Rentenforum / Mythen des Luxemburger Rentensystems: Von verlässlichen Projektionen und der Dringlichkeit einer Reform
In der aktuellen Diskussion um die Rentenreform werden häufig Halbwahrheiten und Unwahrheiten verbreitet, um eine Schwächung des Rentensystems zu rechtfertigen. In einer dreiteiligen Serie will die Arbeitnehmerkammer mit einigen Mythen aufräumen.
Verlässlichkeit der Projektionen
Mithilfe von Projektionen über einen Zeitraum von 50 Jahren behaupten einige, dass das derzeitige Rentensystem völlig unhaltbar ist und vor unüberwindbaren Herausforderungen steht.
Zu aller erst gilt es höchst achtsam mit den Langzeitprojektionen umzugehen, da diese von einer extremen Unsicherheit geprägt sind. Alle Projektionen aus der Vergangenheit, die vor der Rentenmauer warnten, erwiesen sich rückwirkend als stets viel zu pessimistisch und die vorhergesagten Ereignisse haben sich nie bewahrheitet.
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Des Weiteren gilt es zu beachten, dass die Herausforderungen oftmals deswegen als unüberwindbar gelten, weil der Zeithorizont viel zu lang für eine rationale Einschätzung des Ausmaßes der Änderung ist. So haben sich die Rentenausgaben in Prozent des BIP über die letzten 70 Jahren zum Beispiel mehr als verdreifacht und die Zahl der Beitragszahler versiebenfachte sich, indem sie von rund 73.000 auf fast 500.000 stieg. Diese Entwicklung – die wesentlich stärker ist als die, die für die kommenden 50 Jahre erwartet oder benötigt wird – wäre vor 70 Jahren als dramatisch und unmöglich eingeschätzt worden.
Wenn die potenzielle finanzielle Herausforderung Schritt für Schritt angegangen wird, ist der scheinbare Schock schlussendlich nur eine Vielzahl an kleinen Anpassungen des Systems, die verkraftbar und vertretbar sind und schlussendlich sogar vielleicht unbemerkt bleiben.
Falsche Interpretation
Um die angeblich übermäßige Großzügigkeit des Rentensystems zu beweisen, wird oft, auf Basis einer OECD-Statistik, darauf verwiesen, dass die Einkommen der Rentner höher sind als die Einkommen der Arbeiter – und, im Kurzschluss, darauf verwiesen, dass dies wegen der hohen Renten so ist.
Es ist wichtig, dass dieses Argument sehr sorgfältig angegangen wird, da die gängige Interpretation der OECD-Statistik falsch ist. Es ist statistisch unbestreitbar, dass, erstens, die Renten wesentlich niedriger sind als die Löhne, und zweitens, die Einkommen der aktiven Bevölkerung bedeutend höher sind als die der Rentner.
Die oft falsch zitierte OECD-Studie besagt lediglich, dass das verfügbare durchschnittliche Äquivalenzeinkommen der Rentnerhaushalte höher ist als das der Gesamtbevölkerung (beim Medianwert ist dies indes schon nicht mehr der Fall). Das Äquivalenzeinkommen ist ein fiktives Einkommen, das man durch eine Division zwischen tatsächlichem Einkommen und Haushaltsäquivalenzkoeffizienten erhält – letzterer hängt von der Größe des Haushaltes ab.
Dass das durchschnittliche Äquivalenzeinkommen der Rentnerhaushalte höher ist als das der Gesamtbevölkerung, liegt zum einen daran, dass Rentnerhaushalte im Durchschnitt wesentlich kleiner sind als ein Durchschnittshaushalt, und der Unterschied zwischen Äquivalenzeinkommen und tatsächlichem Einkommen somit bei Rentnern deutlich geringer ist. Zum anderen ist dieses Faktum dadurch zu erklären, dass Rentnerhaushalte im Durchschnitt öfter und höhere Kapitaleinkommen haben – würde man diese ausschließen, wäre das durchschnittliche Äquivalenzeinkommen der Aktiven wesentlich höher als das der Rentner.
Bessere Alternative?
Das kapitalgedeckte Rentensystem wird häufig als eine bessere Alternative dargestellt – insbesondere zur Bewältigung der Bevölkerungsalterung. Indem darauf verwiesen wird, dass bei einem kapitalgedeckten System jeder für seine eigene Rente anspart, wird das System als äußerst sicher und zuverlässig präsentiert.
In Wahrheit sind kapitalgedeckte Rentensysteme jedoch wesentlich schlechter als umlagefinanzierte Systeme, bei denen durch einen impliziten Generationenvertrag die derzeitigen Aktiven die Renten der derzeitigen Rentner zahlen.
Umlagefinanzierte Rentensysteme sind wesentlich flexibler und können daher zu jedem Moment angepasst werden, falls eine weitreichende Veränderung dies erfordert – die eventuellen Kosten dieser Änderung können dann zwischen den Aktiven und den Rentnern aufgeteilt werden. Durch die Flexibilität ist es bei Umlageverfahren auch möglich, die Rentenansprüche an die Preis- und an die Lohnentwicklung zu koppeln (Index und Réajustement), soziale Elemente wie eine Mindestrente einzuführen und gesellschaftlich anerkannte Zeiträume zu ehren (Studienjahre, Erziehungszeiten, usw.).
Die kapitalgedeckten Rentensysteme sind ihrerseits mit den gleichen demografischen Herausforderungen konfrontiert, da zum Moment des Renteneintritts einer Kohorte genügend Aktive bereit sein müssen, den Rentnern das angesparte Kapital abzukaufen. Somit löst ein kapitalgedecktes System keine Probleme und bringt lediglich weitere Kosten (z. Bsp. höhere Administrativkosten) und Risiken (z. Bsp. Börsencrash) in die Rentenversicherung.
Dringlichkeit und Notwendigkeit
Die bereits beschlossene und die neu geforderte Rentenreform werden von einigen als dringend notwendig zum Wohle unserer Kinder und Enkelkinder dargestellt, um so die Emotionalität in der Rentendebatte weiter anzuheizen.
Diese Darstellung der Rentenfrage ist jedoch zutiefst unpassend, da sowohl die Rentenreform von 2012 als auch die von manchen geforderte neue Rentenreform vor allem die zukünftigen Renten unserer Kinder und Enkelkinder kürzen. Alle geforderten oder vorgeschlagenen Verschlechterungen sollen maßgeblich diejenigen treffen, die noch nicht in Rente sind.
Insofern ist eine Rentenreform, wie sie aktuell von einigen vorangetrieben wird, keinesfalls als Gefallen an die zukünftigen Generationen zu interpretieren. Vielmehr handelt es sich um ein vergiftetes Geschenk, dessen Preis hauptsächlich die heutigen Arbeitnehmer und zukünftigen Rentner zahlen müssen.
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