Projekt „L’œil du monstre“ / Maz und Pleasing schreiben mit Jugendlichen aus der Psychiatrie Song über mentale Gesundheit
Die Musiker Thomas Faber (Maz Univerze) und Patrick Miranda (Pleasing) singen oft über psychische Notlagen, im Sommer teilten sie ihre Erfahrungen mit Jugendlichen aus der Psychiatrie: Die Single „L’œil du monstre“ ist das Ergebnis. Ein Interview mit den Künstlern über Monster und kreative Gegenmittel.
Tageblatt: Thomas, Patrick, an was denken Sie, wenn Sie sich an die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen in der Rehaklinik des „Centre neuro-psychiatrique“ in Ettelbrück (CHNP) erinnern?
Patrick Miranda: An das Kennenlernen und die ‚coole‘ Kommunikation innerhalb der Gruppe. Thomas und ich waren da, um den kreativen Prozess zu leiten, doch wir gingen alle kollegial miteinander um.
Thomas Faber: Anfangs wussten wir nicht, wie die Jugendlichen auf das Projekt reagieren und wie sehr sie sich uns öffnen. Mich hat überrascht, dass sie auf uns zugekommen sind und große Lust auf das Songschreiben hatten – trotz ihrer prekären Situation. Das war beeindruckend, genauso wie die professionelle Beteiligung aller Projektpartner*innen und die Zusammenarbeit mit Patrick. Es ist das zweite Mal, dass wir gemeinsam einen solchen Workshop durchführen.
Sie sprechen von „Empowering Voices“ im Jahr 2023.
T.F.: Genau, das war ein Projekt der Fondation Eme und des LGBTIQ+ Centre Cigale. Damals schrieben wir mit LGBTIQ+ Flüchtlingen einen Song.
Was war der Unterschied zu „L’œil du monstre“?
P.M.: Die Lebenserfahrungen der Teilnehmenden. Bei ‚Empowering Voices‘ ging es neben mentaler Gesundheit um die ‚struggles‘, queer zu sein und sich in einem fremden Land zurechtzufinden. Die jungen Menschen aus dem CHNP sind hingegen vorwiegend in Luxemburg aufgewachsen. Beide Gruppen verbindet jedoch die Suche nach Verständnis und nach sich selbst … ein Gefühl der Sehnsucht nach etwas, das verloren ging.
Mentale Gesundheit spielt auch in Ihrer Musik eine große Rolle.
P.M.: Mein Projekt ‚Pleasing‘ befasst sich ausschließlich damit. Es geht mir aber um mehr als meine Karriere: Ich möchte eine gesellschaftliche Veränderung vorantreiben, indem ich mentale Erkrankungen sichtbar mache. Privat führe ich viele Gespräche darüber, u.a. mit Thomas, weil es mir am Herzen liegt, dass mein Umfeld das ernst nimmt. In den Workshops sprechen Thomas und ich offen über unsere Erfahrungen mit mentalen Erkrankungen, was die Verbindung zu den Teilnehmenden stärkt.
T.F.: Ich schließe mich Patrick an. Ich empfinde es als Segen, dass ich Menschen mit mentalen Erkrankungen auf diese Weise helfen kann. Wäre ich kein Künstler, würde ich vermutlich im sozialen Bereich arbeiten – ich gebe gerne etwas zurück.
Wie ist Ihnen das bei diesem Projekt gelungen?
T.F.: Wir hörten aufmerksam zu. Das ist meiner Erfahrung nach das Beste, was man im Umgang mit Betroffenen mentaler Erkrankungen tun kann.
P.M.: Und sich nicht zu verstellen oder aufzuspielen. Thomas und ich treten in diesen Workshops nie als Autoritätsfiguren auf. Wir bemühen uns, menschlich zu sein, authentisch. Für die Jugendlichen der Rehaklinik war es ‚cool‘, kurz aus dem strengen Rahmen, den der Aufenthalt in einem Krankenhaus mit sich bringt, auszubrechen und sich frei zu fühlen.
Was bedrückt diese Jugendlichen?
P.M.: Sie sind durcheinander und oft verängstigt. Die meisten hatten Pech im Leben und leiden unter Traumata. Manche schon seit frühem Kindesalter.
T.F.: Einige kamen früh in Berührung mit Drogen und der Polizei. Die Gründe dafür sind vielseitig, doch die Jugendlichen haben eins gemeinsam: Sie wollen ihre Lebenslage verbessern und sind teilweise außergewöhnlich reif für ihr Alter.
Thomas, Sie wirkten auch bei dem Theaterstück „Wellbeing – Mental Noise“ mit, dessen Text Aussagen von Jugendlichen zu mentaler Gesundheit zugrunde liegt.
T.F.: Dort spielte ich eine Rolle, hier war ich aktiv an dem kreativen Prozess beteiligt. Eine Parallele haben Sie aber bereits erwähnt: In beiden Fällen wurde ausgehend von Zitaten junger Menschen zu mentaler Gesundheit Kunst geschaffen, die sich zeigen lässt.
Wie erlebten Sie den Umgang mit mentaler Gesundheit in Ihrer Schulzeit?
P.M.: Das Wort ‚Depression‘ wurde kein einziges Mal erwähnt. Es war ein Tabu. Meine Schwester, die zehn Jahre jünger ist als ich, ist heute deutlich besser über mentale Gesundheit informiert als ich in ihrem Alter. Ich schließe daraus, dass sich die Situation inzwischen verbessert hat, auch wenn immer Luft nach oben bleibt.
T.F.: Anders als vorangehende Generationen, sind junge Menschen heute nicht länger bereit, Gefühle zu unterdrücken, nur um zu funktionieren. Ich finde es umso schöner, dass unsere Musikprojekte dieses Umdenken unterstützen.
Anders als vorangehende Generationen, sind junge Menschen heute nicht länger bereit, Gefühle zu unterdrücken, nur um zu funktionierenMusiker
Ist das innerhalb der Kulturszene ein Thema?
P.M.: Es ist ein Sektor, in dem es generell menschlicher zugeht, als anderswo – dementsprechend fühlen sich Kulturschaffende, meiner Erfahrung nach, wohler, offen über mentale Gesundheit zu sprechen. Zumal die Auseinandersetzung mit Gefühlen zentral für die kreative Arbeit ist.
Es herrscht also Verständnis für Kulturschaffende mit psychischen Erkrankungen?
T.F.: Das hängt von der eigenen Entourage und dem Berufsfeld ab. Im Austausch mit Filmschaffenden höre ich, dass sich das Arbeitsklima dort kaum verbessert. Allgemein werde wenig Rücksicht auf das Wohlbefinden gelegt. ‚Maz Univerze‘ steht und fällt hingegen mit mir – ich entscheide, wann ich eine Pause einlege. Ob ich selbst genug auf mich achte, ist eine andere Frage. Mein professionelles Umfeld ist jedenfalls verständnisvoll. Wir gehen fürsorglich miteinander um und sind uns bewusst, dass wir alle nur begrenzt belastbar sind.
P.M.: Thomas und ich arbeiten oft zusammen – für uns ist es selbstverständlich, auf solche Dinge zu achten und unseren Teams zu vermitteln, dass man zu jedem Moment ‚time out‘ sagen kann. Ich hake immer wieder nach ‚Geht es Euch gut? Thomas, bist Du sauer auf mich?‘.
T.F.: … und ich bin nie sauer auf ihn – nur, um das klarzustellen. (beide lachen)
Eine Therapie ist eine wichtige Investition, bedeutsamer als der HäuserkaufMusiker und Produzent
Was geben Sie Menschen mit mentalen Erkrankungen mit auf den Weg?
T.F.: Therapie ist ‚cool‘. Wer das Privileg hat, eine machen zu können, sollte davon Gebrauch machen. Ich habe es satt, Menschen in meinem Umfeld leiden zu sehen, die sich Hilfe holen könnten. Viele von ihnen tun es nicht, weil das ihren Stolz verletzt. Du hilfst mit einer Therapie nicht nur dir selbst, sondern auch deinem Umfeld.
P.M.: Eine Therapie ist eine wichtige Investition, bedeutsamer als der Häuserkauf. Es ist ein ‚must‘, denn unsere Welt ist merkwürdig, groß, beängstigend – und unsere Existenz komplex. Sie ist ein Puzzle, für dessen Lösung wir auf Expert*innen zurückgreifen sollten, wenn wir Stücke zurechtrücken wollen. Unabhängig davon, empfehle ich jedem Menschen, sich Dingen hinzugeben, die einen den Alltag vergessen lassen – ganz gleich, ob das Kunst, Sport, ein Handwerk oder ein Spiel ist. Manchmal ist es unfassbar anstrengend, zu existieren. Es braucht diese Momente, in denen man zum Beispiel drei Tage lang nur ein Lego-Set zusammenbaut und nicht ans Handy geht. Mir bietet die Musik eine solche Auszeit. Sie hat mein Leben gerettet.
Hintergrund
Während der Sommerschulferien 2024 führte die Fondation Eme gemeinsam mit der Rehaklinik des „Centre neuro-psychiatrique“ in Ettelbrück das Projekt „L’œil du monstre“ durch: Der Rapper Thomas Faber (Maz Univerze) sowie der Musiker und Produzent Patrick Miranda (Pleasing) trafen sich insgesamt zwölfmal mit Jugendlichen (12-17 Jahre) in psychiatrischer Behandlung, um gemeinsam einen Song über mentale Gesundheit zu schreiben. Der Text basiert auf ihren Erlebnissen. Der dazugehörige Videoclip wurde von dem Animationsstudio Animyou erstellt. Das Lied wurde am Montag veröffentlicht und ist u.a. auf dem YouTube-Kanal der Fondation EME abrufbar. Die Teilnehmenden bleiben anonym, deswegen standen sie auch nicht für Interviews zur Verfügung. In dem mehrsprachigen Song geht es vor allem um traumatische Erlebnisse in der Kindheit und frühen Jugend, welche die Projektteilnehmenden hinter sich lassen wollen.
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