieder in den Palais.
„Das Amt des Statthalters ist eine einmalige Einrichtung und es ist eine wunderbare Art, sich auf seine künftigen Aufgaben als Großherzog vorzubereiten“, sagte Großherzog Henri in einem Revue-Interview über die Lieutenance im Monat vor seiner Thronbesteigung im Jahr 2000. „Gleichzeitig hat es meinem Vater den Wechsel, der auch nicht einfach ist, ebenfalls leichter gemacht. Ich würde es als sanfte, harmonische Übertragung der Macht bezeichnen.“
Frührente für Monarchen
Der Verfassungsrechtler Luc Heuschling hingegen meint, dass das Konzept der Funktion des Stellvertreters im Gegensatz zur ursprünglichen Idee der Monarchie stehe. Die Lieutenance stelle eine weitere Verwässerung dar, sagte er im Tageblatt-Interview am 24. Juni, „weil es nichts anderes heißt, als dass neben dem Monarchen, der eigentlich in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen, eine weitere Person zusammen mit dem Großherzog und dem zuständigen Minister mitentscheidet“. Doch warum gibt es sie dann? Heuschling führt dies auf die Personalunion des niederländischen Königs mit dem des Großherzogs zurück. Damals sei aufgrund der geografischen Distanz die Möglichkeit eines Stellvertreters vorgesehen gewesen. „Deshalb stand in der alten Verfassung noch, dass der Stellvertreter in Luxemburg wohnen muss.“ Der Passus wurde mit der neuen Verfassung gestrichen.
Seit Personalunion und geografische Distanz nicht mehr bestehen, „wurde die ‚Lieutenance‘ zweckentfremdet, um den Erbgroßherzog in die Amtsgeschäfte einzuführen“, erklärt Heuschling. Doch auf diese wurde Prinz Guillaume bereits in den mehr als 20 Jahren als Erbgroßherzog vorbereitet. Heuschling vergleicht die Lieutenance mit einer Art von Vorruhestand für den Großherzog. Mit ihr stellen sich weitere Fragen wie die, ob Vater und Sohn in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen können oder der Vater dem Sohn Anweisungen geben kann. Schon allein die Zuordnung von Kompetenzen und Aufgaben bleibe vage. „In Luxemburg galt bisher immer die Lesart, dass sowohl der Großherzog als auch der Lieutenant die Aufgaben des Staatschefs dann ausfüllen können“, sagt Heuschling, „und dass beide die Arbeit des Luxemburger Staatschefs machen können.“ So oder so, die Lieutenance ist nicht zuletzt ein geschichtlicher Anachronismus – ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Seine Statthalterschaft wird wohl kaum lange dauern. Der Thronwechsel dürfte bald anstehen.
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