Editorial / Die Flammen um Delvaux-Mufu wurden vor 20 Jahren gelöscht, aber die Brandursache besteht fort
Frau Delvaux-Mufu: Der Name weckt in Luxemburgs kollektivem Gedächtnis Erinnerungen an ein schockierendes Bild, an einen tragischen Vorfall. Der Großteil der jüngeren Generationen kann ihm vermutlich weder ein Gesicht noch eine Geschichte zuordnen. Zu lange liegen die Ereignisse zurück: Im Oktober 2004 zündete sich eine Frau afrikanischer Abstammung auf der place d’Armes in Luxemburg-Stadt selbst an. Im Hintergrund forderten Demonstrierende mehr Klimaschutz; CSV- und LSAP-Politiker*innen walteten von den Regierungsgebäuden über das Großherzogtum.
Delvaux-Mufu setzte ein radikales Zeichen gegen strukturellen Rassismus, nachdem ihr Ehemann und sie im Zuge einer Firmengründung schikaniert und mit fremdenfeindlichen Parolen abgefertigt worden waren. Die mehrköpfige Familie rutschte in die Armut ab, kämpfte gegen die Obdachlosigkeit. Die Flammen sind erloschen, doch die Brandursache besteht fort. Darauf verweisen u.a. die zwischen 2019 und 2021 gegründeten antirassistischen Organisationen Lëtz Rise Up und One People unermüdlich.
Die Politik hätte 2004 mit Datenerhebungen auf Delvaux-Mufus Aktion reagieren müssen: Handelte es sich um einen Einzelfall? Stattdessen drehten die Regierungen lange Zeit Däumchen. Schlimmer noch: Teilweise stellten sich Minister*innen in den Folgejahren in öffentlichen Diskussionen über Rassismus dumm. Sie – darunter die ehemalige Ministerin für Integration, Corinne Cahen (DP) – fielen aus allen Wolken, als das Großherzogtum 2018 bei der Studie „Being Black in the EU“ der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte schlecht abschnitt.
Na gut, so viel Fairness muss sein: Die Politik setzte in den vergangenen 20 Jahren durch punktuelle Aktionen sowie Gesetzesänderungen ein paar „Hebelchen“ zur Bekämpfung von Rassismus in Bewegung. 2006 wurde beispielsweise das Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet, durch das Rassismus und Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft strafbar sind. Nur machen davon die wenigsten Betroffenen Gebrauch – etwa aus Informationsmangel oder Hoffnungslosigkeit hinsichtlich der Nachverfolgung des Dossiers.
Und wissen Sie, woher diese Erkenntnisse stammen? Aus der bisher einzigen ausführlichen nationalen Studie zu Rassismus und ethnischer Diskriminierung in Luxemburg („Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“), die wiederum erst 2020 von der luxemburgischen Abgeordnetenkammer eingefordert wurde. 2020 – also 16 Jahre nach dem Feuer auf der „Plëss“.
Es dauerte zwei weitere Jahre, bis die Ergebnisse des Luxembourg Institute of Socio-Economic Research und des „Centre d’étude et de formation interculturelles et sociales“ vorlagen. Das Dokument strotzt vor Zahlen – und eine davon ist die, dass sich rund 55 Prozent der Studienteilnehmer*innen aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen Herkunft in Luxemburg ungleich behandelt fühlen. Genauso wie Delvaux-Mufu vor 20 Jahren. Derweil lässt der seit Jahren vorgesehene „Plan d’action national contre le racisme“ weiter auf sich warten. Laut Koalitionsvertrag sollte jener spätestens Anfang 2024 vorliegen. Daraus ist bekanntlich nichts geworden.
Stattdessen weht in den vergangenen Monaten ein zunehmend rauer Wind in puncto Migrationspolitik durch Luxemburg, der droht, auch die letzten Aschen von Delvaux-Mufu – und somit die politische Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus – davonzutragen.
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