Editorial / Antisemitismus: Krieg der Symbole
Der Antisemit ist ein Feigling. „C’est un lâche“, hat Jean-Paul Sartre gesagt. Der Antisemit habe Angst – „vor seinem Gewissen, vor seiner Freiheit, seinen Instinkten, seiner Verantwortung, der Einsamkeit, der Veränderung, der Gesellschaft und der Welt“. Dass der Antisemitismus einmal überwunden sein wird, ist ein unerfüllter Traum. „Vor Antisemitismus sei man nur auf dem Mond sicher“, schrieb Hannah Arendt einst. „Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ist so notwendig wie seit langem nicht mehr“, stellte der ehemalige KPL- und „déi Lénk“-Abgeordnete André Hoffmann am Dienstag in seinem Forum-Beitrag fest. „Stattdessen hört man immer wieder Ausreden.“
Dass der Antisemitismus durch den Krieg in Nahost verstärkt wurde, ist längst bekannt. Bernard Gottlieb, der Leiter der Vereinigung „Recherche et information sur l’antisémitisme au Luxembourg“ (RIAL) kann dies bestätigen. Die Zahl der judenfeindlichen Vorkommnisse hat deutlich zugenommen. Dass sie sich in den sozialen Medien wiederfinden, gibt zu denken, verwundert aber nicht. Dass es aber an Schulen vermehrt antisemitische Vorfälle gibt, ist alarmierend.
Auf den propalästinensischen Demonstrationen gegen die Angriffe der israelischen Armee auf Gaza (als Reaktion auf die Hamas-Terrorattacken vom 7. Oktober 2023) handelt es sich derweil um einen Krieg der Symbole und der Provokationen, die wie verletzende Nadelstiche eingesetzt werden, und dies zeugt von fehlender Empathie. Dieser Krieg wird auch an Universitäten zahlreicher Länder ausgetragen. Er reicht vom Singen des Liedes „From the river to the sea, Palestine will be free“ bis zum Sichtbarmachen des roten Dreiecks mit nach unten gerichteter Spitze, das als Symbol der Terrororganisation Hamas gedeutet wird, und artet bisweilen in gewaltsamer Eskalation aus. In puncto Verständnis für die jeweils andere Seite oder Einfühlsamkeit herrscht Fehlanzeige. Bestimmend sind ein reines Freund-Feind-Denken und Unversöhnlichkeit. Ein weiteres Symbol ist das der Wassermelone. Sie enthält die Farben der Flagge Palästinas. Gottlieb weist darauf hin, dass die Wassermelonenscheibe die Form des Territoriums „from the river to the sea“ habe. Die Existenz des Staates Israel werde demnach in Abrede gestellt. Das Logo des Kollektivs „Waassermeloun“ sei daher sehr aussagekräftig: „Nein zur Zwei-Staaten-Lösung, Nein zum Staat Israel.“
„Das Töten und Zerstören im Gazastreifen, im Westjordanland und nun im Libanon, die Missachtung von Völker- und Menschenrecht, die illegale Besetzung und Kolonisierung sind zu verurteilen“, betont André Hoffmann. „Aber DIE Juden haftbar zu machen für die Taten der israelischen Regierung, ist Antisemitismus.“ Der neue Antisemitismus ist israelbezogen. Israelphobie als die „neueste Version des ältesten Hasses“, nennt es der britische Journalist Jake Wallis Simons. Dabei werden die judenfeindlichen Ressentiments auf den Staat Israel projiziert, der zudem häufig als Kolonialmacht bezeichnet wird. Der Hass auf Israel steht seit einiger Zeit im Mittelpunkt von Kampagnen wie „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS), aber es ist auch Judenhass. Israelphobie, Antizionismus und Antisemitismus gehen Hand in Hand.
Außerdem gibt es einen zunehmenden Trend, die Shoah zu leugnen oder zu relativieren – oder das Gedenken daran zu verhöhnen. Am vergangenen Wochenende wurde an einer Gedenktafel zur Erinnerung an die deportierten Juden im Zweiten Weltkrieg das Wort „israélite“ rot übermalt. Nicht nur für die Shoah-Gedenkorganisationen war dies ein „Akt von offenem Antisemitismus“. Ein Denkmal für Opfer des Holocaust zu beschmieren, bedeutet die Absicht, die Erinnerung an den Völkermord auszulöschen und das Dasein jüdischen Lebens in Luxemburg infrage zu stellen. Auf eine feige Art. Antisemitisch.
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