„Lëtzebuerger Konschtpräis 2024“ / Gleich drei Ausstellungen würdigen den verstorbenen Künstler Marc Henri Reckinger
Der Künstler Marc Henri Reckinger ist derzeit allgegenwärtig: Vergangene Woche nahmen Angehörige stellvertretend den „Lëtzebuerger Kulturpräis 2024“ entgegen, jetzt zeigen das „Nationalmusée“ sowie die Kulturzentren Nei Liicht und Dominique Lang seine Werke. Die Ausstellungen im Überblick.
Nach Berthe Lutgen (2022) wurde dieses Jahr das Lebenswerk des verstorbenen Künstlers Marc Henri Reckinger (1940-2023) mit dem „Lëtzebuerger Konschtpräis“ gewürdigt. In Zusammenarbeit mit MNAHA und der Gemeinde Düdelingen, die eine eigene Schau zu Ehren von Reckinger geplant hatte, entstand in dem Kontext eine gemeinsame Initiative: Das Ergebnis sind ein umfangreicher Katalog und drei Ausstellungen mit dem Titel „Marc Henri Reckinger Lëtzebuerger Konschtpräis 2024“.
Ein Zitat aus Reckingers Stellungnahme aus der Serie „Prises de position“ von 1980 besagt u.a.: „Meine Bilder sind realistische Bilder, Realismus bedeutet für mich aber nicht nur die Darstellung der oberflächlichen Erscheinungsform der Dinge, Personen und Ereignisse, sondern vor allem die Wirklichkeit, die diese Ereignisse bewirkt. Realismus muss die Hintergründe und Zusammenhänge der Wirklichkeit sichtbar machen, er muss die Verantwortlichen, die Drahtzieher, die Nutznießer der herrschenden Zustände ins Licht setzen. Ich bin ein engagierter Künstler.“ Der Rahmen ist somit klar abgesteckt: Seine Vita hat ihn vom Studium der Kunstgeschichte und der Ausübung seines Lehramtes sowie seines ersten künstlerischen Schaffens ab 1970 in eine mehrjährige politische „Laufbahn“ geführt.
Etwa ab 1977 konzentrierte er sich wieder auf die Malerei, die er konsequent unter dem Begriff „Kritischer Realismus“ praktizierte. Mit einer großen Einzelausstellung im Escher Theater wagte er 1980 einen Rückblick auf die Jahre der Pop-Malerei, der „Consdorfer Scheune“, der Zickzack-Linie im Petruss-Tal und anderer Performances, um sich in der Folge mit dem „Kubismus“ zu beschäftigen. Inhaltlich richtete er den Blick nach vorn, entwarf seine „Utopie einer besseren Welt“ und drängte mit seinen malerischen Mitteln auf eine „gesellschaftliche Veränderung.“
Ich bin ein engagierter KünstlerKünstler
Zwischenzeitlich war er aus der Minette-Metropole nach Düdelingen gezogen, wo er 1993 sein Atelier eröffnete. Der Katalog gestattet Einblicke in dieses Atelier, so auch ein Foto mit einem nicht fertiggestellten Bild, das er wegen seines Todes am 31. August 2023 nicht mehr finalisieren konnte. Es wird nun in Düdelingen gezeigt. Wichtige Etappen auf seinem Weg waren 1989 die Aufnahme in die Ausstellung „150 Jahre luxemburgische Kunst“ im Nationalmuseum, die Vergabe des Kunstpreises der Stadt Düdelingen 2002, seine letzte große monografische Retrospektive in der Galerie Schlassgoart 2013 und nach dem Tod seines Sohnes Marco, 2021, zwei Jahre später sein eigenes Ableben – dies zwei Tage bevor die letzte seiner Ausstellungen, die er selbst in Saarbrücken miterlebt hat, abgehängt wurde.
Wichtige Etappen nachgestellt
Die Expo im MNAHA wird mit einem abstrakten Wandgebilde und einem Selbstbildnis von ihm aus seinem Atelier eröffnet und ist in drei Etappen unterteilt. 1966-1996 zeigt sowohl Rückblenden auf die Periode der „Consdorfer Scheune“ als auch seine Jahre mit der von ihm ganz persönlich ausgelegten Pop-Malerei und einige beeindruckende Bilder seiner neo-kubistischen Zeit, in der neben diversen Themen und Referenzen auch bereits politische Klänge zum Ausdruck kommen, etwa im Bild „Gueriilero“ aus dem Jahre 1981. Den kubistischen Duktus hat Reckinger neben Tafelbildern auch in räumlichen Wandobjekten in Mixtechnik umgesetzt. Ein gelungenes Beispiel davon, vortrefflich von den Kuratoren Ruud Priem und Lis Hausemer zwischen zwei neo-kubistischen „Medaillons“ in Szene gesetzt, zeugt davon, dass er gerne von der Leinwand weg in den Raum gearbeitet hat. Diese Arbeitsweise artikulierte und perfektionierte er später in den sogenannten Mobiles. Hier benutzte er transparente und reichhaltig bemalte Folien zu beweglichen und hängenden Gesamtkunstwerken mit diversen Motiven, die von seiner Vorliebe zur Musik über politische Ereignisse bis hin zu eher intimeren familiären Vorlagen reichten.
Im Übergang zur nächsten Station befindet sich das Selbstbildnis: „Derzeitige Stimmung“, 2016, das den Künstler mit einer verletzten Hand, die krampfhaft Pinsel hält, zeigt, derweil im Hintergrund zwei eminente Vertreter des musealen Kunstbetriebes beobachtend aus einem Fenster schauen und eine dunkle Figur lauert. Weitere Zeugnisse seiner kritischen Auseinandersetzung mit „offiziellen“ Vertretern der heimischen Kunstszene sind in der Galerie Dominique Lang zu sehen.
Es folgt ein dokumentarischer Abstecher in die aktivere politische Zeit 1970-1977, illustriert u.a. mit Porträts von Karl Marx, Leon Trotzki und Ernest Mandel (ein Foto zeigt, dass diese drei in Reckingers Büro ihm stets vor Augen waren) sowie mit einem 2020 entstandenen Werk mit Porträts von diversen Weltpolitikern und einem Totenkopf unter dem vielsagenden Titel „La mort et ses masques“.
Die dritte Etappe in der Ausstellung reicht von 1980 bis 2023. Ein Werk zur schiefen Klimapolitik und ihren Folgen, andere zur Misere der weltweiten Lage vieler Flüchtlinge, ein Zeugnis der steigenden Repression und des Aufbegehrens unterdrückter Völker, aber auch ein Blick in ein imaginäres Wartezimmer mit zentralen Figuren aus einer entfernten und rezenten Geschichte. Reckinger zeichnet seine Protagonisten auf realistische Weise jeweils in einer der visierten Figur zutreffenden Stimmung. Beherrscht wird dieser Raum von einem monumentalen Bild, das an den niedergeschlagenen Streik der Hüttenarbeiter von 1921 erinnert, eine Arbeit, der drei schwarz-weiße Zeichnungen, davon eine mit dem vielsagenden Titel „Gewalt-Terror“ aus dem Jahre 1979, gegenübergestellt werden. Eine Hommage an Frida Kahlo und Diego Rivera, zwei „revolutionäre Maler“, sowie das in Öl gemalte Porträt von „Anni und Marc“ Reckinger aus dem Jahre 1978 runden die Ausstellung im MNAHA ab.
Doppelexpo in Düdelingen
Hat der Künstler 2002 bei der Überreichung des Düdelinger Kulturpreises dort in mehreren Galerien ausgestellt und befinden sich seine Werke im Gemeindehaus, dem Lyzeum und an anderen öffentlich zugänglichen Orten der Gemeinde, so ehrt diese Marc Henri Reckinger nun mit Expos in den Kulturzentren Nei Liicht und Dominique Lang.
Nei Liicht ist dem Künstler und seiner Familie sowie Erinnerungen an den Krieg, seiner Begeisterung für Jazz und Dokumentationen seiner Ausstellungen gewidmet, doch präsentiert die Kuratorin Marlène Kreins neben Bildern und Fotos auch das Mobile „56“, das die Entwicklung der Person Reckinger auf lebendige Weise illustriert, gekonnt. All diese Werke muss der Besucher selbst erleben, um die Beweggründe des Künstlers, der im Eigenbildnis den Ausdruck seiner Gefühle und Stimmungen vermitteln wollte, besser zu erfassen.
Dass der Künstler neben einer starken politischen Komponente auch sarkastisch-humorvolle Elemente in seinen Bildern zum Ausdruck brachte, spiegeln einige Werke in dem Zentrum Dominique Lang wider. Obwohl „ohne Titel“ drücken Bilder eines Kunstprinzen, eines smarten Ex-Premiers, der Riege von Kunstpäpsten der „ersten Liga“, Gesichter führender Liberaler oder zum Boxkampf antretende Politiker wohl mehr als genug aus, was der kritisch beobachtende Künstler über die Dargestellten dachte. In einem breit angelegten Sammelbild vereint er über zwanzig bekannte Gesichter, die allesamt scheinbar nur einen Euro wert sein sollen.
Außer diesen eher kritisch und satirisch anmutenden Bildern sind einige Werke seinem Hang zum Jazz und ein Videofilm über die Eröffnung einer seiner Ausstellungen mit Mobiles verschrieben. Am 7. Dezember, am 11. Januar und am 1. März sind Führungen durch beide Ausstellungen geplant; am 27. Januar findet im „opderschmelz“ zudem ein Rundtischgespräch über „Engagéiert Konscht“ statt – mit Berthe Lutgen, Filip Markiewicz, Danielle Igniti und Ada Günther.
„Marc Henri Reckinger Lëtzebuerger Konschtpräis 2024“ präsentiert also an drei Orten das reichhaltige und gesellschaftspolitisch kritische Werk des Künstlers, derweil das Spannende für Kunstfreunde wohl ist, seinen künstlerischen Weg, seinen Umgang mit unterschiedlichen Ausdrucksmitteln zu verfolgen. Ihm war stets daran gelegen, seine politische Message einzuflechten, mal diskreter, mal augenscheinlicher oder humorvoller, aber stets im Bewusstsein, den dem Künstler zustehenden kritischen und konstruktiven Beitrag im Kampf um eine bessere und gerechtere Welt geleistet zu haben.
Die drei Ausstellungen laufen noch bis zum 16. März 2025, Details zu den Öffnungszeiten und dem Rahmenprogramm gibt es auf den jeweiligen Internetseiten der Ausstellungsräume.
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