Porträt / Der Hüter des „S“: Marc Spautz über Friedens „kaltes Herz“ und die soziale Seite der CSV
Wie kaum ein anderer Politiker steht Fraktionspräsident Marc Spautz für das soziale Gewissen der Regierungspartei CSV. Auch deshalb spart er oft nicht mit Kritik. Ein Gespräch darüber, was die Politik in der Causa Caritas versäumt hat – und welche Herzensprojekte der 61-Jährige noch umsetzen möchte.
Das „S“ in CSV hatte kein einfaches Jahr. Das Bettelverbot in Luxemburg-Stadt, der Zerfall der Caritas und aufgebrachte Gewerkschaften im Streit um Kollektivverträge. Die Regierung von Luc Frieden (CSV) ist bald ein Jahr im Amt und das soziale „S“ im Parteinamen der „Chrëschtlech-Sozial Vollekspartei“ sieht ein bisschen kränklich aus. Opposition, Medien und verschiedene Akteure der Zivilgesellschaft haben dem Premier und seinen Ministern in den vergangenen Monaten immer wieder ein „kaltes Herz“ attestiert.
Es gibt einen, dem bedeutet das „S“ in CSV noch ein bisschen mehr als allen anderen. Marc Spautz, der Fraktionspräsident der CSV, ist heute der prominenteste Vertreter des sozialen Flügels der Christdemokraten. Und das hat er in den vergangenen Wochen und Monaten einmal mehr unter Beweis gestellt. Ob in der Debatte um den Sozialdialog oder die arbeitsrechtlichen Schritte im Übergang von Caritas zu HUT, Spautz war überall dort zur Stelle, wo es um die Rechte der Verletzlichsten, Ärmsten und Schwächsten im Land ging. Er sparte dabei nicht an Kritik – auch nicht dem Bistum gegenüber, das sich in der Causa Caritas aus der Verantwortung zog.
Partei und Gesellschaft haben sich verändert
Die Sache mit Luc Frieden und dem „kalten Herz“, die will Spautz jedoch nicht so stehen lassen. Gleich zu Beginn seines Gesprächs mit dem Tageblatt, an einem kühlen Oktobermorgen in der Fraktion der CSV, erinnert sich Spautz an den Ursprung dieses Vorwurfs im Jahr 2012, Luc Frieden war damals Finanzminister. „In der Flüchtlingspolitik hieß es damals immer: Luc Frieden sei der Mann ohne Herz oder mit dem kalten Herz“, sagt Spautz. „Ich habe das, ehrlich gesagt, nie so empfunden.“ Das sieht der CSV-Fraktionschef bis heute so. Als Premier setze Frieden in seiner Regierung manchmal andere Prioritäten als andere an seiner Stelle tun würden, so Spautz, er habe ihn aber immer als eine „verständnisvolle Person“ erlebt.
Dass der soziale Flügel nicht mehr so stark ist wie vor einigen Jahren, das vermisse ich manchmal sehr
Das Herz der CSV, es mag laut Spautz nicht kühler geworden sein. Aber vielleicht ist es ein bisschen kleiner geworden in den vergangenen Jahren. Der soziale Flügel der Partei ist nicht mehr das, was er einmal war. „Die CSV, genauso wie die Gesellschaft, hat sich in den letzten Jahren verändert. Es ist nicht mehr die Partei, in der ich 1981 Mitglied wurde“, sagt Spautz. Das sei nicht nur bei der CSV so. „Ich stelle das bei sämtlichen Parteien und im Parlament fest.“ Die Art und Weise, wie diskutiert werde, habe sich verändert, manches zum Guten, anderes zum weniger Guten. „Früher hat man sich mehr zerfetzt, die Debatten waren lauter, aber man konnte trotzdem beim nächsten Punkt miteinander reden“, sagt Spautz. Heute seien einige Leute viel zu nachtragend. „Wenn man austeilt, muss man einstecken können“, fasst er einen seiner Politiker-Grundsätze zusammen.
Und wie steht es um das Soziale? „Die Wichtigkeit und Bedeutung ist noch immer die gleiche“, sagt Spautz. „Aber als ich Mitglied wurde in der CSV, waren mehr Leute in diesem Bereich aktiv, als das heute der Fall ist.“ Marc Spautz wird 2004 als Mandatsträger aus dem Süden zum ersten Mal in die Chamber gewählt. Damals ist er Generalsekretär beim LCGB, seit den frühen Neunzigern war er dort als Gewerkschaftssekretär aktiv. Neben Spautz sitzen in der damaligen CSV-Fraktion noch drei weitere Gewerkschaftssekretäre, andere sind in der Sozialversicherung tätig. „Jean-Claude Juncker, François Biltgen, das war eine andere Zeit“, erinnert sich Spautz. Ob er diese Zeit manchmal vermisse? „Dass der soziale Flügel nicht mehr so stark ist wie vor einigen Jahren, das vermisse ich manchmal sehr.“ Aber es gebe heute in der CSV noch immer einige Leute, die „sozial nicht taub“ seien, so Spautz. Leute, die wissen, dass das Soziale wichtig ist.
Wenn nicht, dann erinnert Marc Spautz sie daran. So zum Beispiel in der Caritas-Debatte. Als Christdemokrat hat er dort besonders deutlich die Verantwortungslosigkeit der Kirche kritisiert. „Ich bin nicht nur vom Bistum enttäuscht“, sagt Spautz. „Die Kommunikation im Allgemeinen hat nicht gut geklappt. Sowohl mit den Betroffenen, d.h. den Mitarbeitern der Caritas, als auch mit den Klienten. Das sind ja Menschen, die da betreut werden, keine Schränke oder Dosen.“ Viel zu lange habe man diese Menschen in Unsicherheit gelassen, kritisiert Spautz. „Ich war in meinem früheren Leben ein paar Mal dabei bei Betriebsschließungen oder massivem Personalabbau. Da haben wir wöchentlich kommuniziert, in welche Richtung es gerade geht. Das haben wir bei Caritas verpasst.“ Dass so etwas ausgerechnet im Sozialsektor passiert sei, sei doppelt schlimm, so Spautz. Dort arbeiteten Menschen, die soziale Probleme behandeln sollen. „Und wir haben da selbst soziale Probleme aufgeworfen.“
Doppelsozialisation in Politik und Gewerkschaft
Das Gespür für soziale Probleme ist bei Marc Spautz auch das Ergebnis einer Sozialisation zwischen Politik und Gewerkschaft. Spautz-Vater Jean war Landesvorsitzender der katholischen Arbeiterjugend, gleichzeitig arbeitete er als Ausschusssekretär bei der Arbed in Belval. 1959 wurde er für die CSV ins Parlament gewählt, 1966 hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär, ein Jahr später Vorsitzender des LCGB. Als andere mit ihren Vätern zum Fußball gingen, begleitete Spautz seinen Vater zu Gewerkschafts- und Parteiversammlungen. „Mit zehn Jahren wusste ich, was der Mindestlohn war, weil die Leute damals immer bei uns zu Hause angerufen haben mit gewerkschaftlichen Fragen“, erinnert sich Spautz. Der junge Mann wird im Alter von 14 Jahren selbst Gewerkschaftsmitglied, drei Jahre später tritt er der CSV bei.
Diese Doppelsozialisation macht Spautz im jüngsten Konflikt zwischen seinem Parteikollegen und Arbeitsminister Georges Mischo und den drei nationalen Gewerkschaften zu einem interessanten Gesprächspartner. Ob er die Seite der Gewerkschaften nachvollziehen könne, die sich von Mischos Verhalten und Kommunikation in ihren Grundfesten angegriffen fühlen? Er sei bei den Gesprächen nicht dabei gewesen, relativiert Spautz: „Aber ich kenne Georges Mischo und ich kenne seinen Lebensweg.“ Der Arbeitsminister habe ein Verhältnis zu den Gewerkschaften – auch durch dessen Vater. „Auch ein Georges Mischo ist sich bewusst, was die Gewerkschaften in Luxemburg, in der Großregion, in ganz Europa erreicht haben und wie wichtig sie sind“, sagt Spautz. Im Sozialdialog ist man nicht immer einer Meinung, das weiß der Gewerkschafter Spautz aus eigener Erfahrung. „Da muss die Politik Entscheidungen treffen. Aber zuerst muss diskutiert werden.“
Das Parlament soll die Bevölkerung widerspiegeln, aber das ist nicht der Fall
Sein Lebenslauf von der Ausbildung zum Mechaniker über die Gewerkschaft bis in die Politik hätte Spautz eigentlich für das Amt eines Arbeitsministers in der Regierung Frieden prädestiniert. In der letzten CSV-Regierung unter Jean-Claude Juncker war Spautz für acht Monate Familien- und Kooperationsminister. Ist er traurig, dass es dieses Mal nicht für einen Posten in der Regierung gereicht hat? „Ich glaube nicht, dass ich viele kenne, die nein zu einem Ministerposten sagen würden“, sagt Spautz. „Ich hätte nichts dagegen gehabt, noch einmal dabei zu sein. Aber ich habe mittlerweile ja auch ein Alter, wo man nicht mehr unbedingt überall dabei sein muss.“
Wenn er sein Alter schon selbst anspricht, kann man sich auch die Frage nach Herzensprojekten erlauben, die Spautz in seiner Karriere noch unbedingt umsetzen möchte. Der CSV-Fraktionschef muss nicht lange nachdenken. Ein Nachwuchsförderprogramm für die jungen Abgeordneten in der Fraktion, das sei ein wichtiges Thema für ihn. „Das sind alles ungeschliffene Diamanten“, sagt Spautz. „Da muss man manchmal schleifen und denen auch helfen.“ Dafür ist er bekannt. Auch den Bürgermeister von Esch/Alzette, Christian Weis, hat Spautz jahrelang gefördert.
Ein anderes Herzensthema ist die Demokratie, genauer die Vertretung des Volkes. „Das Parlament soll die Bevölkerung widerspiegeln, aber das ist nicht der Fall“, sagt Spautz. 30 Jahre lang hätten keine Landwirte mehr im Parlament gesessen, erst jetzt gebe es wieder welche. „Wir brauchen auch aus anderen Berufsgruppen wieder mehr Leute.“ Das Problem: Immer weniger Leute, die nicht aus dem öffentlichen Dienst kommen, sind bereit, sich politisch zu engagieren. Eine Stellschraube zur Lösung dieses Problems sieht Spautz in der Anpassung des Abgeordnetenstatuts, hin zum sogenannten „Vollzeitabgeordneten“. Der Schifflinger Schöffe möchte gerne die Doppelmandate abschaffen, also die Kumulierung von lokalpolitischem Exekutivmandat (Bürgermeister oder Schöffe) mit dem nationalen Abgeordnetenmandat. Dass das nicht von heute auf morgen passieren wird, dessen ist sich Spautz bewusst. Als ersten Schritt könnte man deshalb damit beginnen, den „congé politique“ zu erweitern. „Ein Abgeordneter soll die Möglichkeit haben, 40 Stunden frei gestellt zu sein“, so Spautz. In Gemeinden mit mehr als 6.000 Einwohner gebe es mittlerweile Vollzeitbürgermeister, Schöffen würden immerhin für 24 Stunden in der Woche freigestellt. „Im Parlament sind wir Feierabendpolitiker, wir haben 20 Stunden“, sagt Spautz. So spricht jemand, dessen Arbeit noch nicht getan ist.
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