Alain spannt den Bogen / Edler Barock und feurige Klavierquartette: Das wohl beste Konzert des Jahres in der Philharmonie
Kammermusik im Doppelpack: An zwei Abenden konnte das Publikum der Philharmonie grundverschiedene Konzerte miterleben. Warum eins davon womöglich das beste Konzert des Jahres war.
Unter dem Leitfaden virtuoser Barockstücke fand am vergangenen Montag im Kammermusiksaal der Philharmonie ein Konzert statt, das hauptsächlich Flötenwerke von Johann Sebstian Bach in seinen Mittelpunkt stellte. Das Kammerensemble bestand aus Emmanuel Pahud, Flöte, Jonathan Manson, Cello und dem legendären Barockpionier und Dirigent Trevor Pinnock auf dem Cembalo. Pahuds Flöte kam in dem kleinen Saal sehr gut zur Entfaltung und das Publikum konnte hier sowohl stilistische Feinheiten wie ein kraftvoll-dynamisches Spiel in eher doch kräftigen Farben erleben.
Ob in Bachs Sonate für Flöte und Basso continuo Nr. 2 BWV1034, der Sonate für Flöte und Cembalo h-moll BWV1030 oder der Sonate für Flöte und Basso continuo Nr. 3 BWV 1035, Emmanuel Pahud erwies sich als überlegener Interpret und wunderbarer Techniker. Vor allem wirkte sein kraftvolles Spiel niemals übertrieben oder manieriert, sondern seine Interpretationen blieben einer klaren, unaffektierten Linie treu. Zwischen die drei Sonaten hatte man dann jeweils ein Solostück für jedes Instrument eingestreut. Pahud spielte die Fantasie für Flöte solo fis-moll TWV 40:11 von Georg Philipp Telemann mit edlem Klang und natürlichem Atem.
Edler und eleganter Vortrag
Davor zeigte Trevor Pinnock, was es heißt, Cembalo zu spielen. Die Eleganz und Klarheit seines Vortrags ist wohl kaum zu überbieten, sodass die Noten sich zu einem wundervollen Gesamtklang zusammenfanden und somit die Chromatische Fantasie und Fuge d-moll BWV 903 durch Pinnocks überragendes Spiel zu einem Kabinettstückchen höchster Güte werden ließ. Davor und danach musste Pinnock allerdings zweimal den musikalischen Ablauf unterbrechen. Bei der Flötensonate Nr. 2 hatte er durch die schwache Beleuchtung Schwierigkeiten, die Partitur lesen zu können, bei der h-moll-Sonate schien er eine Reprise ausgelassen zu haben, sodass Pahud stoppte und die beiden dann aber schnell weitermachen konnten. Ein Vorfall, der eher sympathisch war und zeigte, dass Musiker keine Maschinen, sondern Menschen sind. Allerdings war jetzt der Flow verloren gegangen und Pahuds Spiel vorsichtiger geworden.
Pinnocks sonst sehr freie und vorwärts drängende Begleitung war nun etwas konzentrierter und zurückhaltender. Nach der Pause begeisterte dann Jonathan Manson mit einer sehr musikantischen Wiedergabe der Cellosuite Nr. 1 von Bach, die er ebenso schnörkellos, direkt und unaffektiert spielte wie vor ihm Pahud und Pinnock in ihren Soloauftritten. Ich ziehe bei den Cellosuiten einen dunkleren und vollen Klang, einen tänzerischen Stil und etwas mehr Risikobereitschaft vor. Aber das ist Geschmackssache; Mansons Spiel und seine Konzeption waren einwandfrei. In der abschließenden spät komponierten 3. Flötensonate erlebte das Publikum dann noch einmal ein Barockspiel allererster Güte.
Wie der Ausbruch eines Vulkans
Im Gegensatz zu dem gediegenen, edlen und kontrollierten Spiel dieser drei Musiker wirkte das anschließende Konzert vom Dienstag im gleichen Saal wie der Ausbruch eines Vulkans. Vier großartige Solisten der jüngeren Generation, nämlich Hyeyoon Park, Violine, Timothy Ridout, Bratsche, Kian Soltani, Cello und Benjamin Grosvenor, Klavier finden sich alljährlich zu einem Konzertprojekt zusammen, mit dem sie dann auf Tournee gehen. In der Philharmonie Luxemburg präsentierten sie das einzige Klavierquartett von Richard Strauss und das Klavierquartett Nr. 3 von Johannes Brahms. Und wenn leidenschaftliche Musik auf leidenschaftliche Interpreten trifft, die zudem über eine überragende Spieltechnik verfügen, dann kann schon mal die Post abgehen. Wie an diesem Abend, wo das Publikum vielleicht das beste und mitreißendste Kammerkonzert des Jahres 2024 erleben konnte.
Strauss’ frühes Klavierquartett ist ein typisches Sturm-und-Drang-Werk, voller überbordender Ideen, ambitionierter Kompositionskunst und einer schier unerschöpflichen Energie. Natürlich sind die Einflüsse von Brahms nicht zu überhören, aber Strauss bringt hier schon viele eigene Ideen mit ein und so manche Phrase weist bereits auf die zukünftigen Opern hin. Die vier Musiker erweisen sich als ein äußerst kommunikatives und dialogfreudiges Ensemble, das Strauss‘ Musik bis in die Extreme auszuloten weiß und das Werk mit einer mitreißenden Virtuosität versieht, der man sich kaum entziehen kann.
Top!
Bei Brahms’ spätem Klavierquartett Nr. 3, das übrigens nur zehn Jahre vor dem Strauss-Werk komponiert wurde, begegnen wir einer sehr reifen, vielschichtigen, aber nicht minder leidenschaftlichen Musik, in der immer noch jugendliche Frische zu spüren ist. Auch hier begeistern Park, Ridout, Soltani und Grosvenor mit einem sehr explosiven, aber auch zu ungemein zarten Phrasierungen fähigem Spiel. Dabei erweist sich die Individualität der vier Musiker als ein Glücksfall. Denn jedes Instrument bekommt seine eigene Stimme, seinen eigenen Charakter und seinen eigenen Klang. Und die Musiker besitzen die Gabe, die verschiedenen Persönlichkeiten zu einem großen Ganzen zu verschmelzen, ohne dass dabei die Individualität verloren geht.
Einen derart feurigen und spieltechnisch überragenden Brahms habe ich schon lange nicht mehr gehört. Der Jubel beim Publikum war mehr als berechtigt und die vier Musiker bedankten sich mit einer großzügigen Zugabe, nämlich dem letzten Satz Rondo alla Zingarese, einem Presto, mit dem die vier Musiker dann einen überschwänglichen und rasanten Schlusspunkt setzen. So gut und so unterhaltsam kann Kammermusik sein.
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