Spektakel und Persiflagen / Wie die Nibelungensage in der Kinogeschichte behandelt wurde (Teil 2)
„Hagen – Im Tal der Nibelungen“, eine neue Verfilmung des Nibelungenlieds, basiert auf dem Roman von Wolfgang Hohlbein. Das große Werk mittelhochdeutscher Dichtkunst hat somit innerhalb einer langen filmischen Adaptionsgeschichte eine Aktualisierung erfahren als eine Rückbesinnung auf die Archaik des Ausgangsmaterials. Die zweite Ausgabe einer Übersicht.
Das Nibelungenlied ist eine groß angelegte mittelalterliche Erzählung, die um die Themenkreise aus Liebe, Verrat, Heldenmut und Tod herum eine Untergansstimmung beschwört, die sich im Wesentlichen auf die nordischen Vorzeitsagen, etwa die isländische Wölsungensaga oder die Lieder-Edda bezieht und daraus feste Bausteine direkt übernimmt. Gerade deshalb wurde dieser deutschsprachige Mythos auch zu einer so wichtigen Inspirationsquelle für den amerikanischen Philologen J.R.R. Tolkien, der eine Vielzahl von Motiven des Nibelungenlieds in seinen Roman „The Lord of the Rings“ einfließen ließ.
Übernatürliche Wesen und magische Gegenstände, die einem zur Unsichtbarkeit verhelfen, finden sich da wie hier. Kaum verwunderlich also, dass nach der Verfilmung von Tolkiens Werk durch Peter Jackson zur Jahrtausendwende auch das Nibelungenlied wiederentdeckt wurde. Eine zeitgemäße Adaption des Stoffes erfolgte 2004: Der zweiteilige Film, eine deutsch-amerikanische Koproduktion, wurde als Mini-Fernsehserie ausgestrahlt, die auch das Debüt von Hollywoodstar Robert Pattinson war. Unter der Regie von Uli Edel entstand ein Zweiteiler, der die Heldendichtung mit Elementen des „Tristan und Isolde“-Stoffes verdichtet und lose nordische Sagenquellen einbezieht, um den Völkermord der Originalvorlage zu kaschieren.
Hier wird Siegfried (Benno Fürmann) als der edle Held gelesen, in dem die Tugenden der Ritterlichkeit mit Humor und einer modernen, jugendnahen Sprache zusammenfinden. Hagen von Tronje (Julian Sands) ist der eigentliche Antagonist, ein egoistischer und habgieriger Opportunist, der zum Verräter wird. Der Sohn Alberichs ist hier durch keine Loyalität an das Königshaus Burgund gebunden. Von seiner Gier nach Gold getrieben, bringt er zunächst Siegfried und anschließend König Gunther in einem erbitterten letzten Kampf um den Nibelungenhort um.
Ganz deutlich entfernt sich diese TV-Adaption von dem eigentlichen deutschen Kontext der Nibelungen und passt sie an die vorherrschenden Standards der amerikanischen Unterhaltungsindustrie zwischen Action-Spektakel und gefühlsstarker Romanze an. Der Film handelt besonders vom Erinnern und Vergessen. Nicht nur erinnert sich Siegfried zunächst nicht an seine edle Abstammung, auch ist es ein Zaubertrank, der seine Liebe zu Brunhilde erlischt und die zu Kriemhild entflammen lässt. Edel war sichtlich darum bemüht, dem Stoff jede ideologische deutschnationale, wagnerianische Note zu entziehen: Seine Nibelungen sind ein politisch und geografisch unbestimmtes, ja globalisiertes Fantasy-Märchen, das auf die positive Naivität moderner Mittelaltervorstellungen baut.
2005 entstand der Film „Siegfried“ von Sven Unterwaldt nach einem Drehbuch von Tom Gerhardt und Herman Weigel. Ernst nehmen will man den Stoff in dieser offenkundig als Persiflage angelegten Verballhornung gar nicht erst. Darin gibt Tom Gerhardt den blonden Hünen als einen unterbelichteten Tollpatsch, dessen treues Begleittier, ein Schwein, mehr Weltgewandtheit aufzuweisen scheint als der deutsche Nationalheld. Tom Gerhardts schauspielerische Leistung vermag es auch nicht, die Komplexität früherer karikierenden proletarischen Rollenbildern aus „Ballermann 6“ (1997) oder noch „Voll normaal“ (1994) zu übersteigen. Das kann hier auch nicht der Anspruch gewesen sein – dass man indes zu Unterhaltungszwecken gedenkt, in die untersten Schubladen des schlechten Geschmacks greifen zu müssen, lässt einen ratlos zurück.
Rückbesinnung und Aktualisierungen
Diese „Verirrungen“ rund um den Nibelungen-Text versucht nun das Regie-Duo Cyrill Boss und Philipp Stennert wieder zu korrigieren. „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ sieht zum einen den Waffenmeister der Burgunder als den eigentlichen Helden der Erzählung und führt den Stoff zum anderen wieder an seine dunkele Ausgangsquelle zwischen dem Untergang eines deutschen Adelsgeschlechts und der Völkerwanderung zurück. Gleich zu Beginn informiert eine Texttafel über den Einfall der Hunnen, die Tod und Verwüstung über das Land bringen. In rauen, gewaltigen Landschaften und düsteren, dreckigen Räumen gedreht und mit einer breiten Orchestermusik untermalt, drängt dieser Film wieder auf die epische Breite und die Düsternis und Schicksalsschwere des Stoffes. Grau-Brauntöne und eine farb-entsättigte Palette prägen das visuelle Erscheinungsbild des Films, so als wolle man den Dreck des dunklen Mittelalters affizierend auf das Publikum übertragen. Strukturell sind in dieser Neuverfilmung die Stationen von Siegfrieds Einzug am Hofe der Burgunder, die Brautwerbung in Island und das finale Duell maßgebend.
1986 wurde der Roman „Hagen von Tronje“ von Wolfgang Hohlbein veröffentlicht, in dem Hohlbein die Nibelungensage mit Elementen aus anderen Sagenkreisen und seiner freien Interpretation des Stoffes neu auslegte. Hagen, in der mittelalterlichen literarischen Vorlage mehr Nebenfigur, wurde bei Hohlbein zum Protagonisten, entsprechend gewichtet dieser neue Film seine Rolle in der Erzählung, sie verleiht ihm ansatzweise ein psychologisches Profil, versucht ihn mittels gängiger dramaturgischer Mittel, wie etwa die ‚backstory-wound‘, als zerrissene Seele zwischen öffentlicher Staatsräson und persönlichen Empfindungen zu lesen.
Mit Siegfried (Jannis Niewöhner), der hier als nahezu rüpelhaft und unritterlich in Erscheinung tritt, verbindet ihn das Waffengeschick und den waghalsigen Mut, sich offen ins Gefecht zu stürzen – es ist diese Anerkennung beider Helden, die immer wieder von Momenten des Neids oder noch der Verachtung durchzogen wird. Hagen (Gijs Naber) ist hier zum einen der treue Gefolgsmann, der überwiegend schweigsam, mitunter doch zur Nebenfigur in dem nach ihm betitelten Film wird, er ist mehr passiver Beobachter als aktiver Handlungsträger. In die finale Intrige wird er mehr hineingezogen und ist nicht mehr, wie bei Uli Edel, federführender Intrigant. In einer gewichtigen Umwandlung des Originaltextes wird hier auch die finale Konfrontation beider Recken neu gedacht. Zum anderen ist er der sehnsüchtig Leidende, dessen Liebe zu Kriemhild unerwidert bleibt.
Langs Film von 1924 entstand in den politisch angespannten Jahren der Weimarer Republik, zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Aufkommen des Naziregimes, und wird gerade aus diesem Umstand heraus auch heute noch zwiespältig diskutiert. Reinls Film von 1966 fokussierte besonders die binäre Glaubensauffassung aus „christlich-westlichem“ und „,heidnisch‘-östlichem“ Weltbild und formulierte sehr leise eine Kritik an ideologisch aufgeladenen Feindbildern – es ist dies womöglich im Kontext des Kalten Krieges ein nachdenklicher Film. Denn historisch nüchtern betrachtet ist das mittelalterliche Heldenepos der Nibelungen die mythologisch verdichtete Überhöhung der Wirren der späten Völkerwanderung und des Untergangs der Burgunder im Zuge des Zerfalls des Römischen Reiches.
Dass sich daraus Schwerpunktsetzungen auf Ritter-Ehre und Mannestugend gewinnen lassen, die sehr zeitlos und positiv-naiv aufgeladen werden können, zeigt Uli Edels TV-Zweiteiler von 2004. Die kritische Darstellung der Selbstzerstörung eines Adelsgeschlechts ist darin weitestgehend ausgeblendet. „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ nun verortet den Konflikt wieder historisch: Es wird viel von Allianzen, vom Schutz des eigenen Territoriums, von der Notwendigkeit zur Selbstverteidigung geredet. Grenzen werden mit Gewalt gezogen und Waffenstärke wird zum Zwang. Dass da sehr aktuelle globale kriegerische Konfliktfelder latent mitschwingen, scheint nahezu unübersehbar. Nach seiner Kinoauswertung soll „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ Anfang 2025 auch auf dem Streamingdienst RTL+ in Deutschland erscheinen.
Die Nibelungen
Der erste Teil dieser Serie ist am Freitag, dem 25. Oktober, erschienen.
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