Aus dem Archiv / Zu wenig Wertschätzung: Drei Athletinnen über den Stellenwert des Damenradsports
Zum Karriereende von Christine Majerus hat das Tageblatt einen Artikel aus dem Jahr 2017 aus dem Archiv geholt. Damals, vor dem Festival Elsy Jacobs, hat sich das Tageblatt mit Majerus, Chantal Hoffmann und Elise Maes über die Situation im Damenradsport unterhalten.
Dabei sind wir bewusst etwas provokanter vorgegangen, mussten allerdings schnell feststellen, dass die drei Hochleistungssportlerinnen die besseren Argumente auf ihrer Seite hatten. Trotzdem ist eine interessante Diskussion zustande gekommen, bei der es zum Schluss um allgemeine Missstände im Sport ging. Und wenn in Luxemburg von Sport und Missständen die Rede ist, dann dürfen die Themen Schule und Velodrom nicht fehlen. Majerus, Maes und Hoffmann sind aber weit davon entfernt, einfache Kritik zu äußern. Sie haben ganz konkrete Ideen, wie man den Damenradsport weiter fördern kann.
Tageblatt: Wieso sollen die Zuschauer zum Festival Elsy Jacobs kommen?
Chantal Hoffmann: Weil es ein spannendes und attraktives Rennen werden wird und die Leute damit den Damenradsport unterstützen.
Christine Majerus: Weil mindestens zwei aktuelle Weltmeisterinnen am Start sind und x ehemalige Weltmeisterinnen. Für einen Weltmeister bei den Herren würden sich die meisten Radsportfans sicherlich an die Strecke begeben. Beim Elsy Jacobs sind Jahr für Jahr Weltmeisterinnen am Start. Und wenn man das
für die Männer macht, dann kann man das auch für die Frauen tun.
Elise Maes: Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Wenn Christine ein herausragendes Resultat erzielt, liest man höchstens einen kleinen Artikel in der Zeitung, während das bei den Männern ganz anders ist
Ich könnte mir doch ebenso die Tour de Romandie im Fernsehen anschauen, wenn ich guten Radsport sehen möchte.
Christine Majerus: Das stimmt nicht unbedingt. Bei den Ardennen-Klassikern hatten wir das Glück, dass das Amstel Gold Race der Frauen eine Stunde live übertragen wurde, es von Liège-Bastogne-Liège eine Zusammenfassung gab …
Chantal Hoffmann: … von der Flèche Wallonne wurde leider nur der letzte Kilometer übertragen, aber immerhin …
Christine Majerus.: … und wenn man sich diese oder andere Damenrennen angesehen hat, dann waren die
mindestens genauso, wenn nicht manchmal sogar interessanter als die Herrenrennnen, wo ein Valverde vier Jahre in Folge gewinnt. Es lohnt sich also, unsere Rennen anzusehen, egal, ob vor dem Fernseher oder live vor Ort. Außerdem gehen die Bilder des Elsy-Jacobs-Festivals (wird live gestreamt, d.Red.) um die Welt und
da ist es in puncto Nation Branding sicherlich von Vorteil, wenn möglichst viele Zuschauer am Streckenrand stehen. Man unterstützt also nicht nur die Sportler, sondern auch das Image des Landes. Und wie schön so etwas sein kann, haben wir im Winter bei der Cyclocross-WM in Beles erlebt.
Chantal Hoffmann: Wenn wir schon bei Beles sind: Attraktiver als das Damenrennen der Cyclocross-WM geht
es fast nicht mehr (Sanne Cant und Marianne Vos lieferten sich ein hart umkämpftes Duell bis auf die Ziellinie, d.Red.).
Fakt ist aber auch, dass wesentlich mehr Zuschauer zu einem Damenrennen kommen, wenn parallel ein Herrenrennen ausgetragen wird.
Christine Majerus: Ja, ganz klar. Da profitieren wir von den Infrastrukturen, den Zuschauern und den Medien.
Ein Modell auch für Luxemburg?
Christine Majerus: Das ist ein heikles Thema hier in Luxemburg. Fakt ist aber, dass wir zwei hochkarätige Profirennen haben, die Tour de Luxembourg und den Grand Prix Elsy Jacobs. Es wäre wünschenswert, wenn man irgendwann in Zukunft diese beiden Rennen zeitgleich austragen könnte. Eine Zusammenarbeit des SaF Zéisseng, der für das Damenrennen zuständig wäre, und den Organisatoren der Tour de Luxembourg, die sich weiterhin um das Herrenrennen kümmern würden. Aber damit es irgendwann so weit kommt, braucht es erst einmal die nötige „ouverture d’esprit“ von allen Seiten.
Chantal Hoffmann: Ich denke auch, dass das eine gute Idee wäre. Ich will nichts gegen die Tour de Luxembourg sagen, aber in den vergangenen Jahren hat das Niveau abgenommen und auch der Zuschauerandrang ist rückläufig. Sie würden ebenfalls von einer gemeinsamen Organisation profitieren.
Elise Maes: Definitiv würden beide Parteien einen Nutzen daraus ziehen. Es wären mehr Zuschauer an der Strecke und denen könnte man zwei Rennen gleichzeitig bieten. Der Stimmung an der Strecke würde es sicherlich
guttun.
Die Frage ist doch eher, wieso interessieren sich die Medien nicht mehr für den Damensport?
Genießt der Damenradsport die Anerkennung, die er verdient?
Elise Maes: Nein, absolut nicht. Wenn Christine ein herausragendes Resultat erzielt, liest man höchstens einen kleinen Artikel in der Zeitung, während das bei den Männern ganz anders ist.
Christine Majerus.: Bei den Männern steht sogar ein riesiger Artikel in der Zeitung, wenn sie nicht ankommen.
Chantal Hoffmann: Und bei uns wird dann getitelt: „Hoffmann nicht im Ziel“. – Aber nicht im Tageblatt. (lacht)
Elise Maes: Solch negative Artikel haben die Frauen nicht verdient.
Christine Majerus: Über die rege ich mich auch bei den Herren auf.
Elise Maes: Bei denen wird meistens aber nicht schon so negativ getitelt.
Als Journalist hat man jedoch die Aufgabe, auch die negativen Sachen anzusprechen.
Chantal Hoffmann: Das ist richtig. Aber im Vergleich zu einigen anderen Ländern hinken wir einfach noch weit hinterher, was die Anerkennung und die Medienpräsenz anbelangt. Da sind Länder wie Belgien, die Niederlande oder Großbritannien uns um einiges voraus.
Christine Majerus: Die Frage ist doch eher, wieso interessieren sich die Medien nicht mehr für den Damensport?
Die Berichterstattung hängt zu einem großen Teil vom Interesse der potenziellen Leser ab. Da sprechen die Einschaltquoten eher für die Herrenrennen.
Christine Majerus: Weil nur wenige Damenrennen live im Fernsehen zu sehen sind. Die Leute wollen unterhalten werden und wenn gerade ein Damenrennen übertragen wird, werden sie sich auch das ansehen, denn am Fernseher macht es keinen Unterschied, ob wir mit 40 km/h unterwegs sind oder die Männer mit 45. Es gibt also keinen Grund für die Medien, sich nicht für den Damenradsport zu interessieren.
Chantal Hoffmann: Ich denke auch, dass es die Aufgabe der Journalisten ist, die Leute mehr über den Damenradsport aufzuklären. Denn wenn man ihnen den Sport näherbringt und erklärt, dann entsteht auf einmal Interesse und
dann fangen die Leute auch an, die Rennen der Sportlerinnen genauer zu verfolgen. Und ich glaube, dass vor allem bei größeren Rennen, wie zum Beispiel der Flandern-Rundfahrt, den Ardennen-Klassikern usw. die Möglichkeit besteht, etwas mehr als das bloße Ergebnis zu bringen.
Christine Majerus: Ab einem gewissen Niveau müsste es eigentlich überflüssig sein, dass man als Sportlerin noch eine Pressemitteilung über den Rennverlauf herausschicken muss.
Wenn wir bei Rennen vor Ort sind, ob das nun die Flandern-Rundfahrt oder die Ardennen-Klassiker sind, kommen wir ja auch jedes Mal zu euch.
Chantal Hoffmann: Ja, das stimmt für einige. Wenn man dann allerdings angerufen wird, ob man nicht beim Journalisten vorbeischauen könnte, dann fragt man sich doch schon, was das soll. Oder man solle doch bitte selbst anrufen, nachdem man ein Rennen gefahren ist. Damit habe ich dann doch ein Problem. Denn darum würde man einen Profi bei den Männern wohl kaum bitten. Wenn jemand mich anruft, um nachzufragen, wie es gelaufen ist, damit habe ich kein Problem, aber es ist nicht an mir, mich bei den Medien zu melden.
Definitiv. Gehören Interviews und Medienanfragen für euch zum Beruf?
Christine Majerus: Natürlich, und ein Profisportler, der das nicht so sieht, der ist nicht professionell. Ich als
Athlet profitiere schließlich auch davon, wenn über meine Leistungen berichtet wird. Und seit einigen Jahren gehört auch die Arbeit mit den sozialen Medien zum Job. So kann man den Fans und den Sponsoren etwas zurückgeben. Schließlich verdiene ich mein Geld mit dem Sport.
Ist der Damenradsport professionell genug aufgestellt, was die eigene Vermarktung angeht?
Elise Maes: Ich glaube, dass sich der Damenradsport bewusst ist, wie wichtig die sozialen Medien sind. Es sind auch mehr Sportlerinnen persönlich auf Facebook, Twitter oder Instagram aktiv als Männer, würde ich sagen. Für uns ist es die einfachste und günstigste Möglichkeit, uns mitzuteilen.
Christine Majerus: Hier muss man allerdings unterscheiden, was in den Teams läuft und was bei der UCI oder den Rennorganisatoren. Die großen Teams haben alle jemanden, der sich um die sozialen Netzwerke kümmert. Die Teams machen sehr gute Arbeit in diesem Bereich, was bei verschiedenen Rennen nicht der Fall ist. Allerdings werden diese oft von etwas älteren Personen organisiert, die einfach keine Beziehung zu sozialen Medien haben. Wären sämtliche Akteure hier aktiver, dann wäre der Damenradsport auch wesentlich interessanter für Sponsoren.
Wenn man von Sponsoren spricht, ist man beim Finanziellen. Ist es legitim, dass die Männer mehr verdienen und höhere Preisgelder kassieren als die Frauen?
Christine Majerus: Klar ist es legitim, dass die Männer höhere Preisgelder kassieren. Schließlich fahren sie auch längere Distanzen. Nur proportional möchte ich das Gleiche verdienen.
Chantal Hoffmann: Wichtig wäre allerdings ein geregeltes Mindesteinkommen, so dass man über die Runden kommt. Denn, und da rede ich aus eigener Erfahrung (Hoffmann arbeitet als Physiotherapeutin d.Red.), es ist ungemein
schwer, auf einem hohen Niveau zu fahren, wenn man nebenbei noch arbeiten muss. Das ist natürlich nur möglich, wenn man ausreichend Sponsoren hat und die bekommt man nur durch größere Präsenz in den Medien. Damit sich etwas verändert, muss dieser Teufelskreis irgendwann durchbrochen werden.
Elise Maes: Ich bin finanziell komplett abhängig von meinen Eltern (Maes studiert an der Uni.lu, d.Red.). Ohne sie würde ich auf der Straße sitzen. (lacht)
Christine Majerus: Geht doch in die Armee! (Majerus ist in der Sportsektion der Armee, d.Red.)
Chantal Hoffmann: Dafür bin ich jetzt definitiv zu alt. Aber mal im Ernst: In diesem Bereich muss noch einiges geschehen, damit die kommenden Generationen es in dieser Hinsicht etwas leichter haben.
Christine Majerus: Das geht nur durch eine unabhängige Fahrer-Gewerkschaft, die sich auch traut, gegen
die UCI vorzugehen, wenn es nötig ist.
Wenn jemand mich anruft, um nachzufragen, wie es gelaufen ist, damit habe ich kein Problem, aber es ist nicht an mir, mich bei den Medien zu melden.
Wie sieht die Förderung und Unterstützung des Damenradsports in Luxemburg aus? Was müsste noch getan werden?
Elise Maes: Was die Rennen angeht, ist Luxemburg für mich nicht attraktiv, da wir mit den Débutants mitfahren müssen. Die 16-jährigen Jungs sind uns körperlich überlegen. Würden die Damen unter sich fahren, wäre es bereits wesentlich interessanter.
Christine Majerus: Und wenn man nur ein wenig Werbung in der Großregion machen würde, bekäme man sicherlich ein achtbares Starterfeld zusammen. Vielleicht nicht sofort das erste Jahr, aber wenn es sich erst mal herumgesprochen hat, dass es hier Rennen gibt, wo Damen oder Mädchen unter sich fahren, dann werden auch Sportlerinnen aus dem nahen Grenzgebiet kommen. Denn auch dort gibt es immer weniger Rennen.
Chantal Hoffmann: Man kann nicht von den Eltern verlangen, dass sie jedes Wochenende drei Stunden hin und drei Stunden zurückfahren, damit ihr Kind ein Rennen fährt. Da ist sowohl der zeitliche wie auch der finanzielle Aufwand zu hoch.
Wie kann man dafür sorgen, dass man ausreichend Nachwuchs hat, um eigenständige Damenrennen zu organisieren?
Chantal Hoffmann: Zum Beispiel in den Schulen für den Radsport werben, damit die Kinder Lust bekommen, diese Sportart auszuüben. Es ist richtig, dass es für Radfahrer immer gefährlicher wird auf den Straßen, aber deshalb kämpfen wir ja für ein Velodrom. Damit der Nachwuchs richtig vorbereitet werden kann.
Christine Majerus: Wir kämpfen auch für das Velodrom, weil der Bahnradsport eine eigenständige Disziplin ist. Wer weiß, wie viel Talente uns bereits durch die Lappen gegangen sind, weil wir kein Velodrom haben … Wie viele Weltmeister oder Olympiasieger? Ich sehe meine Teamkameradinnen, die bei Olympia dabei waren oder
auf Weltmeisterschaften Medaillen gewonnen haben, und muss sagen, dass ich eigentlich nicht schlechter bin als die. Ich bereue es heute wirklich, dass ich nicht die Gelegenheit hatte, diese Disziplin auszuüben, da wir keine Trainingsmöglichkeiten haben.
Chantal Hoffmann: Mir geht es genauso. Ich denke, dass der Bahnradsport mir sehr viel weitergeholfen hätte. Wenn ich einmal Kinder habe und die mit dem Rad auf der Straße unterwegs sind, dann mache ich mir sicherlich Gedanken. Wüsste ich allerdings, dass sie auf der Bahn fahren würden, wäre das eine ganz andere Sache.
Elise Maes: Auch schon aus praktischen Gründen wäre ein Velodrom sinnvoll. Nehmen wir doch nur Chantal als Beispiel. Im Winter ist es nicht möglich, nach der Arbeit noch um 17 Uhr auf der Straße zu trainieren. Da wäre die Bahn eine echte Alternative zum Rollentraining.
Das Velodrom scheint ohnehin ein endloses Projekt zu sein. Kommen wir zurück zur Unterstützung und Förderung hier in Luxemburg. Was müsste noch getan werden?
Christine Majerus: Sämtliche Akteure, die den Hochleistungssport fördern, wie Verbände oder Olympisches Komitee, müssen alles daran setzen, den Athleten das Leben so einfach wie möglich zu machen. Im Idealfall hat sich der Sportler bloß auf sein Training oder seinen Wettkampf zu konzentrieren. Wenn es für den Sportler leichter wird, heißt das aber logischerweise, dass es für das Umfeld komplizierter wird.
Angenommen, ihr seid jetzt Verbandspräsident und Nationaltrainer in einer Person.
Wo würdet ihr ansetzen?
Elise Maes: Ich würde versuchen, mehr Mädchen für den Radsport zu begeistern. Wie bereits gesagt wurde, geht das nur, indem man den Radsport bekannter macht und in Schulen dafür wirbt, vielleicht über die Lasep oder Lasel. In meinen Augen ist das die einzige Möglichkeit, eine breitere Basis zu bekommen, mit der man dann auch arbeiten kann.
Christine Majerus: Das ist richtig. Allerdings sind die Schüler zu oft abhängig von den sportlichen Vorlieben der Lehrer. Außerdem gibt es viel zu wenig Sportstunden in der Schule. Wenn man nur eine Stunde hat, kann man keine Radtour unternehmen. Hier reden wir also von einem Problem, welches den Sport im Allgemeinen betrifft.
Chantal Hoffmann: Ich bin ohnehin der Meinung, dass der Sport in der Schule eine wesentlich wichtigere Rolle spielen müsste. Aber das ist ein anderes Thema …
Christine Majerus: Nein, Chantal, genau das ist das Thema. Denn genau hier geht es los.
Chantal Hoffmann: O.k., dann fang ich einmal damit an, dass meiner Meinung nach eine Stunde Sport pro Tag auf dem Schulprogramm stehen müsste. Dadurch würden die Kinder wesentlich beweglicher werden, denn als Kiné schlage ich oft die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich sehe, wie unbeweglich Jugendliche oft sind. Später würde es wesentlich weniger Krankschreibungen geben und die Lehrer hätten es viel leichter, da die Kinder ruhiger und aufnahmefähiger wären. Was aber jetzt die Förderung des Radsports in den Schulen betrifft, glaube ich, dass auch der Verband eine gewisse Verantwortung trägt und intensiver mit den Schulen zusammenarbeiten müsste.
Christine Majerus: Den Radsport in den Schulen populärer machen ist die eine Sache, aber der Verband müsste auch hier ansetzen, um Talente aufzuspüren. Man müsste Tests mit den Kindern machen, um die optimale Sportart für jeden Einzelnen auszumachen. Denn meistens ist es doch so, dass man die Sportarten gerne macht, für die man auch ein gewisses Talent hat und in denen man sich weiterentwickeln kann. Dabei muss man den Kindern aber helfen.
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